RWE ist am RAG-Konzern interessiert

Wenn das Bundeskartellamt zustimmt und die Aktionäre – die Hauptversammlungen finden im Sommer statt-, werden in diesem Jahr die beiden Energiekonzerne RWE in Essen und VEW in Dortmund fusionieren – rückwirkend zum 1.1.2000. Der neue Konzern hätte dann 170.000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 86 Milliarden Mark. Durch die Übernahme der VEW würde die RWE zugleich zum zweitgrößten Anteilseigner des Essener Energie- und Technologiekonzerns RAG. Der zählt zu den dreißig größten Konzernen in Deutschland und beschäftigt rund 104.000 Mitarbeiter in den Bereichen Bergbau, Energie, Chemie, Vertrieb und Handel, Umwelt, Immobilien und Technologie. Die bevorstehende Fusion von VEW und RWE gibt Spekulationen neue Nahrung, der Konzernlandschaft im Ruhrgebiet, speziell der RAG, könnten weitreichende Umwälzungen bevorstehen.

Gesendet am Mittwoch, 19. Januar 2000, in „Westblick“ auf WDR 5

Von Lothar Kaiser

O-Ton: Ich bin sicher, dass die RAG Aktiengesellschaft auf lange Sicht eines der wichtigsten Unternehmen in NRW bleiben wird und für den erfolgreichen Umbau unseres Landes stehen wird.

Sagte NRW- Wirtschaftsminister Peer Steinbrück zu einer Zeit, als die Fusion von RWE und VEW noch nicht spruchreif war.

O-Ton: Der RAG-Konzern ist im Ruhrgebiet und in NRW verwurzelt.

Und wird es auch nach der Fusion der beiden Energiekonzerne bleiben. Die Frage ist nur – in welcher Form? Darüber entscheiden weder Politik noch RAG, sondern darüber entscheiden andere große Konzerne im Lande. Größter Anteilseigner bei der RAG ist die VEBA mit 39 Prozent, die VEW bringt es auf 30, Thyssen auf knapp 13 und Krupp-Hoesch auf knapp acht Prozent. Das bedeutet: Durch eine Fusion mit der VEW würde die RWE zum zweitgrößten Anteilseigner der RAG – und könnte dann mit dem RAG-Hauptaktionär und Energie-Konkurenten VEBA weitreichende Umstrukturierungen bei der RAG vereinbaren, vorausgesetzt, man hat in deren Umfeld gemeinsame Interessen.

Zum Beispiel so: Die Chemie der RAG-Tochter Rütgers zur Veba-Tochter Degussa-Hüls und die Kraftwerksaktivitäten der RAG-Tochter Steag zur RWE. Schon heißt es, für das Kraftwerksgeschäft von VEW, RWE und STEAG würde eine gemeinsamen „Energie AG“ gegründet. Diese würde den Stromabsatz der STEAG langfristig sichern. Derzeit liefert sie rund zwölf Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr an die RWE und acht Milliarden an die VEW, das sind zwei Drittel ihrer Gesamtproduktion.

Es wäre ein Kompensationsgeschäft, würde die RWE im Gegenzug das Kohlegeschäft der konzerneigenen Rheinbraun AG an den RAG-Konzern binden. Vorstellbar wäre aber auch lediglich ein Zusammengehen auf dem amerikanischen Markt. Über Rheinbraun gehört der RWE der amerikanische Kohleproduzent Consol AG. Diese fördert jährlich rund 70 Millionen Tonnen Steinkohle und verkauft diese größten Teils an amerikanische Kraftwerke. Das gilt auch für die Kohle, die die RAG in den USA fördert. Die RAG kaufte im vergangenen Jahr die neun Kohlegruben der Cyprus Amax Coal Company und ist seitdem der zweitgrößte Kohleproduzent der Welt.

Der Kohledeal von RWE und RAG ist bislang nur ein Gedankenspiel. Offizielle Stellungnahmen gibt es dazu nicht. Fakt ist dagegen, dass bei der Fusion von VEW und RWE die Essener Ruhrgas AG eine große Rolle spielt, der größte Erdgaslieferanten in Europa mit 15 Milliarden Mark Jahresumsatz.

40 Prozent der Ruhrgas-Aktien liegen über Beteiligungsfirmen bei Mobil Oil, Shell, Esso, BP und Preussag.

Mannesmann, Thyssen und Veba sowie die RWE-Tochter DEA lassen ihre Ruhrgas-Anteile von der Bergemann GmbH verwalten. Das gilt auch für die RAG. Der stellvertretende RAG-Vorstandsvorsitzende Wilhelm Beermann

O-Ton: Wir sind der Aktionär, der die Führung im Bergemannpool hat und in der Lage ist, Veränderungen in der Aktionärsstruktur zumindest mit kontrollieren zu können. Wir sind für sich genommen nicht der größte Aktionär, wir sind aber in einer gewissen Schlüsselfunktion.

In der Tat. Die Bergemann GmbH verfügt über fast 60 Prozent des Aktienkapitals der Ruhrgas. Die RAG ist an der Bergemann GmbH zwar nur mit 18 Prozent beteiligt. Aber ein Sondervertrag schließt das Stimmrecht der anderen Gesellschafter aus. Es ist also die RAG, die bei der Ruhrgas den Ton angibt.

Damit ist klar: Würde die RWE durch die Fusion mit der VEW zum neuen Großaktionär der RAG, erhielte sie folglich auch indirekten Einfluss bei der Ruhrgas. Das aber dürfte den deutschen Wettbewerbshüter auf den Plan rufen – das Bundeskartellamt.

Der Grund: Im Gasgeschäft mischen VEW und RWE auch jetzt schon kräftig mit. Die RWE ist an der Thyssengas zur Hälfte beteiligt und möchte gerne von der ESSO deren 25 Prozent-Paket hinzukaufen. Und die VEW besitzen die Westfälische Ferngas GmbH sowie eine Beteiligung an den Budapester Gaswerken. Dadurch verkaufen beide Konzerne schon jetzt pro Jahr Erdgas in einer Größe von 200 Milliarden Kilowattstunden. Ein Drittel des Ruhrgas-Umsatzes. Doch das Bundeskartellamt könnte in einer Verflechtung eine unzulässige Monopolisierung sehen.

Dagegen könnte der Bundesregierung eine Umstrukturierung des RAG-Konzerns nur recht sein. Vorausgesetzt, die RAG würde dann den defizitären deutschen Steinkohlebergbau mit größeren Eigenmitteln als bisher unterstützen.

Die RAG betonte in der Vergangenheit mehrfach, die Einheit des Konzerns sei eine entscheidende Voraussetzung für dessen erfolgreiche Zukunft. Aber: Das schließt auch ein anderer Zuschnitt des Konzerns nicht aus. Kerngeschäft der RAG sind Bergbautechnik, Kohleförderung und Kohlehandel. Hier hat die RAG die Chance, weltweit zum Marktführer aufzusteigen. Das Jahr 2000 könnte für den RAG-Konzern also noch spannend werden – sobald die Fusion von VEW und RWE in trockenen Tüchern ist.

Internet-Zusatzinformationen

Zur STEAG:

Wie alle Kraftwerksbetreiber bekommt auch die STEAG den harten Preiskampf auf dem Strommarkt wirtschaftlich zu spüren. Angesichts des – auch international – verschärften Wettbewerbs sieht der RAG-Vorstandsvorsitzende Karl Starzacher ganz generell die Notwendigkeit der Unternehmen, sich auf Kernkompetenzen zu konzentrieren und effiziente Strukturen zu schaffen. Und das wiederum spricht für eine Zuordnung der STEAG zum Energie-Multi RWE, der neben der VEW ohnehin der größte Stromabnehmer der STEAG ist – einen kleineren Teil der Stromproduktion nimmt die Deutsche Bahn AG ab- und als solcher bei der STEAG den Preis drücken kann.

Der RAG-Vorstandsvorsitzende Karl Starzacher machte im März auf der Hannover-Messe 2000 deutlich, daß ein möglicher Verkauf der STEAG (die logische Folge des derzeitigen enormen Kostendruckes) die Zukunft des RAG-Konzerns nicht gefährden werde und auch keine neue „Zerschlagungsdiskussion“ in Gang setzen müsse; die könne der Konzern nicht gebrauchen. Ob es zum Verkauf kommt, entscheidet die VEBA mit. Und die will (angesichts der Forderung des Bundeskartellamtes, sich im Zuge der Fusion VEBA/VIAG von anderen Beteiligungen zu trennen) dem Energie-Konkurrenten RWE keinen Wettbewerbsvorteil durch die STEAG-Übernahme verschaffen und sträubt sich deshalb dagegen. Möglichkeiten dazu hat sie ausreichend. Denn am RAG-Konzern, der „Mutter“ der STEAG, hält die VEBA 40 Prozent der Anteile, ihr Tochterunternehmen PreussenElektra ist an der STEAG auch direkt beteiligt, und VEBA-Chef Ulrich Hartmann ist der Aufsichtsratsvorsitzende der RAG.

Solange sich die VEBA gegen ein gemeinsames Kraftwerksunternehmen von RWE und STEAG sträubt, wird diese wohl selbständig bleiben. Und hat Großprojekte in den USA, in Lateinamerika und in der Türkei in Visier. Das in der Türkei für mehr als drei Milliarden Mark geplante Kraftwerk kann von der RAG jährlich drei Millionen Tonnen Kohle abnehmen, wenn es fertig ist.

Es war gerade dieser milliardenschwere Türkei-Deal, der den Verkauf der STEAG an die RWE für die RAG selbst wenig attraktiv erscheinen ließ, sprach er doch trotz des härter gewordenen Wettbewerbs auf dem Strommarkt für eine weitere Selbständigkeit der STEAG. Hinzu kam die Befürchtung, die Politik könne einen Verkaufserlös mit den Kohlesubventionen verrechnen.

Im Jahre 1999 verkaufte die STEAG 22,1 Milliarden Kilowattstunden Strom – so kostengünstig wie kaum ein anderer Kraftwerksbetreiber in Deutschland – und erzielte damit einen Erlös von 1,54 Milliarden Mark – allerdings 11,5 Prozent weniger als im Jahre 1998, Auswirkung des Preiskampfes auf dem Strommarkt. Dennoch stieg der Umsatz des Konzerns alles im allem um mehr als 7 Prozent auf 4,4 Milliarden Mark, zurückzuführen auf die guten Ergebnisse des Bereichs Electronic Systems. Die STEAG-Tochter Hamatech, seit 1998 an der Börse gehandelt, stellt heute dank gestiegener Kurse einen Wert von 1,5 Milliarden Mark dar (bei der Börseneinführung waren es gerade mal 277 Millionen).

Zur Thyssengas-Beteiligung von RWE:

RWE hat, wie das Unternehmen am 24.5.2000 mitteilte, die Verhandlungen über den Erwerb von 25 Prozent der Anteile an der Thyssengas GmbH, Duisburg, mit Esso Deutschland GmbH, einer Tochtergesellschaft der Exxon/Mobil Corp., Irving, Texas, erfolgreich abgeschlossen. Danach wird RWE diese Anteile von Esso Deutschland erwerben, sobald die Europäische Kommission dem Erwerb zugestimmt hat. RWE wird dann 75 % der Anteile an der Thyssengas GmbH halten. Die verbleibenden 25 % sind im Besitz der Shell Petroleum NV, Den Haag. Thyssengas hat als fünftgrößte deutsche Ferngasgesellschaft im Geschäftsjahr 1999 insgesamt rd. 71 Mrd. kWh Erdgas abgesetzt und Umsatzerlöse von 1,55 Mrd. DM erzielt.

Damit verstärkt RWE ihr Engagement im Erdgasbereich. Dieser Erwerb ist, wie es in einer Prerssemitteilung vom 24.5.2000 heisst, „Teil der RWE-Strategie, sich als führender Anbieter von Energie und energienahen Dienstleistungen in Europa zu etablieren“. Thyssengas importiert Erdgas aus den Niederlanden, Norwegen, Russland und Großbritannien, betreibt ein Pipeline-Netz von ca. 2.300 km Länge nebst mehrerer Erdgasspeicher und beliefert regionale Gasversorger, Stadtwerke und Industrieunternehmen, insbesondere in Nordrhein-Westfalen.

Zur Ferngas-AG von RWE/VEW:

Im Zuge ihrer Fusion wollen RWE und VEW der Westfälischen Ferngas-AG (WFG/Dortmund) den gesamten Gasbereich des neuen Konzerns (mit einem Transportnetz von rund 4600 Kilometern und einem Verteilungsnetz von rund 7000 Kilometern Länge) übertragen. 1999 machte die WFG, an der die VEW mit 58,2 Prozent beteiligt ist, mit 33 Milliarden verkauften Kilowattstunden Gas einen Umsatz von rund 921 Millionen Mark.