Neue Nutzung für alte Zechenbrachen

Im Ruhrgebiet wurden in den vergangenen vierzehn Jahren bis heute 54 Schachtanlagen und 14 Kleinzechen stillgelegt. Zuletzt traf es im April die Verbundzeche Ewald/Hugo in Herten/Gelsenkirchen. Um die alten Zechenbrachen kümmern sich das Land und der Essener RAG-Konzern gemeinsam. Denn in Sachen Strukturwandel im Revier ziehen Politiker und Unternehmer an einem Strang. In den kommenden drei Jahren will der RAG-Konzern im Ruhrgebiet 500 Hektar – fünf Millionen Quadratmeter gleich 1000 Fußballfelder – für neue Nutzungen bereitstellen. Die ehemaligen Bergbauflächen sollen allerdings nur teilweise veräußert werden. Vielmehr will der Konzern dort auch selbst investieren. In den Wohnungsbau und im Gewerbeflächen.

Gesendet am Donnerstag, 31. August 2000, in „Westblick“ auf WDR 5

Von Lothar Kaiser

O-Ton: Unser Land braucht auch in Zukunft große Einheiten wie die RAG, die den Strukturwandel im Ruhrgebiet weiterhin aktiv betreiben.

Peer Steinbrück, früher Wirtschafts- und jetzt Finanzminister des Landes Nordrhein-Westfalen, weiß, dass ein Strukturwandel im Ruhrgebiet ohne Geld aus der Staatskasse nicht möglich ist – allein schon für die Herrichtung von schadstoffbelasteten Zechenbrachen. Er weiß aber auch, dass der größte Besitzer solcher Brachen, der Essener Energie- und Technologiekonzern RAG, ebenfalls in der Verantwortung steht. Das bestätigt auch dessen stellvertretender RAG-Vorstandsvorsitzender Wil-helm Beermannn:

O-Ton: Wir unterstützen nach Kräften den Strukturwandel in den Bergbauregionen – mit der Aufbereitung und Entwicklung ehemaliger Bergbauflächen für neue Aktivitäten und vielem anderen mehr.

Ohne die Ansiedlung neuer Industrie- und Wirtschaftszweige wäre ein erfolgreicher Strukturwandel im Ruhrgebiet undenkbar. Und ohne Grundstücke keine Ansiedlung. Dafür ist im RAG-Konzern die Montan-Grundstücksgesellschaft zuständig, die MGG. Geschäftsführer Dr. Peter Noll:

O-Ton: Wenn ein Bergwerk still gelegt wird, begleiten wir den geordneten Rückzug des Bergbaus und versuchen, mit den jeweiligen Kommunen Nutzungskonzepte zu entwickeln passgenau auf diesen Standort. Der Anteil der betrieblich nicht mehr benötigten Flächen ist rund 2.500 Hektar im Augenblick. Vom Niederrhein bis nach Ahlen im östlichen Ruhrgebiet sind das rund 165 Standorte. Wenn wir die morgen auf den Markt bringen, schlagartig ist der Grundstücksmarkt im Ruhrgebiet tot. Von da her sind wir bestrebt, nicht alle Standorte gleichzeitig entwickeln, das macht keinen Sinn, sondern Prioritäten setzen, das ist absolut notwendig.

Die Konzepte müssen auf die alte Nutzung Rücksicht nehmen. Wo der Untergrund besonders stark mit Schadstoffen behaftet ist, ist ein Golfplatz noch die beste Lösung.

O-Ton: Alte Industriestandorte haben in der Regel Verunreinigungen im Boden. Das heißt, wir müssen sanieren, und von daher bieten diese Flächen oftmals wirklich Hemmnisse, Restriktionen. Wir haben Standorte, die begrünen wir schlicht, wir haben Standorte, das sind reine Wohngebiete, wir haben Industrie- und Gewerbestandorte, also wirklich die gesamte Breite des Nutzungs-spektrums. Ich kann da ein kleines Stadtteilzentrum in Herten-Distel nennen, in der die Schachtanlage Schlägel und Eisen 1/2. Ich kann das Gewerbegebiet Gladbeck-Brauck nennen auf Graf Moltke. Ich kann Minister Stein in Dortmund nennen, Prosper 3 in Bottrop. Also eine Reihe von Projekten, die ehemals Wunden in der Stadt wa-ren, und die wir – immer mit der jeweiligen Kommune – geheilt haben und auf denen heute wieder blühendes Leben ist.

Bislang sorgte der RAG-Konzern dafür, dass auf alten Zechengrundstücke insgesamt 4000 Hektar neue Wohnviertel und attraktive Naherholungsgebiete entstanden und sich dort fast 1500 Industrie- und Gewerbebetriebe ansiedelten. Und in den kommenden drei Jahren kommen weitere 500 Hektar hinzu – das sind fünf Millionen Quadratmeter gleich 1000 Fußballfelder. Doch verkaufen will die RAG ihre ehemaligen Bergbauflächen nur zum Teil, vielmehr will sie dort auch selbst investieren. In Wohnungsbau und in Gewerbeflächen. Und stets in Absprache mit den jeweiligen Kommunen.

O-Ton: Wer Flächenrecycling, Stadtteilentwicklung betreibt, benötigt einen langen Atem. Man kann nicht heute ein Bergwerk stilllegen und morgen neue Betriebe ansiedeln, nicht wir, nicht die Kommune, nicht die Politiker schaffen Arbeitsplätze, sondern Unternehmen. Wir haben die Abläufe weitestgehend optimiert, und gleichwohl muss man wirklich sagen: Um 30, 40 Hektar zu entwickeln, brauchen wir 3, 4, 5 Jahre . Das muss man einfach sehen.

Ein Zukunftsthema im Ruhrgebiet, der größten Industrieregion in Europa, heißt Logistik. Hierunter fällt die ehemalige Schachtanlage „Unser Fritz“ in Gelsenkirchen ebenso wie in Moers die alte Zeche Pattberg oder in Dortmund der ehemaligen Kohle-Hafen Grimberg.

O-Ton: Haben wir eine direkte Anbindung an Autobahnen, dann haben wir schon Möglichkeiten für Logistikstandorte, haben wir vielleicht einen Hafenstandort, haben wir alte Lagerflächen. Wir haben aus der Fülle der Standorte, die wir entwickeln, sieben heraus gegriffen, in der Regel zwischen 25 und 30 Hektar mindestens – diese Standorte haben alle einen Autobahnanschluss, haben in der Regel alle einen Eisenbahnanschluss, und drei haben einen eigenen Hafen. Wir entwickeln diese Standorte ganz gezielt und siedeln dann Logistikbetriebe an, so zum Beispiel in Dortmund auf dem ehemaligen Standort Fürst Hardenberg, vor anderthalb Jahren – Firestone-Reifenverteilzentrum. Letztendlich ist es auch eine nachfrageorientiertes Angebot, und ich denke, dass wir hier einen Zeitraum von fünf Jahren ansetzen müssen.