Der liberalisierte europäische Gasmarkt läßt auf sich warten

Die Liberalisierung des Strommarktes hat den Preis für Elektrizität um 30 bis 50 Prozent fallen lassen;für Privatkunden allerdings nur um 15 Prozent. Für die Verbraucher alles in allem erfreulich. Für die Produzenten nicht. Zumal sich die einzelnen europäischen Länder dem neuen Wettbewerb nicht zum gleichen Zeitpunkt und auch nicht in gleichem Maße geöffnet haben. Das hat ausländischen Anbietern in Deutschlands Vorteile einbracht. Umgekehrt war das kaum der Fall. Deshalb fordern die deutschen Energieunternehmen nunmehr von der EU-Kommission, wenigstens bei der bevorstehenden Liberalisierung des Gasmarktes Abschottungsversuchen entgegenzutreten.

Gesendet am Montag, 19. Juni 2000, um 17.20 Uhr im Wirtschaftsmagazin „Profit“ auf WDR 5

Von Lothar Kaiser

Im künftigen liberalisierten Gasmarkt soll Chancengleichheit fairen Wettbewerb garantieren. Mit gutem Beispiel gehen hier Deutschland, Großbritannien und die Niederlande voran, meint Friedrich Späth, der Vorstandsvorsitzende der Essener Ruhrgas AG:

O-Ton: Dann gibt es welche, die sich bemühen, das ist Belgien, Österreich. Und es gibt eben auch große Länder, wo die Dinge noch nicht so richtig in Schwung gekommen sind. Am wenigsten bewegt sich in Frankreich. Hier muss die Politik sich drum kümmern. Es ist schon erstaunlich, wenn man die Gelassenheit sieht, mit der die Kommission die Länder behandelt, wo sich wenig bewegt und mit welcher Aufgeregtheit manchmal bei den Ländern man sich bemüht, wo nun wirklich schon Liberalität eingekehrt ist. Das wundert einen hin und wieder schon.

Das meiste Erdgas, das in Deutschland verbrennt, stammt aus dem Ausland, aus Russland, Norwegen, den Niederlanden, Großbritannien und Dänemark. Mit allen Lieferanten bestehen Verträge über große Liefermengen und mit langen Laufzeiten, teilweise bis zum Jahr 2030. Doch wie viel Geld die Produzenten in 30 Jahren für ihr heute zugesagtes Erdgas bekommen, das wissen sie nicht. Fest steht nur: Der Preis von Erdgas ist vertraglich an den des Heizöls gekoppelt. Das spürt der Verbraucher zur Zeit empfindlich: Mit dem Heizölpreis stieg auch der für Erdgas. Und an dieser Preisbindung wollen die deutschen Erdgas-Importeure festhalten: Ruhrgas-Chef Friedrich Späth:

O-Ton: Langfristige Verträge und die Ölbindung der Gaspreise bieten Schutz vor nicht marktkonformen Forderungen der Produzenten und sichern einem Importland wie Deutschland langfristig die Verfügbarkeit der nötigen Erdgasmengen zu wettbewerbsfähigen Konditionen.

Einen Preiswettbewerb unter den Erdgasproduzenten im Zuge der Liberalisierung des Erdgasmarktes schließt Spät weitgehend aus.

O-Ton: Beim Gas gibt es nur drei/vier große Produzentenländer. Und das zweite sind die geringen Margen beim Gas. Das Gas hat schon immer im Subventionswettbewerb gestanden und deshalb sind die Margen, verglichen mit den alten Strommargen, sehr gering. Und mit diesen Margen ist kein so harter Wettbewerb zu machen.

Die Europäische Richtlinie Erdgas soll es allen Gasanbieter in Europa möglichen machen, die hier bestehenden Erdgas-Leitungen zu nutzen, wer auch immer sie besitzt. Dafür muss die Bundesregierung ihr Energiewirtschaftsgesetz ändern. Und die Grundlage dafür wiederum schafften im März die deutschen Industrieverbände in einem Eckwertepapier über den diskriminierungsfreien Zugang zu den Gasnetzen und über die zu zahlenden Leitungskosten. Eine Verhandlungslösung statt einer staatlichen Regulierung.

O-Ton: Der regulierte Netzzugang ist ein staatlicher Eingriff, während es mehr einer Marktwirtschaft und einem Markt entspricht, wenn die beteiligten Unternehmen sich im Wege von Verhandlungen darüber verständigen.

Wie soll die Durchleitung fremdes Gases durch eigene Gasleitungen berechnet werden? Denn zum einen ist Gas nicht Gas. Da gibt es Qualitätsunterschiede, die der Kunde merken kann. Und dann spielt auch die Entfernung und der die Menge des durchgeleiteten Erdgases eine Rolle. Geplant ist die Unterzeichnung der Verbändevereinbarung für den 4. Juli.

O-Ton: Wir fühlen uns unter Zeitdruck, weil die Politik von uns ein Ergebnis erwartet. Beim Strom hat man schon immer gewisse Dinge gehabt wie die Einspeisevergütung, die Tarifgenehmigung, Kostenbögen und so was haben wir in der Gaswirtschaft alles nicht gehabt. In der Gaswirtschaft haben wir mit Null anfangen müssen.

Nunmehr scheinen sich die Gaskonzerne, der Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft und andere wieder etwas Zeit lassen zu können. Das Magazin „Focus“ mutmaßt in seiner heutigen Ausgabe, Wirtschaftsminister Werner Müller denke nicht daran, die EU-Gasrichtlinie bis zum 10. August in nationales Recht umzusetzen. Das solle die EU-Kommission animieren, sich mehr als bisher um die Abschotter und Blockierer auf dem europäischen Gasmarkt zu kümmern, in erster Linie Frankreich. Das Bundeswirtschaftsministerium erklärte dazu auf Anfrage des WDR, die Gesetzesänderung werde sich aus technischen Gründen verschieben, und auch nur um wenige Wochen. Doch aus das kann Gasversorgern wie Ruhrgas in Essen, Thyssengas in Duisburg und Westfälischer Ferngas in Dortmund nicht ungelegen kommen, schottet es doch die alten Monopole ein wenig länger vor dem Wettbewerb ab. Ganz nach dem Beispiel Frankreichs.

Internet-Zusatzinformationen

Künftig werden die 14 Millionen privaten Endverbraucher in Deutschland ihren Erdgas-Lieferanten frei wählen können. Zu mindestens zwanzig Prozent müssen die EU-Mitgliedsstaaten zum 10. August ihre nationalen Gasmärkte ausländischer Konkurrenz öffnen. Doch nicht nur Frankreich, sondern auch Deutschland (u.a.) werden die Richtlinie bis dahin nicht in nationales Recht umgesetzt haben. Frankreich denkt ohnehin nur an die Erfüllung der Mindestanforderung (20 Prozent), Deutschland dagegen hat einen Liberalisierungsgrad von 100 Prozent als Ziel.

Französische Energieunternehmen haben in Deutschland Fuß gefasst, deutsche in Frankreich dagegen bislang noch nicht. Dem französischen Strom-Riesen Energie de France gelang über eine 25-Prozent-Beteiligung an der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) – bekannt durch ihre aggressiv beworbene Strommarke „Yello“ – der Einstieg in den deutschen Markt. Und schon steht die Gaz de France vor der Tür und hofft darauf, bei der EnBW ebenfalls eingelassen zu werden. An dem Berliner Regionalversorger Gasag ist die Gaz de France bereits mir knapp 32 Prozent beteiligt.

Mit einem Anteil am Primär-Energieverbrauch von rund 21 Prozent liegt Erdgas zur Zeit in Deutschland an zweiter Stelle hinter Mineralöl. Insgesamt bezogen Ende 1999 43 Prozent aller Haushalte in Deutschland Erdgas. Doch der Erdgasmarkt gilt als Wachstumsmarkt. Schon jetzt werden drei von vier Neubauwohnungen mit Erdgas beheizt. In Ballungszentren beträgt der Anteil der erdgasbeheizten Neubauwohnungen sogar 90 Prozent.