Die Ruhrgas AG auf Einkaufstour Im Vorfeld des Liberalisierten Gasmarktes

Nach dem Strommarkt steht nun auch der Gasmarkt kurz vor der Liberalisierung, die dem Verbraucher niedrigere Preise als Folge stärkeren Wettbewerbs bringen soll. Und die Gasanbieter? Die rangeln zur Zeit um gute Ausgangspositionen auf diesem liberalisierten europäischen Gasmarkt. Kaum ein Tag, an den nicht irgendwelche Firmenzukäufe Schlagzeilen machen. So meldete etwa am 04. Juli 2000 die Essener Ruhrgas AG, der größte deutsche Erdgas-Verkäufer, seinen Einstieg bei den Stadtwerken Darmstadt. Und auch andere Energiekonzerne sind auf Einkaufstour.

Gesendet am Dienstag, 4. Juli 2000, in „Profit“ auf WDR 5

Von Lothar Kaiser

Im Juni meldete die Essener Ruhrgas ihren Einstieg bei den Stadtwerken Hildesheim. Heute nun folgt die Kooperation mit der Hessischen Elektrizitäts-AG und der Südhessischen Gas- und Wasser AG. An der Versorgung von Hildesheim mit Strom, Erdgas, Fernwärme und Wasser wird die Ruhrgas künftig durch Übernahme von 24,8 Prozent der Anteile der Hildesheimer Stadtwerke beteiligt sein. Halb so groß ist zunächst die Beteiligung an den beiden Energieversorgern in Darmstadt und Südhessen über eine neue Holdinggesellschaft. Aber auch dort ist ein 25-Prozent-Paket das Ziel, die Zustimmung des Bundeskartellamtes vorausgesetzt.

Die Einkaufstour der Ruhrgas AG begann vor zwei Jahren und ist noch lange nicht zu Ende. Satte zwei Milliarden Mark hat Ruhrgas in den vergangenen beiden Jahren für Beteiligungen an Projektgesellschaften, Energie- und Industriebeteiligungen ausgegeben. Allein eine Vier-Prozent-Beteiligung am russischen Gasriesen Gazprom ließen sich die Essener 1,6 Milliarden Mark kosten. Wie teuer der Einstieg bei kleineren Unternehmen wie den Stadtwerken von Hildesheim oder Darmstadt ist, verrät die Ruhrgas dagegen nicht. Das geht die Konkurrenz nichts an.

Inzwischen ist sie an etwa dreißig regionalen Versorgern und Verteilunternehmen beteiligt – in Deutschland, Tschechien, Polen, Estland, Lettland, Schweden und Finnland. Und will diese Zahl innerhalb der nächsten drei Jahre sogar noch verdoppeln. Dafür stehen 2,5 Milliarden Mark bereit. Ruhrgas-Chef Friedrich Späth:

O-Ton: Das sind selbstständige Strategieentscheidungen des Ruhrgasvorstandes, dass wir unsere Geschäftsfelder ausweiten müssen.

Was aber steckt hinter dieser neuen Geschäftspolitik? Die Antwort kennt Professor Dieter Schmitt, Inhaber des 1985 von der Krupp-Stiftung eingerichteten Lehrstuhls für Energiewirtschaft an der Universität Essen:

O-Ton: Es geht ganz simpel darum, dass man auf die Art und Weise seine eigene Wertschöpfungskette verlängert über den Import und den Transport und die Großverteilung bis in die Endverteilung hinein. Man erschließt sich neue Märkte, und meines Erachtens kommt übrigens darin auch zu Ausdruck, dass man auf der Gasseite sehr wohl die Bedeutung gerade großer potenter Stadtwerke zu würdigen weiß und ihnen auch in Zukunft eine durchaus realistische Überlebenschance beimisst.

Denn eines ist klar: Gas kann man am besten an Unternehmen verkaufen, an denen man selbst beteiligt ist. Doch in Deutschland setzt das Bundeskartellamt den Akquisitionsplänen der Ruhrgas enge Grenzen. Im Zusammenhang mit der europäischen Öffnung der Gasmärkte will die Ruhrgas deshalb nicht nur im Ausland verstärkt ihr Gas vermarkten, sondern will dort auch in Energieunternehmen einsteigen, um sie und ihre Kunden enger an sich zu binden. Dabei denkt Ruhrgas-Chef Friedrich Späth …

O-Ton: …. in erster Linie an deren Gasmarkt, aber wir können ja nicht verhindern und wir wollen auch nicht verhindern, da es sich hier um einen Querverbund handelt und dann gehört der Strom eben dazu.

Zum Vorsteuerergebnis des Ruhrgas-Konzerns steuern die Beteiligungen schon heute ein knappes Drittel bei, sind also eine wichtige Ertragssäule des größten deutschen Gasunternehmens. Auch deshalb sieht der Vorstandsvorsitzende Friedrich Späth den Energielieferanten Ruhrgas auf gutem Weg zu einer „integrierten europäischen Gasgemeinschaft“ – in Konkurrenz zur niederländischen Gasunie, der Gaz de France und der italienischen S-N-A-N.

Doch die Konkurrenz schläft nicht. Im liberalisierten europäischen Gasmarkt wollen künftig auch die großen Stromkonzerne mitmischen – und mit verdienen. Professor Schmitt:

O-Ton: RWE ist sicherlich einer der Kandidaten. Die neue EON-Gruppe gehört dazu, und auch die anderen Stromanbieter sind dabei, sich ein Gasbein zu verschaffen. Dies mag bedeuten, dass sich hier eine völlig neue Anbieterkonstellation aufbaut, die man als sehr potent bezeichnen muss, und die könnte durchaus für einen sehr, sehr intensiven Wettbewerb sorgen.