Trotz des Zechensterbens Ausbildung in großem Stil bei der „RAG Bildung“

Der „geordnete Rückzug“ aus dem deutschen Steinkohlebergbau geht weiter. 1980 gab es auf den deutschen Steinkohlezechen noch 186.000 Bergleute. 2005 werden es nur noch 36.000 sein. Wegen des fortschreitenden Preisverfalls auf den Weltkohlemärkten müssen in diesem und im nächsten Jahr in Nordrhein-Westfalen vier Zechen schließen. Unvermeidliche Konsequenz: Innerhalb von zwei Jahren muss die Deutsche Steinkohle AG, die DSK in Herne, mehr als 20.000 Arbeitsplätze abbauen. Und dennoch gehört der Essener Mutterkonzern RAG auch in Zukunft zu den größten Ausbildern im Lande. Oder gerade deshalb?

Gesendet am Montag, 7. Februar 2000, 17.35 Uhr, in „Westblick“ auf WDR 5

Von Lothar Kaiser

O-Ton: In Zukunft wird es nicht gelingen, dass jemand einen Arbeitsplatz bekommt, wenn er nicht eine qualifizierte Ausbildung zuvor erhält.

Sagt Wilhelm Beermann, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Essener RAG. Der Energie- und Technologiekonzern schließt zum 30. April die Zeche Ewald-Hugo in Herten. Zwei Monate später folgt die Zeche Westfalen in Ahlen. Und zum 30. Juni 2001 sollen dieZechenstandorte Neunkirchen-Vluyn und Recklinghausen aufgegeben werden. Dadurch fallen in diesem und im kommenden Jahr insgesamt mehr als 20.000 Arbeitsplätze weg. Gleichwohl will der RAG-Konzern einer der größten Ausbildungsbetriebe des Landes bleiben.

O-Ton: Insgesamt bilden wir in rund 70 Berufen aus, sowohl für den eigenen Bedarf als auch darüber hinaus, um der Jugendarbeitslosigkeit zu begegnen.

Besonders in der Bergbauregion „Ruhrgebiet“ fühlt sich die RAG für die Ausbildung junger Menschen verantwortlich. Und hat eigens dafür schon vor zehn Jahren Tochterfirma RAG Bildung gegründet. Geleitet wird diese Berufsbildungsgesellschaft von Dr. Wolfgang Teichmann:

O-Ton: Die Beweggründe waren, auf der einen Seite dafür zu sorgen, dass an Zechenstandorten in Nordrhein-Westfalen, wo Schachtanlagen stillgelegt werden mussten, wenigstens die betriebliche Ausbildung als überbetriebliche Ausbildung weiter zu führen und auf der anderen Seite, das Know-how in den neuen Bundesländern anbieten zu können.

Die RAG Bildung zählt heute 1250 Mitarbeiter. In Nordrhein-Westfalen bietet sie in sieben Bildungszentren überbetriebliche Ausbildung an, in Bergkamen, Dortmund, Essen, Hamm, Herten, Hückelhoven, Recklinghausen und Datteln. Dort hat die RAG Bildung in ehemaligen Zechengebäuden 280 ihrer insgesamt 4450 überbetrieblichen Ausbildungsplätze angesiedelt.

O-Ton: Ich heiße Jessi Kadamek und lerne Floristik. – Ich bin Sandra Mehna und mache Holzmechanikerin. – Und anschließend, gibt es da schon Perspektiven? – Noch nicht so richtig. – Marco Benantelli, Karrosseriebauer. Arbeitsplatz ist ziemlich knapp. Es ist schwer, was zu finden. Ja, war ich schon sehr froh, dass ich was gefunden hab.

1997 stellte der RAG-Konzern für Berufsvorbereitung, betriebliche und überbetriebliche Ausbildung insgesamt 8300 Plätze zur Verfügung. 1998 und 1999 kamen jeweils 500 hinzu.

O-Ton: Wir haben in der Ausbildung und in der Berufsvorbereitung zur Zeit 9300 junge Menschen. Der Bergbau bildet auch aus, aber auf die Gesamtzahl bezogen werden nur vier Prozent für direkt bergbauspezifische Berufe ausgebildet.

Der RAG-Konzern insgesamt bildet für den eigenen Bedarf zur Zeit rund 3400 Jugendliche aus. Doch wenn Ende April die Zeche Ewald-Hugo in Herten schließt, werden im Konzern wieder einmal betriebliche Ausbildungsplätze wegfallen. Für überbetrieblichen Ersatz sorgt dann die RAG Bildung. Dr. Wolfgang Teichmann:

O-Ton: Die RAG Bildung ist gefragt und aufgefordert worden, doch wenigstens, genau, wie wir es an anderen Bergbaustandorten auch gemacht haben, die betriebliche Ausbildung, die bisher für Bergbauberufe vorgesehen war, als überbetriebliche Ausbildung fortzuführen, um den jungen Menschen in Herten und Umgebung Ausbildungsplätze für allgemeine Berufe, die mit Bergbau gar nichts zu tun haben, anzubieten. Ich muss dazu sagen, dass natürlich das Ausbildungsangebot ganz eng abgestimmt ist mit dem Arbeitsamt vor Ort, so dass wir natürlich die Jugendlichen nicht mit Ausbildungen versehen, wo sie hinterher gar keinen Arbeitsplatz möglicherweise finden, sondern ganz im Gegenteil: Hier wird ganz genau geprüft nach Arbeitsplatz-Relevanz der angebotenen Berufsausbildungen. Diese Abstimmung hat insofern finanzielle Gründe, als es letztendlich die Bundesanstalt für Arbeit ist, die entsprechende Ausbildungsmaßnahmen ausschreibt, worum wir uns dann bewerben.

Insofern bemüht sich die RAG Bildung auf dem freien Markt um Auftraggeber wie jeder andere überbetriebliche Ausbildungsträger auch, wetteifert mit diesen um Bundes- und Landesmittel. Zugunsten von Ausbildungsplätzen greift die RAG aber auch in die eigene Kasse.

O-Ton: Hier sind wir in der glücklichen Lage, dass die RAG Aktiengesellschaft ihrer Verantwortung in dem Restrukturierungs-prozess in Nordrhein-Westfalen über alle Maßen gerecht wird. Zusätzlich zu den Ausbildungsmaßnahmen, die von der Öffentlichen Hand finanziert werden, springt die RAG in die Bresche und finanziert zusätzliche Ausbildungsplätze bei der RAG Bildung.

Internet-Zusatzinformationen:

Innerhalb der RAG-Tochter Deutsche Steinkohle AG befinden sich 450 Jugendliche in der Ausbildung, mehr in Metall- und Elektroberufen und weniger im bergmännischen „Fach“. Im gesamten RAG-Konzern sind es 1800. Und nimmt man die Azubis in den überbetrieblichen Ausbildungsstätten hinzu, kommt die RAG auf 9500 Auszubildende. (Stand Mai 2000)