Wohin steuert der DJV?

Der DJV hat Probleme mit seiner Größe. Er ist zu schnell in zu viele Richtungen gewachsen. Größe allein sichert die Existenz nicht. Das lehrt die Geschichte. Und das lehrt der Eklat Berlin/Brandenburg. Der dadurch entstehende Schaden für den DJV intern wie öffentlich ist noch nicht zu ermessen. Beginnt hier ein ohnehin fragiles Verbandsgebilde auseinander zu brechen?

Einer der letzten öffentlichen Auftritte von Bundespräsident Johannes Rau galt dem „Netzwerk Recherche“. Ohne großen finanziellen Aufwand und ohne einen großen Stab hauptamtlicher Mitarbeiter ist in wenigen Jahren aus einem zunächst losen Zusammenschluss einiger „Edelfedern“ des deutschen Journalismus eine Vereinigung geworden, die in der Öffentlichkeit Duftmarken zu setzen versteht. Im „Netzwerk Recherche“ Mitglied zu sein, gilt anscheinend als honorig. Prominenz lässt sich bei seinen Veranstaltungen gerne sehen. Seine Presseerklärungen werden in den Medien gerne aufgegriffen. Auf den richtigen Seiten von Politik, Wirtschaft und Medien. Mit Trauerspielen wie dem in Berlin/Brandenburg schafft es der DJV gerade mal ins „Vermischte“ .

Dem DJV erwächst durch das „Netzwerk Recherche“ im Sektor „Berufsverband“ eine ernstzunehmende Konkurrenz. Aus dem Sektor „Journalistengewerkschaft“ hält sich das Netzwerk dagegen bewusst heraus. Gewerkschaften insgesamt haben in der Gesellschaft kaum noch „Konjunktur“. Mit gewerkschaftlichen Engagement lässt sich in der Öffentlichkeit kaum noch punkten.

Im DJV stand lange Zeit die Tarifpolitik im Mittelpunkt des Handelns. Die so zu Stande gekommenen Tarifverträge können sich sehen lassen. In der Praxis werden Tarifverträge aber zunehmend bedeutungsloser; in Verhandlungen mit den Arbeitgebern weitergehende tarifliche Verbesserungen zu erreichen, ist schier unmöglich. Gewerkschaftliche Tarifpolitik degeneriert zur Verteidigung des Status quo. Tarifliche Forderungen wie die nach Nacht- und Feiertagszuschlägen wirken in dieser Situation häufig hilflos.

Die Masse der Mitglieder nimmt dies eher uninteressiert bis teilnahmslos hin. Zum einen aus Gründen der Resignation, zum anderen, weil diese Tarifverträge sie gar nicht betreffen: Die Zahl der freien Journalisten im DJV ist in den vergangenen Jahren überproportional gewachsen. Der DJV hat sie gerne aufgenommen. Dabei hat der eine oder andere Landesverband die Aufnahmerichtlinien eher lax ausgelegt. Auf diese Weise kam so mancher in den Besitz eines Presseausweises, der ihn als „Journalist“ auswies, der seinen Lebensunterhalt mit vielem verdiente, am wenigsten aber mit Journalismus.

Nach zahllosen miterlebten Debatten in den vergangenen zehn Jahren drängt sich der Eindruck auf, dass es eine nicht unerhebliche Zahl von Mitgliedern gibt, die den DJV als eine Art „Türöffner“ betrachten. Von der DJV-Mitgliedschaft versprechen sie sich auch und gerade den Einstieg in diesen Beruf. Ihre Erwartungshaltung ist groß; manche ihrer Ansprüche an den DJV sind unerfüllbar.

Wohin steuert der DJV? Als Wegbereiter für arbeitssuchende Seiteneinsteiger ist er  nicht gegründet worden. Wohl aber für festangestellte Redakteure und ausgewiesene freie Journalisten. Inzwischen hat der Stellenabbau in den Redaktionen drastisch zugenommen, der Zahl der arbeitslosen Journalisten hat eine neue Rekordhöhe erreicht, und ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Die Zahl fest angestellter Redakteure wird weiter zurück gehen, die der echten und vorgetäuschten „Freelancer“ weiter ansteigen, d. h. die Mitgliederstruktur des DJV wird sich weiter verändern, das Serviceangebot des DJV sich entsprechend verlagern. Mit dem Ergebnis, dass so mancher fest angestellte Redakteur den DJV nicht mehr als seine Heimat betrachten und ihn verlassen wird, wenn der DJV nicht gegensteuert.

Bei seiner Gründung war er der DJV als Berufsverband angelegt; nur mühsam und nach vielen internen Machtkämpfen gewann das „gewerkschaftliche Lager“ Oberhand. Es ist nicht zu vermuten, dass der DJV in den nächsten Jahren nennenswerte Erfolge in der Tarifpolitik wird vorweisen können. Diese Entwicklung ist für den DJV in seiner Doppelfunktion als Berufsverband und Gewerkschaft existenzgefährdend.  Will der DJV an dieser Doppelfunktion festhalten, muss er den berufsverbandlichen Interessen hauptamtlicher Redakteure und Journalisten mehr als bisher Rechnung tragen. Das „Netzwerk Recherche“ liefert hierfür gute Beispiele. Deshalb findet man prominente Berufskollegen jetzt schon eher im „Netzwerk Recherche“ als im DJV.

Es muss dem DJV gelingen, diesen Trend zu stoppen; er muss wieder zum Synonym für Qualitätsjournalismus und gewerkschaftliche Interessenvertretung gleichermaßen werden. Er muss das eine tun, ohne das andere zu lassen. Und er muss dabei verstärkt auf Klasse statt auf Masse setzen. Es muss einem seriösen hauptberuflichen Journalisten (wieder) zur Ehre gereichen, im DJV Mitglied zu sein.

Lothar Kaiser

(Dieser Artikel diente zunächst der internen gewerkschaftlichen Diskussion – im DJV-Bundesfachausschuss „Rundfunk“ und im DJV-Gesamtvorstand auf Bundesebene. Allgemein zugänglich ist er an dieser Stelle seit dem 4. Oktober 2005)