Modellfall: Bau eines Kindergartens

1973:  Eine kleine Stadt im Bergischen Land, Nachbar der Werkzeugstadt Remscheid. Besondere Kennzeichen: Naherholungsgebiet mit großer Talsperre, Grafenschloss, alte Fachwerkhäuser, Dornröschenschlaf. Und bei näherem Hinsehen kommt noch etwas hinzu: zahlreiche kinderreiche Familien, fünf, sechs, sieben Kinder, wie die Orgelpfeifen. Von allen Projekten, die in der Stadt in den 70er Jahren ihren Anfang nahmen, „waren die beiden neuen Kindergärten das Wichtigste!“, verraten die Eltern von vier und fünf Jahre alten Jungen und Mädchen, deren „Schlüsselkinder“-Dasein die Katholische Pfarrgemeinde im August vorigen Jahres (1972) ein Ende machte.

Eine kleine Stadt im Bergischen Land, Nachbar der Werkzeugstadt Remscheid. Besondere Kennzeichen: Naherholungsgebiet mit großer Talsperre, Grafenschloss, alte Fachwerkhäuser, Dornröschenschlaf. Und bei näherem Hinsehen kommt noch etwas hinzu: zahlreiche kinderreiche Familien, fünf, sechs, sieben Kinder, wie die Orgelpfeifen.

Das war vor rund zehn Jahren, als große Projekte ihren Anfang nahmen. Straßenbau, Stadtsanierung, Hallenbad. Vorhaben, die sich heute in einem „akuten Stadium“ befinden, wie die Stadtverwaltung sagt. Doch in diesen zehn Jahren hat sich noch mehr getan. „Für uns waren die beiden neuen Kindergärten das Wichtigste!“, verraten die Eltern von vier und fünf Jahre alten Jungen und Mädchen, deren „Schlüsselkinder“-Dasein die Katholische Pfarrgemeinde im August vorigen Jahres ein Ende machte. Fast neun Jahre vergingen zwischen der Idee, den langgehegten Wünschen der Gemeinde entsprechend einen Kindergarten zu bauen und dessen Einweihung mit feierlichen Reden und fröhlichem Kindergeschrei. Neun Jahre, die angefüllt waren mit Besichtigungen, Diskussionen, Finanzproblemen und schwierigen Grundstücksverhandlungen. Neun Jahre, in denen der Evangelische Kindergarten mit seinen neunzig Plätzen der einzige der gesamten Stadt blieb. Zum Leidwesen vieler Eltern, deren Kinder inzwischen längst von der Grundschule auf die Hauptschule oder ein Gymnasium übergewechselt sind. Und hätten nicht hinter diesem Plan der Katholischen Pfarrgemeinde persönliches Engagement und Mut zum Risiko gestanden, der Kindergarten stünde heute noch nicht!

Eine Tatsache, die nicht nur für die kleine Stadt im Bergischen Land gilt, sondern auch für viele andere Gemeinden in der Bundesrepublik, wo sich „freie Träger“ bereit fanden, den Städten das Kindergartenproblem abzunehmen und selbst aktiv zu werden. Doch bleiben wir bei diesem einen Kindergarten. Stellen wir ihn als Beispiel hin. Die Beteiligten haben das Wort, die Anonymität als Schutzschild vor sich.

„Schon 1963 kam die Idee auf. Es war im Kirchenvorstand. Und ein Jahr später dann legten wir dem Erzbistum Köln zum ersten Mal offiziell eine Bauvoranfrage auf den Tisch“, erinnert sich der Rendant der Pfarrgemeinde. An ihn, den „Kämmerer“, der Pfarrei, war damals auch die Antwort aus Köln gerichtet: „Machen Sie mal . . . !“ erkannte das Generalvikariat die Notwendigkeit dieses Projektes grundsätzlich an.

Die kleine, aber aktive Gemeinde sah darin „grünes Licht“ und gab einen ersten Bauplan in Auftrag. Dann aber meldeten sich die Pessimisten. „Das schaffen wir nie!“, sagten sie und trugen mit dazu bei, dass das Vorhaben in den nächsten Jahren nur sehr geringe Fortschritte machte. Einem neuen Pfarrer und neuen Köpfen im Kirchenvorstand blieb es daher vorbehalten, den Kindergartenplan im Jahre 1968 erneut aus der Schublade zu holen. Darin sollte er nie mehr verschwinden.

Ein geeignetes Grundstück war schnell gefunden. Kosten dafür entstanden nicht, war es doch bereits im Besitz der Pfarrgemeinde. Und schon konnte zu einem Architekten-Wettbewerb aufgerufen werden. Der Kirchenvorstand unterbreitete den Fachleuten seine Vorstellungen: Der neue Kindergarten sollte zum Kontaktmittel der Gemeinde zu ihren jungen Familien werden. E sollte über einen großen Flur verfügen, der als Empfangsraum und für Feiern ebenso geeignet sein müsste wie als Spielraum für die Kinder bei schlechtem Wetter. Und worauf der Kirchenvorstand nebst Pfarrer und Rendant besonderen Wert legten: Der Bau müsste so ausgeführt werden, dass die laufenden Betriebskosten später möglichst gering blieben.

Kaum war der beste Architektenentwurf ausgewählt, kam der erste Rückschlag. „Sie müssen ihren Plan vorläufig auf Eis legen“, meldete sich der Landschaftsverband Rheinland und gab an, die Mittel für den Bau von Kindergärten seien für etwa ein Jahr gesperrt worden. Eine „Vorplanungsgenehmigung“ des Erzbistums Köln, die Zuschüsse in Aussicht stellte, lag zu diesem Zeitpunkt bereits vor.

Doch die Pfarrgemeinde gab nicht auf. Auch dann nicht, als die Stadtverwaltung die zweite Hiobsbotschaft servierte: „Wo Sie einen Kindergarten bauen wollen, soll in einigen Jahren eine große Durchgangsstraße verlaufen! Suchen Sie sich ein neues Grundstück!“

Diesmal aber spielte die Gemeinde nicht mit. „Es ist Ihre Sache, uns ein neues Grundstück anzubieten!“, konterte sie mit aller Entschiedenheit und hatte Erfolg; die Stadtverwaltung suchte. Sie berücksichtigte sogar die Wünsche der Gemeinde: Das Grundstück sollte „im Grünen“ liegen, fernab vom Straßenverkehr und in der Nähe der Kirche. Keine leichte Aufgabe für die Stadt, Doch sie schaffte es, wenn auch nach schwierigen Verhandlungen mit mehreren Grundstückseigentümern, von denen zum Teil nur wenige Quadratmeter der größeren Fläche hinzugefügt werden mussten, um die Mindestforderung des Landschaftsverbandes an die Größe des Spielplatzes neben dem Kindergarten erfüllen zu können. „Was sollten wir machen? Das alte Grundstück fiel aus: Müsste der Architekt einen neuen Plan ausarbeiten? Das fragten wir uns damals voller Sorgen“, erinnert sich der Pfarrer. Doch zum Glück kam es anders. Der bereits vorhandene Plan ließ sich spiegelverkehrt auch auf dem neuen Grundstück verwenden. Geld war gespart worden.

Was hatte der Architekt in diesen Bauplänen nicht alles berücksichtigen müssen: Die von der Gemeinde gewünschte Gruppierung der drei Gruppenräume und des Ruheraums um den Empfangsraum in Zentralbauweise, den Vollwärmeschutz der Wände, die Thermopen-Verglasung und die bis ins kleinste Detail gehenden Richtlinien des Landschaftsverbandes. Jeder Gruppenraum musste danach über eine eigene Spielecke, einen Abstellraum und separate Toiletten- und Waschräume verfügen. Der Pfarrer: „Wir machten uns damals unsere Aufgabe nicht leicht. Nicht nur beim Architekten des Landschaftsverbandes und beim ,Zentralverband der Katholischen Kindergärten‘ holten wir uns Anregungen, sondern wir besichtigten auch zahlreiche Kindergärten der Umgebung.“

In einem Kölner Kin-dergarten stieß der Kirchenvorstand bei einer dieser Besichtigungen auf eine Klinkerwand. „Sie ist unempfindlich und kann leicht mit Kinderzeichnungen beklebt werden, die man ebenso schnell wieder beseitigen kann“, hörten die Besucher damals von der zuständigen Kindergärtnerin. So hieß es denn kurze Zeit später: „Der Kindergarten bekommt Klinkerwände!“

Weitaus schwerer fiel Pfarrer und Kirchenvorstand die Wahl der Heizung. „Es hat sich gelohnt, dass wir nichts überstürzt haben“, sagt der Pfarrer heute. Auf der Suche nach der Anlage mit den geringsten Folgekosten standen damals eine „Fußboden-Elektro-Nachtspeicherheizung“ und eine Öölheizung zur Diskussion. Der Pfarrer: „Energiegesellschaften und Architekten stellten für uns Kostenberechnungen an. Danach wählten wir die Ölheizung, zumal die Elektroheizung damals noch nicht genügend erprobt war.“

Am 3. September 1971 war es schließlich so weit: Baubeginn. Schon meldeten sich die ersten Eltern im Pfarrbüro und fragten an, ob bereits eine Anmeldeliste ausgelegt werde. Pfarrer und Kirchenvorstand hatten zu diesem Zeitpunkt jedoch auch andere Sorgen. Denn auch während der Bauzeit war persönliches Engagement Trumpf, erwiesen sich regelmäßige Besuche der Baustelle als vorteilhaft, waren persönliche Rücksprachen mit den vier Geldgebern erforderlich, dem Landschaftsverband, dem Generalvikariat, dem Rhein-Wupper-Kreis und der Stadt. „Ein direktes Gespräch wirkt viel mehr als ein nüchterner Briefwechsel. Hätten wir uns auf Briefe verlassen, wäre der Bau nicht schon am 1. August 1972 fertig gewesen. Das gilt besonders für die Finanzierung“, meint der Pfarrer rückblickend.

Doch ehe am 1.August vorigen Jahres die ersten dreißig Kinder aufgenommen werden konnten – am 2. September und 1.,Oktober folgten jeweils weitere dreißig – hatte die Gemeinde Personalsorgen zu bewältigen. „In einer Zeit, in der in Solingen gerade Kindergärten wegen fehlenden Personals hatten schließen müssen, suchten wir drei Kindergärtnerinnen! “ Noch heute wundert sich der Pfarrer, dass die anfangs hoffnungslos scheinenden Bemühungen schließlich doch Erfolg hatten. Denn über Mundpropaganda, Pfarrnachrichten, Kanzelverkündigungen und persönliche Anfragen stieß man glücklich auf eine frühere Kindergärtnerin innerhalb der Pfarrgemeinde, die bereit war, die Leitung des Kindergartens zu übernehmen. Fehlten noch zwei. „In allen Schulen der Umgebung wurden wir vorstellig und bemühten uns um Praktikantinnen. Ich glaube, wir sind allein sechs Mal nach Köln gefahren, um dort mit einer Schulleiterin zu verhandeln.“ Von dort hatten sich die Vertreter der Kirchengemeinde zwei Praktikantinnen gewünscht, die nach einem Jahr Kindergärtnerinnen geworden wären. Aber das war nicht nach den Richtlinien der Schule. Erst als die Pfarrgemeinde beim Regierungspräsidenten vorstellig geworden war, bekam sie eine Praktikantin zugeteilt. Da fehlte noch eine.

Und wieder hatte die Pfarrgemeinde Glück. Es fand sich eine ortsansässige Kindergärtnerin, die bis dahin in einem auswärtigen Kindergarten gearbeitet hatte. Ganz ohne Komplikationen ging jedoch auch diese Anstellung nicht über die Bühne. Denn bei dieser Kindergärtnerin handelte es sich um eine „Republikflüchtige“, wie die DDR Flüchtlinge bezeichnet. In der Bundesrepublik arbeitete sie auf Grund einer Ausnahmegenehmigung, da ihr bei der Flucht sämtliche Ausbildungspapiere verlorengegangen waren. Der Pfarrer dazu: „Zum 1. Juli dieses Jahres müssen wir eine neue Kindergärtnerin einstellen. Denn dann läuft diese Ausnahmegenehmigung ab. Die Kindergärtnerin hat jedoch die Möglichkeit, ihre Qualifikation in einem sogenannten Kolloquium zu beweisen. Wir würden sie dann gern wieder für eine vierte Gruppe einstellen, die wir an den Nachmittagen einrichten wollen! “

Kaum waren im Frühjahr die Anstellungsverträge der drei Kindergärtnerinnen unter Dach und Fach, begannen die „Arbeitsgespräche“. Welches pädagogische System sollte für den neuen Kindergarten gewählt werden? Gemeinsam entschied man sich für einen um andere Beschäftigungsmittel erweiterten Montessori-Plan. Damit wurde gleichzeitig Rücksicht auf eventuell später anzustellende Kindergärtnerinnen genommen, die vielleicht mit der reinen Montessori-Methode nicht vertraut sein könnten.

So weit, so gut. Am 1.August 1972 nahm die erste der drei Kindergartengruppen ihre „Arbeit“ auf. Doch die „Befreiung“ des Kindergartens durch Vertreter des Landschaftsverbandes – so heißt die Kontrolle der geforderten Baurichtlinien – erfolgte erst im November. Der Pfarrer: „Das ist auch der Grund, warum wir noch auf einen Teil der Zuschüsse warten!“

Genauer kann jedoch der Rendant über die finanzielle Seite des Projektes Auskunft geben: „Die Baukosten verteuerten sich um neun Prozent, das sind 38.170 DM. Dieses Geld, das nach dem üblichen Modus auf unsere vier Geldgeber und uns verteilt wird, steht noch aus. Daneben haben wir die 7473 DM noch nicht bezahlt, die die Stadt an Kanalanschlussbeiträgen von uns fordert. Aber noch hoffen wir, dass diese Forderung niedergeschlagen wird! “

Das war die Schlussabrechnung: Ohne die Verteuerungskosten mussten für den neuen Kindergarten an reinen Baukosten – die Inneneinrichtung kostete noch einmal 45.000 DM, von denen die Gemeinde 5.000 DM zu tragen hat – genau 424.071,91 DM aufgebracht werden. Davon übernahm der Landschaftsverband 192.750 DM, das Erzbistum Köln 135.600 DM, der Kreis 50.000 DM und die Stadt 38.750, DM. Blieben für die Gemeinde noch 2.819 DM übrig, die durch Kollekten und den Haushaltsposten „besondere Ausgaben“ zusammenkamen.

Ähnlich günstig für die Pfarrgemeinde sieht die Aufstellung der jährlichen Betriebskosten aus. Von den 150.000 DM bringen die Eltern der neunzig Kinder jährlich 50.000 DM auf, der Kreis und das Landesjugendamt jeweils 25.000 DM und das Erzbistum Köln 22.000 DM. Rund 3.000 DM hat somit die Gemeinde noch hinzuzufügen.

Hückeswagen, 1973