Einzelkämpfer im Lager Hammelburg

Über die härteste Ausbildung des Heeres.

Der erste Gang bestand aus einer Gemüsesuppe. Sie war grün, ein paar Spitzwegerichblätter schwammen statt der Fettaugen obenauf und verrieten, woraus sie gemacht worden war: Zusammen mit den anderen pflanzlichen Zutaten hatte man das Kraut auf der Wiese gesucht. Hauptgericht war Baumrindenbrot aus der weißen, inneren Rinde der Buche, zermahlen, mit Wasser zugesetzt, auf einem heißen Blech gebacken und nach Knäckebrot schmeckend. Nachtisch schließlich war ein Salat aus frischen Sauerampferblättern, der zu einem Tee gereicht wurde, den man aus jungen Fichtennadeln aufgebrüht hatte. Die gekochten Schnecken, die eigentlich noch zur Hauptmahlzeit gehören sollten, waren ausgefallen, da man sie statt morgens erst am Mittag eingesammelt hatte, und da hatten sie schon soviel gefressen, dass sie nicht mehr zu genießen waren. Und Frösche, auf die man hätte zurückgreifen können, gab es in der Nähe keine. Zum Ausgleich dafür bestand der Salat am nächsten Tag statt aus Sauerampfer aus Löwenzahn. In solch einer Schilderung erschöpfen sich meist schon die Vorstellungen, die sich Außenstehende von der härtesten militärischen Ausbildung der Bundeswehr machen. Allerhöchstens ist vielleicht noch vom Regenwurmessen die Rede, wenn man von Einzelkämpfern und ihrem Leben im Feld spricht. Gewiss, so sieht die Wirklichkeit aus. „Verwendung von Nahrungsmitteln aus der Natur“ heißt das im Lehrplan jedes Trainingslagers. Die Anforderungen jedoch, die an die jungen Fahnenjunker gestellt werden, für die die Einzelkämpferlehrgänge an der Kampftruppenschule I in Hammelburg oder der Luftlandeschule in Altstadt/Schongau im Rahmen der Offiziersausbildung Pflicht sind, erschöpfen sich nicht in ausgefallenen Speiseplänen. Lange Märsche mit vollem Gepäck, Nachtübungen, Gefechtseinlagen, Nahkampfausbildung und der rauhe Ton der Ausbilder bringen die jungen Soldaten oft an die Grenze ihrer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit. Vor wenigen Wochen trat in Hammelburg wieder eine Gruppe Fahnenjunker den Weg ins sechstägige Waldlager an.

Nur ein kleines Schild an einer unbedeutenden Landstraße im Spessart, knapp hundert Kilometer von Hammelburg entfernt, weist mit dem grünen Zeichen der Einzelkämpfer auf das Waldlager hin. Ein gut ausgebauter Waldweg führt in den Forst. Nach einer Biegung taucht am Wegesrand ein Jeep auf. Hier muss es sein. Aber kein Laut stört die Stille des Waldes. Wo sind die Einzelkämpfer, wegen denen wir vierhundert Kilometer von Regensburg bis in den Spessart gefahren sind? Schließlich findet sich unter Fichten eine ausgefahrene, verschlammte Wagenspur, die den flachen Hang hinunterführt. Und dort, auf einer kleinen Lichtung, steht ein Zelt. Ein Stabsunteroffizier mit dem Abzeichen der Fallschirmspringer auf der Brust gießt gerade Öl ins spärlich brennende Holzfeuer. „Gestern gab es bei uns einen ziemlichen Wolkenbruch“, sagt er entschuldigend zur Begrüßung. „Wir sind beinahe davongeschwommen. Alles ist klatschnass.“ Vor dem Zwölf-Mann-Zelt steht ein Feldtisch, ein paar Stühle, auf dem Tisch liegen Reste eines Essens, Brot, Butter, geräucherter Schinken und Wurst. Auf dem jetzt hell aufflackernden Feuer beginnt Spülwasser zu kochen. „Wenn ihr Hunger habt, bedient euch“, sagt der Stabsunteroffizier, während er das Spülwasser in eine Schüssel gießt. Das soll ein Einzelkämpfer sein? Wo bleibt die „Verpflegung aus der Natur?“ Stattdessen gibt es Schinken und Wurst! Etwas zaghaft fragen wir, wo denn die Einzelkämpfer seien, oder vielmehr die, die es werden wollen. „Die sind dort drüben in dem Dickicht“ antwortet der Stabsunteroffizier unterm Geschirrspülen. „Hier ist nur das Zelt der Ausbilder. Das eigentliche Lager mit den Laubhütten liegt dort hinten.“ Etwas erleichtert machen wir uns auf den Weg. Aber ein Weg ist es eigentlich gar nicht, eher ein schmaler Pfad, der sich verschlungen und nur kennzeichnet durch weiße Stoffstreifen an einigen Bäumen – Orientierungshilfen bei Nacht – ins Innere des dämmerigen Dickichts drängt. Nur auf ihm dürfen sich die Fahnenjunker bewegen. Zu gut könnte sonst der angenommene Feind aus der Luft das Lager an den vielen Trampelpfaden erkennen. Eine einzige Spur ist dagegen schwerer zu entdecken. Noch aus wenigen Schritten Entfernung sind die Laubhütten kaum zu sehen. Eine von ihnen sieht aus wie eine umgestürzte Fichte. Eine ausgezeichnete Tarnung. Ebenfalls schlecht zu erkennen sind die kleinen Feuer, die vor jeder Hütte brennen. Obwohl es doch gestern regelrecht gegossen hatte, wie uns der Ausbilder erzählte, entwickeln die Feuer kaum Rauch. Unter unseren Stiefeln jedoch gibt der Waldboden noch feucht-schmatzend nach. Die Fahnenjunker, einige von ihnen hängen gerade ein paar Kleidungsstücke zum Trocknen ans Feuer, sehen uns verwundert entgegen. „Was machen zwei Mannschaftsdienstgrade in ihrem Lager?“ sagen ihre Mienen. Doch nach den ersten Erklärungen ist der Kontakt schnell hergestellt. Mit einem Stabsunteroffizier OA – auch das gibt es bei der Bundes-wehr – kommen wir ins Gespräch. Während er einen mageren Hasen über einem Spieß festbindet, erzählt er: „Jede Gruppe bekam gestern einen lebendigen Hasen. Natürlich keinen Feldhasen, sondern einen in einer Holzkiste. Dem mußten wir den Garaus machen. Schließlich steht auch das Fallenstellen auf unserem Ausbildungsplan, und da wir das hier nur theoretisch machen können, mussten sie uns schon einen Hasen liefern, wenn wir das waldgerechte Auseinandernehmen lernen sollten.“

„Das Training ist hart, erfordert große körperliche Leistungen und viel Willenstärke,“ sagen die Fahnenjunker wie aus einem Munde. „Man muss den inneren Schweinehund überwinden. Auch gefährlich? „Eigentlich nicht. Sogar beim Abseilen im Steinbruch ist man kein Risiko eingegangen, das auf Kosten unsererSicherheit und Gesundheit gehen könnte.“

Dennoch verletzt sich immer wieder jemand, fast immer nur geringfügig, wird krank oder bekommt eine Muskelzerrung. Solche Ausfälle tragen dazu bei, dass von jedem Lehrgang nur ungefähr die Hälfte das Ziel erreicht: das Einzelkämpferabzeichen.

Über dem Feuer dreht sich inzwischen der Hase. „Endlich mal ein ordentlicher Bissen“, sagt ein Fahnenjunker. Die ersten drei Tage im Waldlager gab es nur Grünkost von der Wiese. Als Zugabe zum selbstfabrizierten Mittagessen teilten die Ausbilder pro Mann eine rohe Kartoffel aus. „Mann, war das eine Freude.“ Und im gleichen Atemzug: „Mensch, habt ihr nicht ’ne Zigarette für mich?“

Das klingt, als ob er ein paar Tage lang nicht mehr geraucht hätte. Und so ist es auch. Das Rauchen ist den angehenden Einzelkämpfern während des Waldlagers verboten. Dafür rauchen ihnen die Ausbilder in den kurzen Pausen etwas vor. „Das reicht ja auch“, sagte einer von ihnen.

Der Fahnenjunker zieht ein Verbandspäckchen aus seiner Jackentasche, öffnet es und holt zwischen Mullbinden ein Markstück heraus. „Das ist meine Reservemark“, erklärt er. „Wir dürfen nämlich offiziell nur zwei Mark dabeiha-en. Und die hier, die „geheime“, habe ich mir mitgenommen für den Fall, daß jemand kommt, der für mich Zigaretten holen könnte.“ Die Mark wechselt den Besitzer. Wir versprechen, ihm die Zigaretten zu besorgen. „Aber sagt ja nichts den Ausbildern!“

Die Pause ist zu Ende. Nur ein Küchendienstler bleibt an jedem Feuer zurück. Die übrigen müssen auf der nahen Wiese zur Nahkampfausbildung antreten. Wir wollen uns gerade anschließen, als Major Friedrich Ochsenkühn, der Chef der 12. Inspektion, und Hauptmann Hans-Uwe Herrmann, sonst Hörsaal-, jetzt Lagerleiter, von einer Inspektionsfahrt zurückkommen. Am Tisch vor dem Ausbilder-elt erklären die beiden Offiziere uns das Wichtigste. „Jeder Einzelkämpferlehrgang dauert sechs Wochen. Offiziere nehmen freiwillig daran teil. Unteroffiziere des Heeres werden auf den Lehrgang befohlen. Die Offiziersanwärter, mit denen wir zur Zeit im Waldlager sind, haben das Einzelkämpfertraining als festen Bestandteil ihrer Ausbildung zum Offizier des Heeres“, beginnt Major Ochsenkühn.

„Alle Fahnenjunker haben vor dem Lehrgang eine EKG-Untersuchung durch-aufen. Nur diejenigen, die für völlig gesund befunden wurden, kamen zu uns nach Hammelburg.“ Das Einzelkämpfertraining teilt sich in die beiden Abschnitte „Die auf sich gestellte Truppe“ und „Das Jagdkommando“.

Dabei könnte sich im ersten Abschnitt zum Beispiel folgende Situation ergeben: Eine Panzerbesatzung ist vom Feind überrollt worden und muss sich nun in feindlichem Gelände zur eigenen Truppe durchschlagen. Die Soldaten sind völlig auf sich gestellt, und trotz aller Schwierigkeiten müssen sie ihre Kampfkraft nach Möglichkeit erhalten und, wenn es geht, dem Feind Schaden zufügen.

Das Jagdkommando dagegen hat sein Aufgabengebiet bewusst hinter den Feindeslinien. Sein Ziel könnte etwa das Ausheben eines feindlichen Stabes, das Sprengen von Brücken oder die Zerstörung von Fernmeldeverbindungen sein.

Zur Erfüllung all dieser Aufgaben ist ein gutes Zurechtfinden im Gelände oberstes Gebot. „Für einen Einzelkämpfer darf es einfach kein schwieriges Gelände geben. Mit einfachsten Mitteln muss er mit Geländehindernissen fertig werden“, erklärt Hauptmann Herrmann. Besonderer Wert wird dabei auf das Abseilen von Steilhängen, Brücken und Gebäuden sowie das behelfsmäßige Überqueren von Schluchten und Flüssen gelegt.

„Den Steinhang haben die Fahnenjunker schon hinter sich“, verrät Major Ochsenkühn. „Wir haben da einen alten Basaltsteinbruch, der geradezu ideal für unser Training ist.“ Wie uns die Fahnenjunker berichteten, müssen sie beim Abseilen Sturmgepäck und Gewehr am Mann behalten. Nur der schwere Rucksack wird „solo“ abgeseilt. (Der Stabsunteroffizier OA holte sich dabei an seinem „edelsten“ Körperteil eine fünf Zentimeter lange Brandblase. Das Seil war durchgerutscht, als er an der Wand ging.)

Mit Verletzungen ist bei einem Einzelkämpfer-Lehrgangs immer mal zu rechnen. Dementsprechend sind die Sicherheitsvorkehrungen. Aber Ein gut durchtrainierter Körper reagiert schneller und verhindert so Verletzungen vor alleine. Aus diesem Grund wird auch der Nahkampfausbildung breiter Raum eingeräumt, d.h. einer Körper schulung, die unter anderem Mittel- und Langstreckenläufe, Gymnastik ohne und mit Gerät in Verbindung mit Circuit Training, Bodenturnen, Fallübungen und Hindernisschwimmen umfaßt. (Die körperlichen Leistungen der Lehrgangsteilnehmer werden am Ende der sechs Wochen in einer Sportleistungsprüfung getestet.) Die Nahkampf ausbildung, wie wir sie in Waldlager der Offiziersanwärter zu sehen bekamen, sal jedoch etwas anders aus Aber davon später.

Major Ochsenkühn kommt noch einmal auf das Überleben und Bewegen in feindlichem Gelände zu sprechen „Viel sehen, ohne selbst gesehen und gehört zu werden, das muss der oberste Leitsatz eines jeden Einzelkämpfers sein, wenn er sich in Feindesgebiet befindet. Sein gefechtsmäßiges Verhalten zeigt sich dann darin, dass er nur nachts marschiert, und dann noch wenn möglich das schwierigste Gelände, um dem Feind ja aus dem Wege zu gehen, und dass er sich tagsüber im dichtesten Unterholz verborgen hält“

Um diese beiden Gebote erfüllen zu können, muss der Einzel-kämpfer wissen, wie man Verstecke, und feldmäßige Unterkünfte anlegt, wie man Feuerstellen möglichst unsichtbar macht und trotzdem ein gutes Feuer unterhält, wie man sich Trinkwasser verschafft und es aufbereitet, wie man behelfsmäßig Truppenverpflegung zubereitet, Nahrungsmittel aus der Natur verwendet, Angelgeräte und Wildfallen baut.

Hauptmann Herrmann fährt fort: „Egal ob bei Tag oder Nacht und egal bei welchem Wetter muss sich ein Einzelkämpfer in jedem Gelände zurechtfinden, er muss und Zeichen richtig erkennen können und das „Tarnen und Täuschen“ aus dem Effeff beherrschen.“

Nicht genug damit gehört auch eine Pionierausbildung zum Einzelkämpfer-Lehrgang. Dabei zeigen die Ausbilder den jungen Soldaten, wie man Sprengladungen herstellt und an Übungsprojekten von militärischem Interesse anbringt.

Ferner soIlen die Lehrgangsteilnehmer ihre Kenntnisse in der Fernmeldeausbildung vertiefen. So lernen sie zum Beispiel, sich in ein feindliches Fernmeldenetz einzuschalten und auch größere Entfernungen über Funk zu überbrücken. Ein weiterer Kernpunkt ist darüber hinaus die Sanitätsausbildung. Das Bergen von Verwundeten und ihr Transport unter feldmäßigen Bedingungen will gelernt sein.

Von irgendwoher ertönen jetzt Kommandos. Die Nahkampfausbildung scheint im Gange zu sein. Wir brechen mit Hauptmann Herr-mann auf und kommen auf einem Waldweg gerade noch zurecht, um zu sehen, wie rund dreißig Fahnenjunker nach den Intervallkommandos eines Ausbilders den Stockangriff und die richtige Abwehr üben.

„Mann, machen Sie nicht schlapp“, legt der Ausbilder gerade los. Einer der Offiziersanwärter hat die Stockabwehr etwas müde ausgeführt und seinen „Gegner“ nur ohne viel Anstrengungen zu Boden gleiten lassen. Aber Erschöpfung sehen die Ausbilder nicht gerne. „Sie müssen den Mann richtig über die Schulter werfen. Aber heute abend werden wir ja sehen, ob Sie noch durchhalten“, wettert der Stabsunteroffizier.

Am Abend soll ein Orientierungsmarsch über zehn Kilometer beginnen. Gegen 20 Uhr ist es soweit. jeweils zwei Fahnenjunker bilden einen Trupp, dann gibt ein Ausbilder die Kompasszahlen aus. Karten bekommen die Soldaten nicht. Die Kompasszahl allein muss reichen, den richtigen Weg zum Ziel zu finden.

Als die ersten Trupps später ins Lager zurückkehren, sieht man den Gesichtern der Soldaten zum ersten Mal deutlich die Anstrengungen der letzten Tage an. Doch noch können sie sich nicht in ihre feucht-kalten Laubhütten zum Schlafen zurückziehen. Kaum ankommen, werden sie auf einen Lkw geladen und acht Kilometer in unbekanntes Gelände gefahren. Dort lautet der Befahl „Wegtreten in die Unterkunft“. Die Ausbilder wollen wissen, wie gut sich die Fahnenjunker in unbekanntem Gelände zurechtfinden und wie schnell sie wieder bei der eigenen Truppe ankommen.

Die ersten waren nach Mitternacht zurück im Waldlager. Dass sie nur knappe Minuten zum Ein schlafen brauchten, ist nicht verwunderlich.

Lange, strapaziöse Märsche sind während der Einzelkämpfer-Ausbildung keine Seltenheit. Oft beginnen sie mit einem nächtlichen Alarm, und dann werden die Lehrgangsteilnehmer mit voller Ausrüstung auf eine vierzig Kilometer lange Marschroute geschickt. Gefechtsaufträge wie das Ausheben eines Bataillonsgefechtstandes oder das Legen eines Hinterhalts sind dabei zermürbende „Abwechslungen“.

Der nächste Morgen brachte schönes, nicht zu warmes Wetter. Er brachte aber auch die letzten Stunden des Waldlagers. Hauptmann Herrmann: „Heute beginnt die achtägige Abschlussübung. Zu Fuß geht es zurück nach Hammelburg. Das sind rund 140 Kilometer. Und natürlich marschieren die Fahnenjunker mit ihrem ganzen Gepäck – bei Nacht, wie es sich für einen Einzelkämpfer gehört. Tagsüber müssen sie sich ein Versteck suchen. Selbstverständlich sind auch bei diesem Marsch mehrere Gefechtsaufträge vorgesehen. Da lohnt es sich nicht, einen Schlafsack mitzunehmen! Die Soldaten müssen ständig in Alarmbereitschaft sein.“

Selbst die letzten Stunden im Waldlager bei Hirzenhain bringen für die Soldaten keine Ruhepause. Noch einmal werden sie von den Ausbildern zur Nahkampfausbildung auf die Wiese geschickt. Die Offiziersanwärter erfahren, wie man sich lautlos an einen feindlichen Soldaten heranschleicht und ihn mit einer dünnen Seilschlinge so schnell kampfunfähig macht, dass er seine Kameraden nicht mehr durch Rufe warnen kann. Einer der Ausbilder entwickelt dabei die etwas sonderbare Theorie von „Gefangene werden keine gemacht“, mit der er jedoch bei den Fahnenjunkern auf Ablehnung stößt. Haupt-mann Herrmann hatte uns gegenüber hatte er in Übereinstimmung mit dem Chef der Inspektion erklärt: „Alle Einsätze der Einzelkämpfer werden im Ernstfall mit der Kampfführung der Bataillone abgestimmt. Die Einzelkämpfer betreiben keinen Guerillakampf. Wenn sie sich auch im feindlichen Gebiet aufhalten, tragen sie doch keine Zivilkleidung, sondern sind an ihrer Uniform deutlich als Soldaten zu erkennen. Dass sie bei ihren Sondereinsätzen die Bestimmungen der Genfer Konvention einhalten, ist selbstverständlich.“

Aber auch das gehört zur Ausbildung: Ein Fahnenjunker wird an den Händen gefesselt und zwischen zwei Bäumen festgebunden. Er soll am eigenen Leib verspüren, wie schmerzhaft es ist, wenn die beiden Seile an seinen Handgelenken plötzlich angezogen werden. Zwei seiner Kameraden übernehmen diese Aufgabe. Einer von ihnen zieht etwas zu heftig. Der Gefesselte stöhnt „Hör auf, du Depp.“ – Was haben Sie gesagt? Entschuldigen Sie sich“, fällt der Ausbilder ein. Aber der Fahnenjunker schweigt verbissen. „Anziehen“, befiehlt der Stabsunteroffizier. Die beiden Fahnenjunker ziehen an den Stricken. Doch soviel sie auch ziehen, ihr Kamerad sagt keinen Ton. Nur hinterher, als man ihm die Stricke wieder abgenommen hat, flucht er leise durch die Zähne. Seine Hände sind blau angelaufen, und an den Handgelenken haben sich die Stricke mit jeder Faser millimetertief ins Fleisch geprägt. „Beinahe wär’s mir schwarz vor den Augen geworden“, sagt er. Doch der Ausbilder winkt ab. „Sie hätten sich ja entschuldigen können.“

Und weiter geht’s in der Nahkampfausbildung, einer Mischung aus Judo und Karate. „So geht das jeden Tag zwei Stunden, immer die Stimme des Ausilders im Ohr.“ Der junge Offiziersanwärter sagt es nicht gerade begeistert. „Aber natürlich will jeder von uns den Lehrgang durchhalten. Dazu stachelt uns schon unser Ehrgeiz an. Nur müssen wir uns jeden Tag neu überwinden. Und wenn erst einmal einer resigniert hat, ist das Lehrgangsziel für ihn meist schon verloren.“

Die Fahnenjunker stehen sie die Tage verbissen durch in der Hoffnung, dass alles einmal zu Ende geht. Was sie jedoch nicht wissen: Auch die Stabsunteroffiziere und Offiziere, die Ausbilder und Hörsaalleiter, warten auf das Ende des Waldlagers, warten auf das Ende des Lehrgangs über-haupt. „Die Offiziere der Inspektion müssen alle sehr verständige Frauen haben“, verrät Hauptmann Herrmann. Oft kommen wir tagelang nicht nach Hause,“ Und halb lachend, halb ernst meint er: „Mein Sohn sagt zwar nicht Onkel zu mir, aber …“ Auch hier also Probleme denen man fertig werden muss. Im Gegensatz zu denen der Lehrgangsteilnehmer wiederholen sie sich jedoch sechs Wochen aufs Neue. Denn nur drei Tage liegen zwischen dem Ende des einen und dem Beginn eines neuen Lehrgangs. Den jungen Hauptleuten bleibt nur die Gewissheit, dass sie nicht für immer in Hammelburg bleiben den. Haben sie sich als Hörsaalleiter bewärt, ist eines Tages mit einer Beförderung zu rechnen. Dann sieht der Sohn seinen Vater wieder an jedem Wochenende.

Die Nahkampfausbildung ist zu Ende. Die Fahnenjunker machen sich zum Abmarsch fertig. Bald wird Waldlager verlassen daliegen, werden nur noch die leere Laubhütten und erloschene Feuerstellen an die durchgestandene Strapazen, ankörperlich und geistige Belastungen erinnern. Auf der Heimfahrt findet sich zwischen Notizzetteln und Informationsschriften ein Bericht des Verteidigungsministeriums. „Die Einzelkämpferausbildung im Heer“ ist überschrieben. Darin heißt es: „Die Formen des modernen Krieges verlangen von jedem Soldaten erhöhte körperliche Leistungen so Entschlossenheit und Willensstärke. Große Abwehrräume, oft nicht zusammenhängende Fronten und ein rücksichtslos kämpfender Gegner lassen für alle Truppenteile jederzeit Feindberührung zu. Um einer solchen Art der Kriegsführung gerecht werden können, bedarf es einer besonderen Ausbildung, der Einzelkämpferausbildung. Hier werden Offiziere und Unteroffiziere dazu ausgebildet, unter erschwerten Bedingungen zu kämpfen und zu führen, sich in jeder Lage zurechtzufinden, aufgrund eigener Entscheidungen zu handeln und ihre Kenntnisse an die ihnen anvertrauten Soldaten weiterzugehen.“ Und weiter steht dort: „Sie sind Vorbild ihrer Soldaten in selbstlosem Einsatz!“ Verbissen, manchmal fluchend haben sie die Ausbildung durchgestanden. Das Zeichen der Einzelkämpfer an ihrer Uniformjacke wird sie daran täglich erinnern.

Und ehe wir’s vergessen: Die Zigaretten haben wir dem Fahnenjunker natürlich wie versprochen heimlich zugesteckt.

Juni 1969