Auch Jahrzehnte nach ihrer Stillegung können Steinkohlebergwerke im Ruhrgebiet nicht sich selbst überlassen werden

Einst war die Zeche Zollverein in Essen das größte Verbundbergwerk im Ruhrgebiet. Zollverein heute – das sind die alten Gebäude mit neuem Inhalt: Das Designzentrum Nordrhein-Westfalen findet sich hier, ein Existenzgründerzentrum, Handwerker- und andere Betriebe haben sich angesiedelt. Und auf der benachbarten Kokerei Zollverein lockte im vorigen Jahr die Ausstellung „Sonne, Mond und Sterne“ Tausende von Besuchern an. Ihnen blieb verborgen, dass noch immer Bergleute regelmäßig in die Grube einfahren und Übertage zugeschüttete Schächte im Auge halten. Warum eigentlich kann man ein Bergwerk, in dem schon seit Jahren keine Kohle mehr abgebaut wird, nicht sich selbst überlassen? Wer kontrolliert da was?

Gesendet am Dienstag, 3. März 2000, als 20minütiger Schwerpunkt in der Wissenschaftssendung „Leonardo“ auf WDR 5 Wasserhaltung – auch stillgelegte Bergwerke müssen kontrolliert werden

Von Lothar Kaiser

Sprecher: Blick durch das Fenster des Pförtnerhäuschens der Zeche Zollverein in Essen auf die kopfsteingepflasterte Einfahrt, auf einen hohen, beinahe majestätisch wirkenden Förderturm, ein sogenanntes Doppelbockfördergerüst, das die kubischen Hallen darunter weit überragt. Vor 14 Jahren ebbte hier die hektische Betriebsamkeit ab, kehrte Beschaulichkeit ein. Doch verabschiedet hat sich die deutsche Steinkohle AG von dem riesigen Areal mit seinen Bauten aus Stahlträgern und dunkelrotem, verwittertem Backstein bis heute nicht.

Sprecherin: RAG, das ist der Essener Energie- und Technologiekonzern, der früher Ruhrkohle AG hieß, die Muttergesellschaft der deutschen Steinkohle AG.

Sprecher:“RAG Wasserhaltung“ steht auf einem Schild gleich neben dem alten Werkstor der Zeche Zollverein. Wasserhaltung? Wer dahinter ein medizinisches Institut zur Erforschung der Blasenschwäche vermutet, liegt falsch. Wasserhaltung spielt sich vielmehr weitgehend unterirdisch ab – untertägig, wie der Bergmann sagt – und hat zu tun mit untertägigem Grubenwasser. Darum kümmert sich bei der Deutschen Steinkohle AG die Abteilung Zentrale Wasserhaltung. Sie hat fast 300 Mitarbeiter. Deren Chef ist Andreas Minke:

O-TON: Man muss sich das Ruhrgebiet vorstellen als großen untertägigen See, der gut die Größe des Bodensees hat. Alle ehemaligen Bergwerke sind untereinander verbunden in unterschiedlichen Teufen, sei es nun in 200 Metern minus NN oder sei es auch in 1100 Metern minus NN. Diese Übertrittsstellen, deren Kenntnis ist deshalb so wichtig, damit wir die nördlich davon befindlichen Gruben, die in Produktion sich befinden, weiterhin schützen können.

Sprecher: Insgesamt betreibt die RAG im Ruhrgebiet Wasserhaltungsanlagen auf elf stillgelegten Bergwerken mit achtzehn Tagesschächten, davon allein sieben in Essen, und unterhält untertage ein Streckennetz von 31 Kilometer Länge, mehr als neun Kilometer allein unter der Stadt Essen. Hin zu kommen 130 km Rohrleitungen und unzähligen Pumpen.

O-TON: Rund 44 Hauptpumpen, 36 Vorpumpen und 15 Tauchmotor-Pumpen, wobei die Tauchmotor-Pumpen bis zu 20 Kubikmeter pro Minute – fördern und heben können.

Sprecher: Die förderten im vergangenen Jahr fast 67 Millionen Kubikmeter Grubenwasser zu Tage – immerhin die halbe Füllmenge der Möhnetalsperre im Sauerland.

O-TON: Wir betreiben in Essen, im Süden von Essen eine Wasserhaltung Heinrich, im nördlichen Essen die Wasserhaltung Matthias Stinnes, im mittleren Raum Sälzer-Amalie, und zentral die Wasserhaltung Zollverein. Diese vier bringen zur Zeit rund die Hälfte des in dem Jahr gehobenen Grubenwassers – rund 65 Kubikmeter pro Minute. Ein 4-Personen-Haushalt verbraucht ca. im Jahr 126 Kubikmeter Wasser. Heinrich leitet direkt in die Ruhr ab, unsere größte Wasserhaltungs-Anlage mit einer installierten Leistung von rund 15/16 Megawatt, und wir heben dort im Jahr 18 Millionen Kubikmeter.

Sprecher: Die Wasserhaltung der alten Zeche Heinrich hat besondere Bedeutung. Denn sie sichert zugleich die Trinkwasser-Notversorgung der Stadt Essen.

O-TON: Hieran möge man jetzt schon ablesen, welch hohe Wasserqualität auf Heinrich gehoben wird. Die übrigen drei leiten in die Emscher ab, wobei wir hier dann von rund 25 Kubikmetern pro Minute reden.

Sprecherin: Einst war die Zeche Zollverein in Essen das größte Verbundbergwerk im Ruhrgebiet. In Spitzenzeiten arbeiteten hier mehr als 7600 Bergleute, wurden in einem Jahr bis zu 3,6 Millionen Tonnen Steinkohle gefördert. Ende 1986 dann die Stillegung. Seitdem wird auf Zollverein keine Kohle mehr gefördert, dafür umso mehr Wasser. Arbeit für dreißig Bergleute.

O-Ton Anschläger

Sprecher: Im Bergbau ein vertrauter Klang. „Anschläger“ heißt der Bergmann, der dem Maschinisten immer dann ein akustisches Signal gibt, den Anschlag, wenn sich der Förderkorb in Bewegung setzen soll. Joachim Seifert, früher Maschinenbauingenieur auf Zollverein, erklärt heute Besuchergruppen das Signal:

O-Ton: Drei heißt Achtung, eins: man geht auf’m Korb, und jetzt gibt man ein entweder zwei Schlag „nach oben“ oder drei „nach unten“, dann weiß der Maschinist Bescheid, wo man hin wollte.

O-Ton: Rumpeln des Förderkorbes/Darüber:

Sprecher: Abwärts geht es in gemächlicher Fahrt. Vier Meter in der Sekunde. Für Maschinensteiger Dirk Gerstmann ist das Rumpeln des Förderkorbes ein vertrautes Geräusch. Er fährt die alten, stillgelegten Strecken der deutschen Steinkohle AG im Ruhrgebiet regelmäßig ab.

O-TON: Dadurch bedingt, dass wir elf Schachtanlagen haben, ist das natürlich hier nicht sehr oft der Fall. Einmal die Woche, aber jeden Tag woanders.

O-Ton: Rumpeln des Förderkorbes/Darüber:

Sprecher: Am 23. Dezember 1986 wurde auf der Zeche Zollverein die letzte Kohle gefördert. Wenn heute Joachim Seifert durch die 1932 erbaute Anlage führt, erinnert er auch an die Ursprünge des Bergbaus in Essen:

O-Ton: 1847 hat sich rumgesprochen, dass hier die Essener Mulde sehr gute Kohlenvorräte hätte. Haniel hörte auch davon, der kam 1847 aus Duisburg hier in unsere Gegend und brachte sofort zwölf Bohrkolonnen mit. Das hatte auch einen Grund: Nämlich das Preußische Bergamt vergab zu der Zeit erst die Schürfrechte, wenn irgendeine Bohrkolonne in der Tiefe einen Kohlenflöz frei legte – der erste bekam die Schürfrechte. Viele Gesellschaften hatte das gleiche vor, und laut Chronik war das hier wie im Wilden Westen. Geräte wurden zerstört, versteckt und ich weiß nicht, was die noch gemacht haben. Jedenfalls, 1847 im November wurde Haniel fündig: In 130 Metern Tiefe legte er ein Flöz frei und bekam für 13 Quadratkilometer Schürfrechte.

Sprecherin: In den früheren Zeiten des Bergbaus waren die Grubenwässer ein weit größeres Problem als heutzutage. Das eingesickerte Oberflächenwasser wird heute mit Hilfe von großen Tauchpumpen zu zentralen Sammelbecken befördert, den sogenannten Sumpfstrecken. Dort, untertage, können sich Feststoffe, zum Beispiel Kohlenstaub, absetzen, bevor Kreiselpumpen das Wasser dann nach oben pumpen – aus dem Bergwerk heraus. Als es solche Pumpen noch nicht gab, war es eine wahre Sisyphosarbeit, das Grubenwasser loszuwerden. Um 1800 soll es in Deutschland noch Gruben gegeben haben, da waren mehr Bergleute mit der Beseitigung des Grubenwassers beschäftigt als mit dem eigentlichen Abbau von Kohle oder Erz.

Sprecher: Das Wasser-Problem bekamen die Bergleute erst in den Griff, als sie Dampfmaschinen einsetzen konnten – erstmals 1869 auf der Zeche Neuiserlohn in Bochum-Werne. Und im Jahre 1902 wurde auf der Zeche Mont Cenis in Herne-Sodingen die erste Wasserhaltung mit Pressluftantrieb in Betrieb genommen. Erst der Einsatz dieser neuen Techniken machte es möglich, Kohle auch in größeren Tiefen abzubauen.

Sprecherin: Vor 150 Jahren erreichten die Kohlegruben im Ruhrgebiet gerade mal eine Tiefe von maximal 300 Metern, dank der besseren Pumptechniken sind es heute 1000 Meter. Auf 950 Meter bringt es die Zeche Zollverein. Und in dieser Tiefe stehen auch die Pumpen der Wasserhaltung. Sie brauchen viel Strom, bis zu 81 Megawatt.

O-TON: Pumpengeräusch

Sprecher: Die Pumpenkammer der Zeche Zollverein – fast doppelt so hoch wie der Stollen – die Strecke, wie der Bergmann sagt-, die die Kammer mit dem Förderschacht verbindet. In der etwa achtzig Meter langen Tunnelröhre acht Pumpen, so groß wie Lieferwagen – akkurat hintereinander aufgestellt. Dazwischen ein Gewirr aus blauen und grünen Röhren, zum Teil rostig, überall dicke Stromkabel. Jede Pumpe ist zwischen sechs und sieben Metern lang.

Sprecherin: Viel zu groß für einen normalen Förderkorb. Deshalb mussten die Pumpen, in Einzelteile zerlegt, mit einer Schwerlastwinde untertage gebracht werden – in einem eigens für derart große Lasten gebauten Schacht.

O-TON: Pumpengeräusch

Sprecher: Die Pumpenkammer – der tägliche Arbeitsplatz von Schlosser Jürgen Weiß und Elektrohauer Friedhelm Köhler. Der eine ist für die Maschinentechnik verantwortlich, für die Wartung und Reparatur der Pumpen, Rohrleitungssysteme und Schieber, der andere für die Elektrik, von der einfachen Glühlampe über den Motor bis zur Steuerung. Gemeinsam müssen sie dafür sorgen, dass alle Pumpen laufen, nicht undicht werden und das Wasser in den abgemauerten Nebenstrecken nicht zu hoch steigt. Der Betonboden der Pumpenkammer – völlig trocken. Keine Spur von Wasser. Das holen sich die Pumpen in dicken Rohren aus einem kleineren Stollen, der von der Pumpenkammer abzweigt.

O-TON: Pumpengeräusch

Sprecher: Vor einem gemauerten Damm einige kleinere Pumpen inmitten unzähliger Rohre. Hinter der Mauer die Nebenstrecke, in der das Grubenwasser bis zu einer Höhe von 1,70 Meter gestaut werden kann.

Sprecherin: Würde man dem Wasser darüber hinaus freien Lauf lassen, es also nicht abpumpen, würde es sich neue, unvorhersehbare Wege suchen, würden womöglich anderswo im Ruhrgebiet Bergleute eines Tages nasse Füße bekommen und die Arbeit einstellen müssen.

Sprecher: Damit das nicht passiert, müssen nicht nur die Verschleißteile der acht großen Pumpen regelmäßig gewartet werden, sondern auch jene Rohre und Leitungen, die die Pumpenhalle von Zollverein mit der ebenfalls stillgelegten Zeche „Mathias Stinnes“ verbinden. Denn auch das Grubenwasser dieses alten Bergwerks erreicht erst über Zollverein das Tageslicht. Das geschieht nach genauem Plan und in Rohren. Würde das Wasser ungeordnet aufsteigen, sähe es an manchen Stellen in Essen ziemlich sumpfig aus. Der pensionierte Maschinenbauingenieur Joachim Seifert:

O-Ton: In den 140 Jahren ist unsere ganze Landschaft hier – um 40 Meter hat sich das gesenkt. Wir hatten früher NN 97 und haben jetzt NN 49. Und wenn wir hier kein Wasser heben würden, würde das Wasser langsam raufkommen, das heißt wir hätten hier eine schöne Seenplatte von Duisburg bis Dortmund. Hier werden täglich 13.000 Kubikmeter Wasser gehoben, und das wird ausgebaut für die nächsten 25 Jahre, das heißt also, hier wird noch viel, viel Wasser gehoben.

Sprecherin: Doch das Herz der Zentralen Wasserhaltung der RAG schlägt nicht in Essen – weder auf der stillgelegten Zeche „Mathias Stinnes“ noch auf „Zollverein“ – es schlägt in Bochum.

O-TON: Glückauf! Kersting, Steuerwarte, Zentrale Wasserhaltung. – Mein Schieber ist 97,3 Prozent auf. 1 Meter 52. Ja, weil ich ja Pumpenstillstand hatte – ja, der ist runtergesenkt worden.

Sprecher: Ein kleiner Büroraum in der ehemaligen Zeche Carolinenglück in Bochum-Hamme. Die Zeche, 1964 stillgelegt, beherbergt heute die Zentrale der RAG-Wasserhaltung. An der Wand Kontrolltafeln, Messgeräte mit Schreibstiften und Papierrollen, auf denen automatisch Messdaten festgehalten werden. Vor sechs Computern sitzt Thomas Kersting.

O-TON: Wir kontrollieren hiermit unsere Wetterstände, die wir unter Tage haben. Hauptlüfteranlagen, Kohlenmonoxyd.

Sprecher: Eine verantwortungsvolle Aufgabe, wie auch Maschinensteiger Dirk Gerstmann weiß.

O-TON: Ja, die Schreiber zeichnen auf die CH4-Mengen, die ja von vier bis 14 Prozent explosiv sind. Was ist CH4? Methangas.

Sprecherin: Eine Methangasexplosion in einer Pumpenkammer der RAG-Wasserhaltung wäre ein Desaster. Thomas Kersting und seine Kollegen in der Messwarte der ehemaligen Zeche Carolinenglück in Bochum dürfen deshalb die Kontrolltafeln an der Wand nicht aus den Augen lassen.

Sprecher: Unter jedem Messeinstrument steht ein Name: Amalie, Glück, Nachbar, Heinrich, Concordia, Gneisenau, Hansa, Müser, Zollverein und Stinnes, allesamt Namen von ehemaligen Zechen. In diesem Jahr kommt der Name der Zeche Ewald-Hugo in Herten/Gelsenkirchen hinzu. Sie wird zum 30. April geschlossen. Andreas Minke, der Chef der RAG-Wasserhaltung:

O-TON: Nach Auslaufen des Bergwerkes Ewald-Hugo besteht hier die Notwendigkeit, das Grubenwasser, rund 3 Kubikmeter pro Minute, anzunehmen. Zollverein wird zentraler Wasserhaltungs-Standort, und das Wasser wird letztendlich dann in die Emscher gepumpt.

O-TON: Pumpengeräusch

Sprecherin: Bereits im Herbst des vergangenen Jahres wurden zwei Schächte der Zeche Ewald-Hugo mit 250.000 Tonnen Beton verfüllt. Um das zu verhindern, was im Ruhrgebiet schon einige Male passiert ist und zuletzt zu Jahresbeginn bundesweit Schlagzeilen machte: Der „Tagesbruch“ in Bochum-Wattenscheid, der zwei Garagen in die Tiefe riss und die Bewohner von zehn Häusern vorübergehend obdachlos machte.

O-Ton: Das Loch – ooch, es war fürchterlich. Ich denk,‘ was ist denn so’n Krach auf der Straße. Ich habe die Jalousien hochgezogen und seh‘ keine Garage mehr, nur ein Loch. Ich denk‘, das darf nicht wahr sein. Da war ich doch schon leicht inPanik. Dann sind wir alle raus. Es wird wohl noch zwei Jahre dauern, bis alles wieder saniert ist.

Sprecherin: Von „Tagesbruch“ spricht der Bergmann überall dort, wo sich plötzlich ein Krater auftut. Und das kommt im Ruhrgebiet häufiger vor – 50 bis 70 Mal im Jahr.

Sprecher: Allerdings weit weniger spektakulär als jüngst in Bochum. Mehrere tausend Kilometer lang sind die Schächte und Stollen stillgelegter Bergwerke, die das Ruhrgebiet durchziehen. Und nur bei einem Drittel kennen die Bergämter die genaue Lage. Denn früher wurde oft planlos gebuddelt und leichtfertig zugeschüttet. Von den 500 Bergwerken, die es einst im Ruhrgebiet gab, sind heute noch elf übrig. Der Essener RAG-Konzern betreibt sie über die Deutsche Steinkohle AG in Herne. Und hat ein wachsames Auge auf alle Schächte, die in eigener Regie zugeschüttet wurden oder durch frühere Zechengesellschaften.

Sprecherin: „Sanierung von Bergbaustandorten“ heißt die RAG-Direktion, die für die Kontrolle und Sicherung der verlassenen Schächte zuständig ist. Direktor Klaus Simsch:

O-Ton: 455 verlassene Tagesöffnungen, davon sind 128 mit Protegohauben versehen, das heißt Gasschutzeinrichtungen. 164 Schächte sind dauerstandssicher verfüllt mit abbindenden Baustoffen. Und 291 sind konventionell verfüllt mit Lockermassen. Allein in Essen betreuen wir 102 Schächte und kontrollieren sie regelmäßig.

Sprecherin: Der größere Teil der alten Schächte, die die RAG unter Kontrolle hat, befinden sich auf Grundstücken, die längst verkauft sind.

O-Ton: Wir haben generell Wegerechte für alle Schächte, die wir betreuen.

Sprecherin: Besonders häufig angefahren werden die älteren Schächte, die früher mit unberechbarer Lockermasse verfüllt werden durften. Rund 300 an der Zahl. RAG-Direktor Klaus Simsch weiß, ….

O-Ton: … dass sich diese Lockermassensäulen in die alten Grubenräume hin ausweiten können und damit sacken können. Wenn man feststellt, die Schachtsäule ist um 2 oder 3 Meter abgesackt, wird das Ganze nachverfüllt. Deswegen die Kontrollrhythmen in kurzfristigen Abständen. Seit Ende der 70er Jahre verfüllen wir unsere Schächte nur noch mit Baustoff. Und damit entsteht dort eine Betonsäule, die völlig unkritisch ist. Dort kann nichts passieren, deswegen auch bei diesen Schächten unser Kontrollrhythmus von einem Jahr. — Was kostet es, einen solchen Schacht, sagen wir mal, von 400 m Länge mit Beton zu verfüllen? — Bei 400 m Länge können Sie rechnen rund eine Million. — Ist es eigentlich noch eine Aufgabe für künftige Generationen, die alten Kohleschächte hier im Ruhrgebiet zu beobachten, oder können Sie irgendwann mal sagen, so, jetzt kann da nichts mehr passieren? — Die mit Lockermassen verfüllten Schächte müssen sicherlich auf Dauer kontrolliert werden. — Wissen alle späteren Nutzer dieser Grundstücke, auf was sie sich da eingelassen haben? — Aus diesem Grunde haben wir vor Jahren angefangen, ein sehr detailliertes Schachtkataster zu führen, Lagepläne, Fotos, Befahrungsprotokolle, Gutachten, die Aussagen machen über die Standsicherheit der Schächte, Gutachten zur Ausgasung der Schächte. Dazu gehören weiterhin die spezifischen Daten zum Schacht: Durchmesser, Teufe, wann verfüllt, wie verfüllt ….

Sprecherin: Die Mitarbeiter der RAG-Direktion „Sanierung von Bergbaustandorten“ bringen es pro Jahr auf rund 4000 Schachtkontrollen. Dazu gehören auch die drei Schächte des Verbundbergwerks Emil/Fritz/Emscher in Essen-Altenessen, die vor 26 Jahren verfüllt wurden. Einer dieser Schächte ist schon aus einiger Entfernung durch eine etwa drei Meter hohe Metallsäule zu erkennen, die sogenannte Protegohaube. An der Spitze ein Kranz aus Eisenstäben, um mutwillige Kletterer abzuwehren. Denn dort oben tritt nicht nur Kohlensäure, CO2, sondern auch das giftige und explosive Methangas, CH4, aus. In diesem Fall aber nur in geringer Konzentration. Das kontrollieren Ralf Irbach und Jürgen Homscheidt regelmäßig:

O-Ton: Wir machen jetzt eine Gasmessung CO4 und CO2, nehmen jetzt den Prüfstopfen von der Entgasungseinrichtung raus, um die Messgeräte einzuführen (Geräusche). Bei dieser Messung stellen wir jetzt fest, dass wir 50% CH4 anstehen haben und 10% CO2. Das sagt eigentlich nichts über die Menge aus, sondern nur über die Konzentration, sonst würden wir wahrscheinlich auch rauschen hören hier oben, und das ist also nicht der Fall. Ist auch nicht für die Umgegend hier gefährlich. — Dieser Schacht, wie ist der verfüllt? — Der ist mit Lockermassen verfüllt. 1974 war dat also so üblich gewesen. Deswegen werden wir jetzt den Deckel hier öffnen und die Füllsäule kontrollieren, ob eventuell die Füllsäule abgegangen ist oder auch nicht. (Geräusch: Heben des Deckels) Von der Füllsäule ist gar nichts abgegangen. — Die Füllsäule, das sieht für mich aus wie ein Granulatgemisch. — Das ist ein Granulat, was sich nicht in sich selbst verfestigen kann, damit wir nicht eine Brückenbildung haben und da drunter ist der ganze Schacht frei. — Und woraus besteht das? — Das ist Glasasche. Die hat ne gewisse Fliessfähigkeit und da drüber können wir dann erkennen, ob wirklich der Schacht abgegangen ist. Die können Sie pressen und drücken, wie Sie wollen, die wird nicht miteinander fest. Und da ist die Sicherheit gegeben, dass uns oben keine Brücke, so’n Füllstand vorgetäuscht wird, der nicht wirklich da ist. Bei dem Schacht können Sie mit Sicherheit sagen, der ist voll.

Abmoderation: Stillgelegte Bergwerke will die Landesregierung Nordrhein-Westfalen künftig sinnvoll nutzen, genauer: das Grubenwasser. Im Rahmen der neuen Technologie-Initiative „Geothermie NRW“ soll das bis zu 60 Grad warme Wasser aus alten Bergwerken für Heizzwecke nutzbar gemacht werden. Und das Methangas aus alten Bergwerken im Ruhrgebiet dient künftig womöglich der Energiegewinnung. In Herne und Lünen gibt es bereits zwei Pilot-Kraftwerke.

Polder wie in den Niederlanden gibt es auch im Ruhrgebiet. Vierzig Prozent der Fläche liegen so tief, dass bei starkem Regen über längere Zeiten, wenn alle Pumpen laufen, pro Sekunde 500.000 Liter Ab- und Regenwasser (ca. 80 Prozent) und Grundwasser (ca. 20 Prozent) – unabhängig vom Grubenwasser aus Bergwerken – in die Emscher gepumpt werden müssen, damit aus Gladbeck, Essen-Karnap, Gelsenkirchen oder Bottrop (dies sind die am stärksten betroffenen Gebiete im Revier) keine Seenlandschaft wird.

Mit der Nordwanderung des Bergbaus wurden aber auch Gebiete außerhalb des Ruhrgebiets von Bergsenkungen betroffen. In Lünen-Horstmar zum Beispiel hatten Anwohner des Datteln-Hamm-Kanals früher aus ihren Häusern einen unverbauten Blick auf den Schiffsverkehr auf dem Kanal. Inzwischen liegen die Häuser zwanzig Meter tiefer als dieser. Der Kanal hatte, um schiffbar zu bleiben, den neuen Höhenverhältnissen mehrfach mit hohen finanziellen Aufwand angepasst werden müssen. (Informationen von Emscher-Genossenschaft in Essen, Tel. 0201 / 1040, und Wasser- und Schiffahrts-Verwaltung in Hamm (Tel 02381 /90190).