Professor Schmitt aus Essen bewertet Gasmarkt

Der europäische Erdgasmarkt gerät in Bewegung. Nach dem Beispiel des Strommarktes steht ihm eine Liberalisierung bevor, müssen Betreiber von Gasleitungen ihre Verteilnetze der Konkurrenz öffnen, werden die 14 Millionen privaten Endverbraucher in Deutschland ihren Erdgas-Lieferanten frei wählen können. So will es die Gasrichtlinie der europäischen Gemeinschaft. Danach müssen die EU-Mitgliedsstaaten zum 10. August ihre nationalen Gasmärkte mindestens zu zwanzig Prozent der ausländischer Konkurrenz öffnen. Die Voraussetzungen dafür hat die deutsche Gaswirtschaft in dieser Woche durch eine sogenannte Verbändevereinbarung geschaffen. Kann der Verbraucher also schon bald mit sinkenden Gaspreisen rechnen? Die Antwort kennt Dieter Schmitt, Professor für Energiewirtschaft an der Universität Essen.

Gesendet am Mittwoch, 5. Juli 2000, in „Westblick“ auf WDR 5

Von Lothar Kaiser

Industriebetriebe werden als erste vom liberalisierten Gasmarkt profitieren. Kleingewerbe und Haushalte dagegen sind die nächsten anderthalb Jahre noch auf ihre bisherigen Gaslieferanten angewiesen. So will es die frisch unterzeichnete Verbändevereinbarung der deutschen Gaswirtschaft. Für Bundeswirtminister Müller Grund zur Kritik – und Anlass, zügige Nachverhandlungen anzumahnen. Zum 1. Januar 2002 will er die Tür zum Wettbewerb weiter aufgestoßen sehen als bisher – zum Vorteil der Endverbraucher. Spannende Zeiten, meint Professor Dieter Schmitt von der Universität Essen.

O-Ton: Gas ist der wichtigste Energieträger, wenn es um die Deckung des Haushalts-Energieverbrauchs geht. Von daher gesehen ist also die Beschäftigung in Forschung und Lehre mit diesem Energieträger ein absolutes Muss. In Zukunft wird ja jeder Verbraucher sich seinen neuen oder auch alten Gasversorger selbst auswählen können. Das bringt eine völlig neue Wettbewerbskonstellation.

Professor Schmitt, Inhaber des Essener Lehrstuhls für Energiewirtschaft, verweist in diesem Zusammenhang auf den Strommarkt und dessen gigantische Überkapazitäten europaweit.

O-Ton: Gleichzeitig ist die Bundesrepublik eines der Länder, das am weitesten seine Märkte geöffnet hat, so dass diese ganze Überkapazität, soweit dies technisch möglich ist, auf den deutschen Markt strömt. Und diese Überkapazität, die hat letztendlich bewirkt, dass die Preise so stark runter geknüppelt wurden, dass sie heute teilweise noch nicht einmal mehr die variablen Kosten decken. Die Preissenkungen liegen ja im industriellen Bereich teilweise bei über 50%. Und selbst im Haushaltsbereich werden Größenordnungen von 20% inzwischen gemeldet. Das muss einen natürlich grundsätzlich fragen lassen, wird etwas Ähnliches in der Gaswirtschaft passieren?

Mit dem Ölpreis, an den er gekoppelt ist, stieg der Gaspreis in jüngster Zeit deutlich. Doch von dieser Ölpreisbindung abgesehen, rechnet Professor Schmitt mittelfristig mit Gaspreissenkungen.

O-Ton: Die Gaswirtschaft organisiert sich neu, sie erschließt Synergieeffekte, sie erschließt Kostensenkungspotentiale. Alles dies lässt für den Verbraucher zweifellos hoffen, dass auch bei ihm Preissenkungen ankommen werden.

Hinzu kommt, dass mit neuen Anbietern auf dem Gasmarkt zu rechnen ist, teilweise identisch mit den großen Stromanbietern, darunter E.on und RWE.

O-Ton: Der neue Anbieter, der in den Markt hinein will, muss Bedingungen bieten, die günstig genug sind, um den Verbraucher zu veranlassen, zu ihm zu wechseln. Auf der anderen Seite wird der traditionelle Gasversorger sich überlegen müssen, gibt er dieses Marktsegment preis oder steigt er auf die Preise des Newcomers ein.

Doch der Essener Professor für Energiewirtschaft glaubt,….

O-Ton: … dass der Gaspreis nicht so stark nach unten geht wie der Strompreis.

Denn die großen Erdgaslieferanten im Ausland werden es sich mit ihren derzeitigen Gasabnehmern nicht verderben wollen, an die sie im übrigen durch langfristige Verträge gebunden sind.

O-Ton: Das Gas kommt in Zukunft im wesentlichen von zwei Lieferanten, nämlich aus Norwegen und aus Russland. Diese beiden Lieferanten werden sich natürlich fragen müssen, sollen wir durch zusätzliche Angebote, die wir in diesen Markt hinein geben, eigentlich den Ast absägen, auf dem wir sitzen?

Bleibt also die Frage, woher das Gas dann überhaupt kommen könnte, mit dem die neuen Anbieter handeln wollen.

O-Ton: Kann man erwarten, dass neue Pipelines aus ganz neuen Gebieten gebaut werden: vom Kaspischen Meer in den zentraleuropäischen Raum hinein. Werden wir bereit sein, nordafrikanisches Saharagas hier zu akzeptieren? Wenn keine Gasmengen verfügbar sind, die in den Markt hinein drängen, dann gibt es auch keinen besonders intensiven Wettbewerb und dann dürften sich auch die Preissenkungen im Rahmen halten.