Alte Zechen, neue Arbeit – Strukturwandel und Tradition im Ruhrgebiet

Lange Jahre waren im Ruhrgebiet rotglühende Hochofenfeuer, rauchende Schlote und die rotierende Seilscheiben von Fördertürmen die Sinnbilder des Industriezeitalters. Und heute? Da lockt das Revier mit der Inszenierung dieser einstigen „Kohlenpott“-Wahrzeichen. Zum Beispiel mit Zeche und Kokerei Zollverein in Essen. Doch Industriedenkmale, große wie kleine, gibt es auch anderswo im Ruhrgebiet. Im früheren „Kohlenpott“, dessen Strukturwandel stetig voranschreitet, im „Revier“ mit seiner langen Kohle- und Stahl-Tradition haben es sich gleich zwei Stiftungen – mit finanzieller Hilfe des Landes – zur Aufgabe gemacht, Industriedenkmale zu erhalten oder gar mit neuem Leben zu erfüllen. Die eine sitzt in Dortmund, die andere in Essen.

Gesendet am Donnerstag, 27. April 2000, zwischen 19.20 und 19.40 Uhr in „Ausgewählt“ auf WDR 5

Von Lothar Kaiser

Wer vom Strukturwandel im Ruhrgebiet spricht, kommt an der “ Internationalen Bauaustellung Emscher Park“ nicht vorbei. Die IBA ist an diesem Wandel mit vielen innovativen Projekten beteiligt. Auf alten, aufgegebenen Industrieflächen entwickelte sie überregional bedeutsame Zukunftsstandorte – und erschloss sie durch die „Route der lndustriekultur“ auch touristisch.

Unterhalb eines schnörkellosen, hohen Backsteinbaus steht ein Dutzend Leute. Teils haben sie sich zur Besichtigung der Kokerei Zollverein in Essen-Katernberg ganz spontan entschlossen.

O-Ton: Das war der Zufall. – Ja, ein Ausflug. – Hab’n so’nen Rundweg gemacht, und da haben wir das hier gesehen.

O-Ton Schlüssel im Schloss

Eine rostige Eisentüre öffnet sich. Im Halbdunkel dahinter ein hochgewachsener Mann.

O-Ton Türe fällt zu

O-Ton: Mein Name ist Hermann Tappe Ich war mal neun Jahre auf der Kokerei tätig als Obersteiger Ich kann Ihnen viel erzählen. Wir gehen jetzt als erstes über das Außengelände, denn wir müssen eine Treppe steigen. Ich geh mal vor.

O-Ton Treppensteigen

Zugegeben, der Aufstieg auf das Dach des alten Kohlemischturms über eine eiserne Außentreppe ist ein wenig mühsam. Auch für Obersteiger Hermann Tappe.

O-Ton: Ein bisschen außer Atem, nicht? – Ja /Lachen. Und von hier aus hat man nun den besten Überblick über die Anlage.

Weit schweift der Blick über die Koksofenbatterien. Sechs Kamine überragen ein Gewirr von Stahlträgern, Rohren und Brücken, getrennt durch einen breiter Wassergraben. Aus 10.000 Tonnen Kohle entstanden hier täglich rund 8.600 Tonnen Koks.

Es war der bekannte Industriearchitekt Fritz Schupp, der die Kokerei Zollverein entwarf. Und auch die Zeche, deren doppelter Förderturm in zweihundert Meter Entfernung in den Himmel ragt. Darunter ein Gewirr aus Backsteinbauten, Durchgängen, Bandbrücken. Labyrinthartig. Fachwerk aus Stein und Stahl, funktionale Architektur, nüchtern, imposant, monumental.

O-Ton: Bauhausstil: Glatte Wände, Fenster sind immer genormt – 2 x 6 Meter, entweder waagerecht oder senkrecht. Zur Aufmunterung kleine Erker zurückgebaut, Quadersystem.

Sagt der Maschinenbauingenieur Joachim Seifert. Der ehemalige Bergmann führt regelmässig Besucher durch die historischen Kohleanlagen des RAG-Konzerns, früher Ruhrkohle AG. Auf Zollverein förderten mehr als 7600 Bergleute in Spitzenzeiten 12.000 Tonnen Kohle am Tag.

„Letzte Schicht“ war für die Kumpel am 23.12.1986, für die Koker sechseinhalb Jahre später, am 30. Juni 1993. Die Kokerei ist heute im Besitz der Stiftung „Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“. Die Zeche Zollverein hat eine Stiftung gleichen Namens übernommen, 1998 vom Land Nordrhein-Westfalen und der Stadt Essen gegründet.

O-Ton: Zuerst wusste man ja nicht, was machen wir mit dieser Perle. Dann hat das Land gekauft, und dann wurde die Bauhütte Zeche Zollverein Schacht XII GmbH gegründet, eine Sanierungsgesellschaft, die Halle für Halle denkmalgerecht restauriert hat. Wobei die Nutzer schon vorher ausgewählt wurden. Man hat auf ihre Bedarfe hin restauriert.

Jolanta Nölle ist die Geschäftsführerin der Stiftung Zollverein. Die gelernte Theaterwissenschaftlerin war sieben Jahre lang in der Entwicklungshilfe tätig, bevor sie von Berlin nach Essen zog.

O-Ton: .Jeder Stifter hat je ein Million gestiftet, das Stiftungskapital, von dem wir dann Zinsenerträge bekommen 90 bis 100.000 im Jahr. Die dürfen wir dann ausgeben zur Erfüllung des Stiftungszweckes. Und dieser Stiftungszweck, das ist Erhaltung des Denkmals Zollverein, die Öffentlichkeitsarbeit dafür und die Öffnung des Denkmals in Richtung Publikum, Besucher, Gäste, Touristen.

Der Anfang war mühsam. Zehn Jahre brauchte die vom Land gegründete „Bauhütte Zeche Zollverein Schacht XII GmbH“ für die Sanierung der Anlage. Zechenführer Joachim Seifert:

O-Ton: Jede Halle wird bis zur Grundmauer abgerissen – so morsch ist das, baufällig. Die Riegel sind durchgerostet. Das einzige, was stehen bleibt, sind die Stützen – das ist noch gut. Dann kommen da neue Riegel rein. Die Steine – da gibt es so’ne ABM-Maßnahme -, die werden von Hand gesäubert. Und nach alten Zeichnungen wird die Außenhaut wieder hochgezogen. 100 Millionen Mark sind bis jetzt verbaut worden. 60% die EU, 20% der Bund, 10% das Land und 10% die Stadt Essen.

Inzwischen sind zwei Drittel der Anlage saniert. Und werden für Kongresse, Ausstellungen, Konzerte, Tanz- und Theaterfestivals genutzt. Das ehemalige Kesselhaus der Zeche beherbergt das Design-Zentrum NRW: Rund 900 Produkte, ausgezeichnet in Form und Funktion, auf mehr als 4000 Quadratmetern.

O-Ton: Das Kulturbüro ist auch ein großer Mieter auf Zollverein und verwaltet eine große Halle als Bürger-Begegnungszentrum. Dann gibt es Interartes, das ist eine Firma, die arbeitet an Filmen über Tanz, Theater. Die kleineren, das sind Grafikerfirmen, einzelne Designer, die sowohl mit Schmuck, mit Möbel-Design, mit Fotografie zu tun haben.

Aufgabe der Stiftung ist es, Zollverein als Kulturzentrum weiter auszubauen. Doch allein von den Zinsen aus zwei Millionen Mark Stifterkapital wären die Personalkosten und Öffentlichkeitsarbeit nicht zu finanzieren.

O-Ton :Es gibt verschiedene Finanzierungsquellen, befristete und unbefristete. Die größte Quelle bekommen wir von der Landes-Entwicklungsgesellschaft GmbH Nordrhein-Westfalen, vom Land, wenn Sie so wollen, 800.000 im Jahr. Für Dienstleistungen zum Beispiel, Organisation von Konzerten, Ausstellungen; Öffentlichkeitsarbeit, Druck von Prospekten, Erstellung von Büchern, Plakaten, Aktionen und Kulturprojekte.

Dem Kuratorium der Stiftung Zollverein gehören namhafte Vertreter aus Politik und Wirtschaft an. Mit ihrer Hilfe erhofft sich die Stiftung finanzielle Unterstützung. Karl Starzacher, der Vorstandsvorsitzende des RAG-Konzerns, ist stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender:

O-Ton: Ich denke, das meine Wahl mit der Erwartung verbunden ist, dass die RAG sich hier engagiert. Und ich denke, dass wir diese Erwartung nicht enttäuschen werden. Orientiert an einer Aufgabe und dem damit verbundenen Aufwand muss man Zustiftungen einwerben und Spenden, und da werden wir uns sicher beteiligen.

Sollen große Industriedenkmale wie Zollverein in Essen auf Dauer erhalten werden, reichen öffentliche Gelder nicht aus. Aber wie kommt man an private Spenden? Geschäftsführerin Jolanta Nölle:

O-Ton: Die längerfristig angelegte Mittelakquise in Richtung Zustiftungen großer Spenden gehört natürlich zu den Aufgaben der Stiftung. Daher hat das neu konstituierte Kuratorium der Stiftung Zollverein beschlossen, dass wir einen Förderkreis gründen sollen. Da müsste ich 200 Jahre alt werden, um die Gelder zu akquirieren, die wir brauchen, etwa ab 20 Millionen. Damit wir im Jahr dann zwei Millionen haben als Zinserträge.

Millionenbeträge verwaltet auch die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur in Dortmund. Sie entstand 1995 auf Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen und des RAG-Konzerns. Zur Gründung habe damals die Erkenntnis geführt, so Wilhelm Beermann von der RAG, …

O-Ton: … dass es besser ist, einige Objekte in diese Stiftung hineinzubringen, um sie eben der Nachwelt zu erhalten, im übrigen dann aber auch einen gewissen Freiraum für die Folgenutzung der Industriebrachen zu bekommen.

Für ausgediente Bergbauflächen ist im RAG-Konzern die Montan-Grundstücksgesellschaft zuständig. MGG-Geschäftsführer Dr. Hans-Peter Noll

O-TON: Ein Fördegerüst hat eine ganz bestimmte Funktion. Wenn diese Funktion nicht mehr gegeben ist, ist es nur ein Gerüst, was alle 10 Jahre gestrichen werden muss. Das kostet eine Million in der Regel. Solche Fördergerüste können eine Last sein, und daher haben wir mit dem Land eine Stiftung gegründet, um repräsentative Einzelobjekte zu sichern, aber dann an anderen Standorten die Freiheit bekommen, dort sinnvolle Dinge zu entwickeln.

Tradition und Strukturwandel, für Dr. Hans-Peter Noll ist das kein Widerspruch.

O-Ton: Es ist viel Geld notwendig, um so etwas zu erhalten und zu betreiben. Gleichwohl hat diese Region auch den Auftrag, Identifikationspunkte zu entwickeln. Zollverein, das ist ein solcher Standort. Aber das muss sehr wohl abgewägt werden, denn dieses geht nur mit öffentlichem Geld, und auch die Unterhaltung ist nicht ganz so einfach.

Das Land Nordrhein-Westfalen brachte in die Dortmunder Stiftung 40 Millionen DM ein. Und der RAG-Konzern? Mit den Grundstücken allein war es nicht getan. Der stellvertretende RAG-Vorstandsvorsitzende Wilhelm Beermann:

O-Ton: Wir haben uns darauf verständigt, jeweils, wenn ein Objekt eingebracht wird, die Abbruchkosten, die wir nicht aufwenden, in die Stiftung zu geben und 2. das Grundstück mit der entsprechenden Zuwegung zur Verfügung zu stellen. 3. wird das Ganze auch noch begleitet mit einer Mannschaft, die Unterhaltungsaufwand betreiben muss.

Die eingesparten Abbruchkosten – das können Millionen sein. Je nach Größe des Objekts.

O-Ton: Das Stiftungskapital darf selber nicht angetastet werden. Das ist in einem Fonds angelegt. Mit diesen Zinserträgen können die Kosten der Geschäftsstelle oder Öffentlichkeitsarbeit oder eben die Sicherungsmaßnahmen, die notwendig sind, um ein Objekt vor dem weiteren Verfall zu retten, bestreiten.

Gabriele Heidner, gelernte Stadtplanerin, ist die Geschäftsführerin der Dortmunder Stiftung. In deren Obhut werden hochrangige Industriedenkmale so lange aufgenommen, bis sich neue Träger mit neuen Nutzungskonzepten gefunden haben. Öffentlichkeitsarbeit soll die Akzeptanz für manch „sperriges“ Monument erhöhen.

O-Ton: In der Anfangsphase gab’s sicherlich nur einen kleinen Kreis in der Fachwelt, die diese Anlagen erhalten wollten und sagten, „das ist ein Denkmal, das ist wichtig für die Zukunft, dass man Geschichtszeugen auch weiter erhält“.

Inzwischen ist der Kreis jener größer geworden, die die Relikte der industriellen Vergangenheit nicht allein als Ballast, sondern auch und vor allem als Verpflichtung ansehen.

O-Ton: Natürlich gibt es immer noch die Widersacher, die sagen, wir brauchen neue Gewerbefläche, hau weg den Scheiß, reiß ab und entwickel hier ein neues Gewerbegebiet. Aber ich denke, man kann zum einen ‘ne gewerbliche Nutzung in diese alten Anlagen reinbringen, als Aushängeschild benutzen, wie man es schon auf Zollverein sehen kann.

O-Ton: Manche z.B. revierferne Besucher, das habe ich selbst schon erlebt, sind sehr beeindruckt von dem, was man eben aus Industriekultur machen kann.

Wilhelm Beermann, der Chef der Deutschen Steinkohle AG, meint damit Besucher wie Volker Rademacher.

O-Ton: Ich habe festgestellt, wenn wir Besuch hatten aus anderen Regionen in Deutschland, dass die Leute außerordentlich überrascht und begeistert waren. Das ist schon was Besonderes, was man sonst in Deutschland nirgendwo wiederfindet.

Reizvoll sind alle zwölf „Stätten der Arbeit“, die über Jahre oder Jahrzehnte verschlossen waren und die Stiftung „Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ nun für interessierte Besucher zugänglich macht. In Dortmund sind das die Zeche Gneisenau und Hardenberg sowie die Kokerei Hansa, in Gladbeck die Maschinenhalle Zweckel. Und immer wieder Zechen: „Unser Fritz“ in Herne, „Consolidation“ in Gelsenkirchen, „Sterkrade“ in Oberhausen, „Radbod“ in Hamm, „Schlägel & Eisen“ in Herten, „Sophia Jacoba“ Hückelhoven, „Pattberg“ in Moers.

O-Ton: Ich hoffen, dass zu diesen zwölf Objekten noch weitere dazu kommen. Wir heißen nicht Bergbaustiftung, sondern wir heißen Industrie-Denkmal-Stiftung.

Gewiss, auch aus anderen Industriezweigen sollen Denkmale hinzukommen. Doch die meisten Angebote kommen nach wie vor vom Bergbau. DSK-Chef Wilhelm Beermann:

O-Ton: Es sind weitere fünf bis sechs in der Vorbereitung, um nachgestiftet zu werden.

Dauerhaft will die Stiftung auch solche Denkmale erhalten, die zwar für eine andere Nutzung ungeeignet sind, aber als regionale „Landmarken“ Bedeutung haben.

O-Ton: Die Zeche Consolidation/Schacht 9 in Gelsenkirchen-Bismarck. Dieses Objekt setzt sich aus einem Doppelbock-Vordergerüst zusammen mit zwei Maschinenhäusern. Dieses Doppelbock-Vordergerüst soll illuminiert werden und als Landmarke sichtbar sein. Die Zeche Sterkrade/Schacht 1 in Oberhausen. Das ist auch nur ein Fördergerüst mit einer Schachthalle, also ein sehr kleines Objekt. Drum herum wird zur Zeit die Fläche von der RAG Aktiengesellschaft aufbereitet. Man möchte dort Wohnungsbau ansiedeln. Die Zeche Unser Fritz/Schacht 1 in Herne-Wanne ist ein Malakowturm, ein recht kleiner Malakowturm. Der hat ganz, ganz dicke Mauern, so dass die Sicherungsarbeiten nur sehr gering sind, wenn’s wirklich nur darum geht, ihn als Landmarke zu erhalten.

Die Stiftung „Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ ist eine von insgesamt 300 Institutionen, die in diesem Jahr in annähernd 200 Städten und Gemeinden Nordrhein-Westfalens das „Jahr der Industriekultur“ gestalten. Eintausend Veranstaltungen, die sich in verschiedener Weise mit dem Thema lndustriegeschichte und -kultur befassen oder vor alten „lndustriekulissen“ stattfinden. Von allen Denkmalen in der Obhut der Dortmunder Stiftung ist die Kokerei Zollverein das meistbesuchte. Aus dem Münsterland reiste Georg Schirmann an.

O-Ton: Mich interessiert das sehr, wie so etwas funktioniert. Was hier an Maschinen und Kräften bewegt wurde, das ist schon interessant.

Hermann Tappe war sein Leben lang ein begeisterter Koker. Das Angebot der „Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“, sein Wissen über die Kokereitechnik als Museumsführer weiterzugeben, kam ihm im Vorruhestand gerade recht.

O-Ton: Da gibt es eine Reihe von Mitarbeitern von der ehemaligen Kokerei Steiger, Meister, die das auch hier durchziehen. Ich werde in jedem Fall erst mal weiter machen, weil es mir Spaß macht.

Der UNESCO liegt inzwischen der Antrag vor, Kokerei und Zeche Zollverein in die Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen. Die großindustrielle Anlage wäre dann dem Kölner Dom gleichgestellt. Doch Obersteiger Tappe meldet Zweifel an.

O-Ton: Persönlich halte ich das hier für sehr gut. Besser jedenfalls, als wenn hier alles nur so verrotten würde, als wenn nichts gemacht würde. Aber ich glaube nicht, dass man das langfristig halten kann.

Skeptisch ist auch der bekannte Ruhrgebietskabarettist Dr. Ludger Stratmann:

O-Ton: Dat ganze is natürlich schon gigantisch, und da wird einem schon warm um’s Herz, wenn man das hier sieht. Frage ist natürlich, ob man nun wirklich jede Zeche zu einem Industriedenkmal machen sollte. Hier bei Zollverein mit Sicherheit richtig, das Erbe zu erhalten (…) wobei ich immer denke, dat man dat auch so’n bissken mit Arbeit erfüllen sollte.

In Städten mit hoher Arbeitslosenquote ist der Ruf nach Gewerbe- und Industrieansiedlung auf stillgelegten Bergbauflächen besonders laut. Und manchem Kommunalpolitiker ist es ein Dorn im Auge, dass diese Brachen zunächst noch der Bergaufsicht unterliegen. Doch Dr. Hans-Peter Noll von der Montan-Grundstücksgesellschaft des RAG-Konzerns mahnt zur Geduld.

O-Ton: Wer Flächenrecycling, Stadtteilentwicklung betreibt, benötigt einen langen Atem. Man kann nicht heute ein Bergwerk stilllegen und morgen neue Betriebe ansiedeln, denn nicht wir, nicht die Politiker schaffen Arbeitsplätze, sondern Unternehmen. Wir haben die Abläufe weitestgehend optimiert, und gleichwohl muss man deutlich sagen: Um 30, 40 Hektar zu entwickeln, brauchen wir 3, 4, 5 Jahre.

Südlich der denkmalgeschützten Kokerei Zollverein sind rund 28 Hektar Industriebrache im Besitz des RAG-Konzerns geblieben. Essens Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Reiniger, seit Anfang Februar 2000 Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Zollverein, würde dort lieber heute als morgen ein neues Gewerbegebiet sehen.

O-Ton: Die Schaffung von Arbeitsplätzen im Umfeld von Zollverein ist das, was mich jetzt am meisten bewegt. Wir müssen jetzt verstärkt daran gehen, die Flächen zu aktivieren, damit sich Betriebe dort ansiedeln können, dass wir dort dann Arbeitsplätze bekommen.

Um die Aufbereitung und Reaktivierung des ehemaligen Kokereigeländes kümmert sich Dr. Hans-Peter Noll, der Geschäftsführer der RAG-Tochtergesellschaft MGG:

O-Ton: Wir wollen an diesem Standort mit der Essener Wirtschafts-Förderungsgesellschaft eine gemeinsame Projekt-Entwicklungsgesellschaft initiieren, um ein Gewerbegebiet zu entwickeln, Baugrund zu schaffen für Essener Betriebe. Es gibt ganz klare Absprachen, dass wir dort nur Betriebe ansiedeln, die dort auch hin passen.

Moderne Betriebe in direkter Nachbarschaft zum Industriedenkmal Zollverein – für Gabriele Heidner von der Stiftung „Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ eine vielversprechende Kombination:

O-Ton: Wenn man jetzt den Gesamtstandort sieht mit seinem Schwerpunkt Design, denke ich, kann man hier was ganz Tolles entwickeln, Gewerbeflächen für Betriebe, die mit dem Fach Design was zu tun haben. Zum Beispiel hat uns letztlich eine private Akademie für Design angesprochen, ob sie sich nicht dort niederlassen könnte.

Der Essener Oberbürgermeister weiß von dieser Anfrage.

O-Ton: Design ist nach Auffassung alles Fachleute ein Bereich, der riesige Wachstumschancen bietet – Stichwort: Design-Gewerbepark.

Doch der Schein trügt. Noch längst ist nicht alles im Lot. Völlig ungewiss ist zum Beispiel, was aus der leerstehenden Kohlenwäsche von Schacht XII der Zeche Zollverein werden soll. Das vierzig Meter hohe Gebäude müsste dringend saniert werden.

O-Ton: Es kostet mindestens 100 Millionen Mark. Es gäbe da Mittel der EU, die man einsetzen könnte, aber das Land und die Stadt Essen müssen sich noch einigen, wer mit welchem Anteil in dieses Abenteuer rein geht.

Um ein Industriedenkmal wie Zeche und Kokerei Zollverein instand zu setzen und mit neuem Leben zu erfüllen, ist aber nicht nur viel Geld erforderlich, sondern auch viel Geduld, viel Zeit und – eine gehörige Portion Optimismus. Gabriele Heidner:

O-Ton: Wenn man die Entwicklung der Zeche Zollverein sieht, das hat jetzt gut 10 Jahre gedauert, ehe man diesen Stand hatte wie heute. Das heißt, ich brauche einen langen Atem.

Einen langen Atem hat auch die nordrhein-westfälische Landesregierung bewiesen. Das Städtebauministerium in Düsseldorf geht davon aus, dass sich das Areal Zollverein erst in zwei Generationen als Ruhrgebietsattraktion durchgesetzt haben wird. Mitglied im Kuratorium der Stiftung Zollverein ist Landesministerin Ilse Brusis:

O-Ton: Zeche Zollverein ist dafür ein gutes Beispiel, dass man etwas erhalten kann und neu nutzen kann. Inzwischen ist Zollverein das Aushängeschild für die neue Nutzung alter Industriebrachen geworden und weit über die Region hinaus bekannt. Für uns ist Zollverein einer der großen Zukunftsstandorte des Reviers. der sich gut entwickelt hat in den letzten Jahren seit 1986, und ich glaube, der auch noch eine gute Entwicklung vor sich haben kann.

Unmöglich jedoch, alle Industriedenkmale im Ruhrgebiet gleichermaßen mit Leben zu erfüllen. Gabriele Heidner, die Geschäftsführerin der „Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur“ in Dortmund, bleibt da bei all ihrem Bestreben, die Erinnerung an die industrielle Vergangenheit wach zu halten, durchaus realistisch:

O-Ton: Es kann sein, dass es Objekte gibt, die nicht zu halten sind und die man dann doch dem Verfall überlässt. Aber dann hat man zumindest dem Denkmal die Chance gegeben, in Ruhe zu vergehen.

Internet-Zusatzinformationen:

Die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur

Die Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur ist 1995 aus einer gemeinsamen Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen und der Ruhrkohle AG entstanden. Mit ihrer Gründung ist ein bundesweit neuer Weg eingeschlagen worden, um Zeugen des Industriezeitalters zu sichern. Der Zweck der Stiftung ist es, die ihr übertragenen Industriedenkmale zu schützen und zu erhalten, sie sinnvoll zu nutzen, wissenschaftlich zu erforschen und sie für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bereits an zwölf Standorten hat die Stiftung Denkmale der Industriegeschichte, darunter stillgelegte Zechen und Kokereien, in ihre Obhut genommen.

Bislang liegt der Schwerpunkt noch auf dem Bereich des Bergbaus, jedoch möchte die Stiftung auch Zustiftungen aus anderen Industriezweigen gewinnen.

Gegen eine Kapitalanlage in Höhe der fiktiven Abrisskosten nimmt die Stiftung hochrangige Industriedenkmale auf, für die sich momentan keine Verwendung abzeichnet. Sie gewährt ihnen damit Zeit für die Entwicklung von neuen Nutzungskonzepten. Außerdem trägt sie durch Öffentlichkeitsarbeit dazu bei, die Akzeptanz für manch „sperriges“ Monument zu erhöhen.

Auch anderen Denkmaleigentümern steht die Stiftung bei Fragen zum Umgang mit Industriedenkmalen zur Seite.

Die Standorte der Stiftung:

Zeche Gneisenau Schacht 2/4, Dortmund-Derne

Zeche Unser Fritz Schacht 1, Herne-Wanne

Zeche Consolidation Schacht 9, Gelsenkirchen-Bismarck

Zeche Sterkrade Schacht 1, Oberhausen

Kokerei Zollverein, Essen-Katernberg

Zeche Radbod Schacht ½, Hamm Bockum-Hövel

Kokerei Hansa, Dortmund-Huckarde

Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck

Zeche Schlägel & Eisen Schacht 3, Herten-Langenbochum

Zeche Hardenberg Schacht 1, Dortmund-Lindenhorst

Zeche Sophia Jacoba Schacht 3, Hückelhoven

Zeche Pattberg Schacht 1, Moers-Repelen

Geschäftsstelle der Stiftung: Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur

Emscherallee 11, 44369 Dortmund

Tel. 0231/931122-40

Fax 0231/931122-10

lndustriedenkmalpflege@t-online.de

Das Jahr der Industriekultur 2000

Rund 300 Veranstalter und Akteure in annähernd 200 Städten und Gemeinden in NRW beteiligen sich am Jahr der Industriekultur 2000 und an seinem Rahmenprogramm. Zusammengerechnet ergibt sich die beachtliche Zahl von rund 1.000 Veranstaltungen, welche sich in unterschiedlicher Art und Weise mit dem Thema lndustriegeschichte und -kultur befassen oder vor „lndustriekulissen“ stattfinden. So richtig los geht es jedoch erst im Frühling, wenn museale Einrichtungen und „ungeheizte“ Industriedenkmale aus dem Winterschlaf erwachen.

Hier finden Sie das Rahmenprogramm zum „Jahr der Industriekultur“.

Links zu anderen Seiten:

Hier geht’s zum Strukturkonzept der Zeche Zollverein.

Und hier finden Sie Auszüge aus einem Informationsblatt der Stadt Essen.

Die Stiftung Zollverein selbst ist im Internet hier vertreten.