Der Lake District in Englands Norden

1979:  Eigentlich hatten wir auf Schloss Balmoral im Schottischen Hochland Prinz Charles und Lady Diana besichtigen wollen. Doch bis nach Schottland kamen wir gar nicht erst. Denn was als zweitägiger Abstecher geplant gewesen war, wurde schließlich – von Tag zu Tag verlängert – zu einem Urlaub von drei Wochen Dauer.

Wir waren glatt „hängen geblieben“. Inmitten sattgrüner Wiesen, wuchtig wirkender Berge, stiller Täler und lauter Wasserfälle, blökender Schafe, verträumter Dörfer und quirliger Touristenorte, zwischen Farnkraut und vorgeschichtlichen Steinringen – im „Lake District“, im äußersten Nordwesten Englands, zwar nicht weit von der schottischen Grenze entfernt, aber eben doch noch in England, genauer in Cumbria. Und seit diesen drei Wochen wissen wir: Statistisch ist der „Lake District“ im Grenzbereich von Westmoreland, Lancashire und Cumbria mit seinen 866 Quadratmeilen Englands (nicht Großbritanniens!) größter Nationalpark. Und im persönlichen Erleben bietet er englische Landschaft wie aus dem Bilderbuch, mehr wert als nur einen zweitägigen Abstecher. Etwa zwei Millionen Touristen zieht es alljährlich zu den fünfzehn Seen und unzähligen verschilften Weihern und Teichen, zu den munteren Wildbächen, wo die Forellen die künstlichen Fliegen der Angler tatsächlich noch für lebende Beute halten, zu der halben Million Schafe, deren Weiden von jahrhundertealten Mauern aus lose aufgeschichteten Feldsteinen eingerahmt werden, und zu den Souvenirläden von Kendal, Windermere, Keswick und Ambleside natürlich, wo Wollsachen, Felle und Schnitzereien aus Horn auf Sie warten. Wer Aktiv-Urlaub liebt, vermisst in diesen vier Orten, den touristischen Zentren des „Lake Districts“ (fast) nichts. Da finden die Segler ihre Segelboote, die Windsurfer ihre Surfbretter, die Reiter ihre Reitpferde und die Wanderer ihre Wanderwege – zumindest am Anfang der Strecke, wenn es heißt „Footpath to … „. Unterwegs dann werden die Wegweiser meist seltener. Wer klettern will, kann klettern (davon später), und wer in die Pedale treten will, bitte sehr! Es geht natürlich auch bequemer. Auf dem Rücken eines Ponys zum Beispiel, im Abteil einer von zwei kleinen Dampfeisenbahnen oder auf dem Sonnendeck eines Ausflugsschiffes auf dem Lake Windermere.

Noch ein paar Seen gefällig? Wie wär’s mit Coniston Water, Thirlmere, Derwent Water, Buttermere, Ullswater und Grasmere. Mit einer Länge von siebzehn Kilometern ist der Lake Windermere Englands größter See. Und er ist mit seinen baumbestandenen Ufern auch einer der schönsten. Ruder-, Tret- und Motorboote (für die Freizeitkapitäne) sowie größere Passagierschiffe (für die reifere Jugend) warten am Pier von Windermere darauf, geentert zu werden. Und schließlich ist die Fahrt nach Bowness-on-Windermere oder Ambleside mit ihren alten, aber dafür gemütlichen Hotels und Ferienhäusern zu Wasser geruhsamer als zu Lande auf der starkbefahrenen Landstraße entlang des Ostufers. (Wer unberührte Natur sucht, findet sie am Westufer.)

An einem Tag ein Ausflug nach Coniston Water, wo Donald Campbell mit 328 Meilen pro Stunde einen (inzwischen übertroffenen) Geschwindigkeitsrekord auf dem Wasser aufstellte, bevor er dort 1967 in seinem von Raketen angetriebenen Rennboot „Bluebird“ verunglückte und ertrank. An einem anderen Tag ein Ausflug nach Grasmere. An seinem Ufer steht Dove Cottage, bei Liebhabern romantischer Gedichte – jedenfalls bei Engländern – bestens bekannt. Hier reimte der Dichter William Wordsworth (1770-1850) seine schönsten Verse.

Heute von Windermere über das idyllische Troutbeck zum Kirkstonepaß und zum Ullswater-See. Morgen zum Waste Water, dem mit 77,40 Metern tiefsten See Englands, von wo es dann nicht mehr weit ist bis zum Fuß des „Scafell Pike“, Englands höchstem Gipfel. 978 Meter über dem Meeresspiegel, das reißt Alpinisten zwar nicht aus ihren Bergstiefeln, aber – man höre und staune – hier haben sich bereits ganze Seilschaften auf ihre Himalaya-Expeditionen vorbereitet. Es muss ja nicht immer der bequemste Weg zum Gipfel sein…

Wir wollen nicht darüber streiten, wer denn nun der schönste See des „Lake District“ ist. Für uns jedenfalls ist es Derwentwater mit seinen kleinen grünen Inseln, umgeben von grünen Hügeln und graugrünen Felszonen. Wussten Sie, dass der „Lake District“ neben Stonehenge in Südengland, Fallingbostel in der Lüneburger Heide und Carnac in der Bretagne sowie Cornewall zu den Gegenden in Europa gehört, wo sich die meisten steinernen Zeugen einer vorgeschichtlichen Kultur befinden? Zum Beispiel der „Castelrigg Circle“ bei Keswick am Derwentwater: Die Megalith-(Großstein-)Kulturen, zu denen dieser etwa 3100 Jahre vor Christus (vermutlich für religiöse Riten) errichtete Steinkreis gehört, kamen aus dem Mittelmeerraum nach Großbritannien, wie Wissenschaftler vermuten.

Aber Kultur ist im Urlaub nun mal nicht alles. Auch nicht alte Kirchen, Burgen und Herrensitze, von denen es im „Lake District“ ebenfalls reichlich gibt. Und deshalb sind die hübschen Küstenstädtchen Maryport, St. Bees und Whitehaven nicht weit mit ihren langen Sandstränden, hält Carlisle, die Hauptstadt Cumbrias, für Nachtschwärmer auch ein ebensolches Leben bereit. (Merke: im sechs Meilen entfernten Heiratsparadies Gretna Green schmiedet der Hufschmied schon lange keine Ehen mehr.)

Wir jedenfalls kamen in diesen drei Wochen ohne Carlisle und Gretna Green aus. Uns reichten die Pubs von Keswick und Windermere, ein, zwei, vielleicht auch drei Pinte-o´-Guinness.

Wenn’s uns in diesem Jahr wieder zum „Lake District“ zieht, tagsüber auf die Seen zum Windsurfen und abends in die Pubs zum Guinness, dann aber nicht mehr im Juli/August, sondern im Juni oder September. Denn Hochsaison heißt auch im „Lake District“ (wie überall, wo sich Touristen in größerer Zahl einfinden), höhere Preise und Campingplätze, auf denen nur noch mit Vorbestellung ein Plätzchen zu ergattern ist. Aber vielleicht wollen Sie selbst Ihre Erfahrungen machen. Wie wär’s mit einem zweitägigen Abstecher auf der Anreise nach Schottland?!