PROGNOS-Gutachten rechfertigt öffentliche Kohlesubventionen

Seit Anfang der 60er Jahre sterben in Deutschland die Steinkohlezechen. Langsam, aber sicher. Im Jahre 2005 wird es noch zehn Bergwerke und 36.000 Bergleute geben. Ungewiss ist, wie viele Zechen, vor allem aber, wie viele Bergleute über das Jahr 2005 hinaus noch eine gesicherte Zukunft haben werden. Ein Schrecken ohne Ende? Wäre da nicht 1997, als Kohlesubventionen in Milliardenhöhe vereinbart wurden, ein Ende mit Schrecken besser gewesen?

Gesendet am Mittwoch, 5.1.2000, in „Westblick“ zwischen 17.05 und 18 Uhr

Von Lothar Kaiser

O-Ton: Wir machen einen Sturzflug statt eines Gleitfluges, heißt, unkontrollierte Stilllegung und Entlassungen. Ein Sturzflug wäre teurer als Subventionen.Das ist für Wilhelm Beermann, den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Steinkohle AG, nur ein Szenario. Tatsächlich war in der Kohlerunde von 1997 ein langsamer und sozialverträglicher Ausstieg aus der Kohle vereinbart worden. Der DSK-Chef, der in den kommenden achtzehn Monaten fünf Bergwerke still legen und allein in diesem Jahr 12.000 Arbeitsplätze abbauen muss, hält das nach wie vor für die einzig richtige Entscheidung.

Denn was wäre passiert, wenn sich Bund und Land in der Kohlerunde von 1997 nicht auf Subventionen eingelassen und statt dessen die damals 81.000 Bergleute – heute sind es noch 66.000 – zum Arbeitsamt geschickt hätten, wenn diese, wie es „auf Zeche“ heißt, „ins Bergfreie gefallen“ wären? Die Zukunftsaktion Kohlegebiete e.V. – hinter ihr stehen Städte und Krise, die „an der Kohle hängen“ – hatte diese Frage an das Baseler Prognos-Institut weitergegeben.

Die Untersuchung ging von der Erkenntnis aus, dass mit jedem Arbeitsplatz im deutschen Steinkohlebergbau weitere 1,3 Stellen in dessen Umfeld verbunden sind – vom Maschineningenieur bis zum Gastwirt. Bei 81.000 Bergleuten ergab das 1997 bundesweit 180.000 Menschen, davon 120.000 im Ruhrgebiet, die direkt oder indirekt vom Steinkohlebergbau lebten. Und auf Familien bezogen waren es damals im statistischen Durchschnitt bundesweit sogar 450.000.

Prognos machte zunächst eine einfache Rechnung auf: Bei einem „Sturzflug“ der deutschen Steinkohle hätte die öffentliche Hand zwar 9 Milliarden an Stillegungsbeihilfen aufwenden müssen, aber Kohlesubventionen von 59 Milliarden Mark einsparen können. Also eine klare Rechtfertigung für einen Ausstieg aus der Kohle? Keineswegs. Denn damit wäre es ja nicht getan gewesen. Wilhelm Beermann, Chef der Deutschen Steinkohle AG:

O-Ton: Warum? Diese Menschen sind dann ja nicht von der Welt verschwunden; sie gehen in die Arbeitslosigkeit und werden von einem Haushalt des Bundes in einen anderen transferiert, vom Wirtschaftsminister zum Arbeitsminister.

Genau das berücksichtigte Prognos im zweiten Teil der Studie. Danach hätte eine völlige Stillegung der deutschen Zechen im Jahre 1997 die Arbeitslosenquote im Ruhrgebiet im Durchschnitt um fünf Prozentpunkte ansteigen lassen, in der Spitze auf mehr als 40 Prozent. Dies hätte besonders die Städte Herten, Bergkamen, Kamp-Lintfort, Marl, Herne, Bottrop und Dorsten betroffen. Einnahmeausfälle bei Lohnsteuer und Sozialversicherung und Mehrausgaben bei Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe wären die Folge gewesen und hätten sich auf 56,5 Milliarden Mark summiert.

Fazit: Die Kosten einer Schließung aller deutschen Steinkohlezechen im Jahre 1997 wären um 6,5 Milliarden Mark höher gewesen als die bis 2005 zugesagten Subventionen.

Kritiker der deutschen Kohlesubventionen führen immer wieder ins Feld, die Stillegung aller Zechen im Jahre 1997 hätte öffentliche Mittel in Milliardenhöhe für andere, wichtigere, da zukunftsweisende Verwendungszwecke frei gemacht. Gestützt auf die Prognos-Studie, betont DSK-Chef Wilhelm Beermann daher gerne bei öffentlichen Anlässen ….

O-Ton: … dass ein „Sturzflug“ bei der Steinkohle über die negativen energiepolitischen Folgen hinaus auch rein fiskalisch für die öffentlichen Hände per saldo teurer wäre als die zugesagten Absatzhilfen. Sie wissen, dass nur ein Strukturwandel mit der Kohle Brüche in der Entwicklung vermeiden oder wenigstens begrenzen kann.

Internet-Zusatzinformationen:

Zwischen 1991 und 1996 belief sich das RAG-Investitionsvolumen auf insgesamt 11 Milliarden DM. 60 Prozent davon (6,9 Milliarden DM) entfielen auf Nordrhein-Westfalen. Das Einkaufsvolumen des Konzerns umfaßte im gleichen Zeitraum rund 90 Milliarden DM. Davon gingen gut 50 Milliarden DM an 9.000 Lieferanten aus Nordrhein-Westfalen.

Die Zeitschrift „Capital“ schätzte den Wert des RAG-Konzerns kürzlich auf insgesamt 15 Milliarden Mark. Er ist im Land Nordrhein-Westfalen an rund 260 Standorten vertreten. Schwerpunktmäßig konzentrieren sich die Standorte auf die Städte Essen, Bottrop, Duisburg, Dortmund, Herne, Lünen, Gelsenkirchen und Münster. Sitz der Aktiengesellschaft ist Essen.