DSK-Akquisiteur: Ein neuer Beruf durch Stellenabbau

Durch den andauernden Preisverfall bei Kohle sieht sich die Deutsche Steinkohle AG (DSK) in Herne, die als Tochter des Essener RAG-Konzerns sämtliche deutschen Steinkohle-Bergwerke betreibt – momentan noch elf an der Ruhr, drei im Saarland und eine in Ibbenbüren – sieht sich die DSK gezwungen, den Personalabbau von derzeit 66.000 Mitarbeiter auf 36.000 im Jahre 2005 zu beschleunigen. Damit das sozialverträglich, d.h. ohne Kündigungen, gelingt, schuf die DSK ein weit gefächertes personalpolitische Instrumentarium. Dazu gehören Jobbörse, Existenzgründung, Personalentwicklungspool, Mitarbeiterförderplan, Personal-Clearing, Qualifizierung, Handwerksinitiative, Übergangs- und Mobilitätshilfe. Und – seit wenigen Monaten – auch die drei Stellenakquisitionsbüros in Bottrop, Werne und Moers. Sie haben bislang 1400 Bergleuten neue Jobs außerhalb der Kohle vermittelt. Nicht nur in Nordrhein-Westfalen.

Gesendet am Dienstag, 11. Januar 2000, in „Westblick“ auf WDR 5 zwischen 17.05 und 18 Uhr

Von Lothar Kaiser

Jeder dritte Bergmann im deutschen Steinkohlebergbau wird in absehbarer Zeit seinen Arbeitsplatz verlieren. In diesem Jahr wird es 12.000 Kumpel treffen, im nächsten 8400. Dass viele Bergleute für einen Vorruhestand einfach zu jung sind, weiß auch Walter Spiekermann, seit September im Regionalbüro Mitte in Bottrop einer von drei Akquisiteuren. Von all seinen Stellen im Bergbau – er ist seit 21 Jahre im Personalwesen der DSK tätig – der schwierigste?

O-TON: Mit Abstand der schwierigste. Denn was wir suchen, soll ja Familienvätern eine Perspektive bieten. Und insofern ist auch die soziale Verantwortung ziemlich hoch.

Wer für Bergleute auf Stellensuche geht, braucht detektivisches Gespür, darf sich nicht scheuen, Klinken zu putzen, und – muss kontaktfreudig sein.

O-TON: Wir bemühen uns, über alle möglichen Quellen Kontakte herzustellen.. Wir haben hier eine gewisse Anzahl von Zeitungen, die wir jeden Morgen durchforsten. Wir haben die neuen Medien, wie Internet. Wir haben sehr gute Kontakte zu den Arbeitsämtern. Wir haben die Kammern und die Mundpropaganda innerhalb der Unternehmerschaft ist für uns ein ganz wesentlicher Faktor, mit dem wir hervorragend arbeiten können. Bei gut 80% der Unternehmer ist diese Sache (auch im nachhinein) positiv und führt dazu, dass sie bereit sind, noch mehr Leute einzustellen.

Dazu gehört auch Lothar Zeglienski, Inhaber eines Metallbaubetriebes in Gelsenkirchen.

O-TON: Mittlerweile habe ich sieben Mitarbeiter von der Ruhrkohle übernommen, und ich bin sehr zufrieden mit den Leuten – muss ich sagen.Mein Vatter hat 35 Jahre auf`e Schachtanlage Westerholt gearbeitet. Ich habe fast nur mit Bergleuten Fußball gespielt. Mein ganzes Umfeld hat sich immer um den Bergbau gedreht. Und als ich mich damals selbstständig gemacht habe, war es für mich naheliegend gewesen, auch Leuten aus dem Bergbau `ne Chance zu geben, da ich wusste, dass Bergleute hartes Arbeiten gewöhnt sind. Und ich bereue es auf keinen Fall. Wenn wir in dieser Region nicht zusammen halten, von wem sollen wir noch Hilfe erwarten.

Lothar Zeglienski baut automatische Türanlagen. Damit kennt sich inzwischen auch Martin Buchner aus, zuvor Betriebsschlosser auf der Zeche Westerholt in Gelsenkirchen.

O-TON: Ich sag` mal, das fing ja mehr oder weniger unter den Kollegen mit Gerüchten an, dass die Kohle keine Zukunft mehr hat. Und da habe ich mich dann halt beworben, mit dem Herrn Zeglienski auseinander gesetzt, und wir sind uns einig geworden.

Dass schon die erste Bewerbung Erfolg hatte, freute auch Stellenakquisiteur Franz Preibsch:

O-TON: Wenn die Firmen und die Mitarbeiter, dann zufrieden sind, dann hat man ein Gefühl und sagt ganz einfach, das ist die richtige Arbeit. Gut, es gibt den einen oder anderen Tag, wo man sagt, es läuft nicht so gut. Aber wir haben einen sehr guten Erfolg gehabt, und den nimmt man immer als Maßstab.

Und dennoch? 20400 Stellen abzubauen innerhalb von zwei Jahren, ist das überhaupt zu schaffen. Akquisiteur Peter Brans ist zuversichtlich.

O-TON: Ich stell` mir vor, dass wir das schaffen. Wir schaffen das aber auch nur, wenn alle an einem Strang ziehen und gerade unsere junge Belegschaft auch veränderungswillig ist.

In der Tat – der Erfolg kommt nicht von ungefähr. Hat Walter Spiekermann wieder eine freie Stelle ausfindig gemacht, füttert er mit den Angaben den Konzernrechner. Der enthält berufliche und persönliche Daten aller Mitarbeiter. Das macht es den Akquisiteuren möglich, …..

O-TON:…. von allen Bergwerken der Ruhrkohle den hoffentlich idealen oder gut passenden Mann zu finden, der dann wiederum von den Kollegen auf dem Bergwerken angesprochen wird, ob Interesse da ist. Dann wird ihm die Stelle erklärt, und so kommen wir zusammen.

Das gilt auch für die Führungskräfte der DSK, dDeren Arbeitsplätze ebenfalls zur Disposition stehen. Diese Mitarbeiter sein sogar doppelt angesprochen, sagt DSK-Chef Wilhelm Beermann:

O-Ton: Einmal, indem sie die Mitarbeiter ansprechen müssen, ihr Schicksal auch selbst mit zu gestalten und indem sie sich selbst auch angesprochen fühlen müssen. Es ist vielleicht bisher noch nicht so in die Köpfe der Führungskräfte gedrungen. Jetzt aber, ich kann das noch von einer Veranstaltung jetzt dieser Tage sagen, haben es alle begriffen.

Eine Erfahrung, die die drei Stellenakquisiteure aus Bottrop mit ihrem Chef teilen. Walter Spiekermann:

O-TON: Grundsätzlich sind die genau so bereit wie unsere Bergleute. Aber die Marktlage an sich für den Diplom-Ingenieur, für den gut bezahlten Techniker ist sicherlich – in NRW zumindest – nicht ganz so gut. Da ist dann München, Stuttgart, diese Bereiche zur Zeit sicherlich führend, und da ist die Mobilität gefragt dieser Leute. Ich möchte nicht unbedingt vor dieser Entscheidung stehen. Wir können denen dort die Freunde nicht hin kriegen, wir können denen dort kein Heim schaffen. Es ist einfach nur so, dass man drüber nachdenken sollte, wo habe ich berufliche Perspektiven, denn dann gestaltet sich das andere von alleine.

Aber auch DSK-Mitarbeiter mit Handwerksberufen denken zur Zeit über einen Umzug in ein anderes Bundesland nach. Zum Beispiel nach Baden-Württemberg.

O-TON: Wir haben jetzt Kontakte zu den Karlsruher Verkehrsbetrieben. Die suchen händeringend gute Busfahrer und andere Leute. Wir werden auch diese Stellen selbstverständlich akquirieren und unseren Leuten anbieten, ganz klar.

Und in Stuttgart bietet die Steag, eine andere Tochtergesellschaft des RAG-Konzerns, freie Stellen für Techniker an. Doch viele Bergleute hängen am Ruhrgebiet, möchten hier nicht weg. Hier hilft einer dem anderen. Auch Martin Buchner, der Betriebsschlosser, der auf Türanlagen umsattelte:

O-TON: Da kennt man sich, trifft man sich, spricht noch. Selbst mit ehemaligen Arbeitskollegen, muss ich ja sagen, die man immer wieder trifft, egal wo, wird auch noch über alte Zeiten oder über den jetzigen Stand bei der Ruhrkohle natürlich gesprochen.

Internet-Zusatzinformationen:

Bis zum Jahr 2005 soll die Zahl der Beschäftigten im deutschen Steinkohlebergbau auf 36.000 sinken. So will es der sogenannte Kohlekompromiss von 1997. Die Arbeitsplatzakquisiteure der RAG-Tochter DSK hatten bis Ende April 2000 rund 2500 Arbeitsplätze gefunden, die sie Bergleute außerhalb des Konzerns anbieten konnten. Wieviele dieses Angebot letzendlich annehmen, bleibt dahingestellt. Tatsache ist jedoch: Von den 12.000 Bergleuten, die in diesem Jahr gehen müssen, sind 3.650 in einem Alter (ab 50 für Mitarbeiter unter Tage und ab 55 für Mitarbeiter über Tage), das den Vorruhestand ermöglicht. 2.300 erfahren eine Nachqualifizierung bzw. Umschulung und verlassen dann das Unternehmen. 3.000 finden mit Hilfe der Handwerksinitiative einen neuen Arbeitsplatz (so die Hoffnungen der DSK AG), 3.200 wird der Abschied von der Kohle durch eine Übergangshilfe (durchschnittlich 30.000 Mark) und eine zusätzliche Mobilitätshilfe leichter gemacht, und 570 Leute finden in anderen Bereichen des RAG-Konzerns ein neues Betätigungsfeld.