Stellenabbau im Steinkohlebergbau

Zechenstilllegungen und Personalabbau bei der deutschen Steinkohle sind Bund und Land zwischen 1997 und 2005 – wir haben es im Rahmen unserer Kohle-Serie schon mehrfach gesagt – fast 70 Milliarden Mark wert. Hinzu kommen die Gelder einer Anpassungsregelung, die es schon vor dem Kohlekompromiss von 1997 gab und die nur fortgeschrieben wurden – die Gelder für den Vorruhestand. Eine von zahlreichen Möglichkeiten, Bergleuten den Ausstieg aus der Kohle zu erleichtern. Lesen Sie auch: „Stahlindustrie in der Krise„, zwischen 1974 und 1990 sinkt die Beschäftigtenzahl in der Stahlbranche von 344.000 auf 175.000.

Gesendet am Montag, 3.1.2000, in „Westblick“ zwischen 17.05 und 18 Uhr

Von Lothar Kaiser

Für die sogenannte Anpassung, so heißt der Vorruhestand im Deutschen Steinkohlebergbau, zahlte der Bund in den vergangenen drei Jahren 1,4 Milliarden Mark. Und das Land Nordrhein-Westfalen gab 605 Millionen hinzu. Damit war der Vorruhestand für 10.000 Bergleute gesichert. Auch in den kommenden Jahren werden alljährlich 450 Millionen Mark aus den Kassen des Bundes und der Kohleländer Nordrhein-Westfalen und Saarland an Bergleute fließen, die vorzeitig in den Ruhestand gehen. Besser gesagt, die gehen müssen. Bundeswirtschaftsminister Müller:O-Ton: Wir haben vor kurzem die Anpassungsgeldregelung bis 2005 verlängert. Das kostet den Bund jährlich weitere 300 Mio. DM.Ministerpräsident Wolfgang Clement ergänzend:O-Ton: Wir haben für 1999 insgesamt 155 Millionen Mark für Anpassungsgelder im Landeshaushalt veranschlagt. Wir haben die entsprechende Regelung, die dafür die Rechtsgrundlage gibt, über den 31. Dezember hinaus bis zum Jahr 2005 verlängert. Damit können wir in Zukunft den Bergleuten helfen, ohne gravierende Einschnitte aus dem Arbeitsleben auszuscheiden.

Wilhelm Beermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Steinkohle AG, nannte auf der gleichen Belegschaftsversammlung die Zahlen für das Jahr 2000:

O-Ton: Unter den 12.000 notwendigen Abgängen befinden sich etwa 3.650 Belegschaftsmitglieder, die im Rahmen von Anpassungsentlassungen bzw. über Kurzarbeit in den vorgezogenen Ruhestand ausscheiden können.

Insgesamt stehen bis zum Jahre 2005 1,92 Milliarden Mark an Anpassungsgeldern bereit, – ein Drittel vom Land und zwei Drittel vom Bund – um 19.000 Bergleute den Vorruhestand zu ermöglichen. Untertage Beschäftigte, die in den Vorruhestand gehen wollen, müssen mindestens 50 Jahre alt sein, Übertage Beschäftigte 55, sagt Wilhelm Beermann, der Chef der Deutschen Steinkohle AG.

O-Ton: Nicht nur die werden angesprochen, die auf dem Bergwerk sind, was zur Stilllegung ansteht, alle sind betroffen heißt, dass auch immer die Belegschaft angesprochen ist auf Bergwerken, die eigentlich andere aufnehmen. Und wer sich dort bewegt, macht einen Arbeitsplatz für einen direkt Betroffenen frei.

Das gilt für jeden Bergmann, der sich zum Ausstieg aus der Kohle entscheidet. Dabei helfen die in den Bergwerken eingerichteten „Jobcenter“ – nachdrücklich. Doch nicht selten stoßen die 30 Jobberater auf Beharrungsvermögen. Thomas Matukat, früher als Elektrosteiger tätig, sieht das so:

O-Ton: Die meisten haben im Hinterkopf: Es wird schon irgendwie gehen. Es ist natürlich schon eine Umstellung, den Mut zu fassen, sich davon zu lösen. Das gilt nicht nur für die Bergleute unter Tage, sondern auch für die RAG-Mitarbeiter in der Verwaltung. Auch Abteilungsleiter, und vielleicht gerade die, kleben an ihren Sitzen. Wilhelm Beermann:

O-Ton: Personalanpassung fängt in den Köpfen an. Und in einer Umfrage haben wir festgestellt, dass 80 Prozent unserer Führungskräfte ihren Arbeitsplatz für gefährdet halten, aber nicht reaktivieren. In einem angespannten Arbeitsmarkt sind wir froh über jede sich bietende Möglichkeit. Abwarten möchte in dieser Situation niemand etwas.

Rund 5000 Bergleute haben in den vergangenen sechs Jahren an Schnupperkursen in Handwerksbetrieben teilgenommen, doch vier von zehn Bergleuten kehrten nach der Schnupperphase zur Kohle zurück. Weitere „Unterstützungsmaßnahmen“ sind Umschulung und Qualifizierung.

O-Ton: Ich sage bewusst Anschlussqualifizierung, denn es sind Facharbeiter, die haben eine Ausbildung, die nicht ohne weiteres den Übergang in ein anderes Berufsbild zulässt.

Inzwischen wächst unter den Bergleuten die Einsicht, dass sie ihre berufliche Zukunft selbst in die Hand nehmen müssen. Derzeit kommen auf jeden Qualifizierungsplatz vier Bewerber, freute sich der DSK-Chef auf einer Belegschaftsversammlung:

O-Ton: Eine solche Bewerber-Angebotssituation hat es seit der Einführung der Qualifizierung noch nicht gegeben, d.h. dass wir in erheblichem Maße weitere Qualifizierungsplätze anbieten müssen, das heißt aber auch, dass sich eben ein Wandel im Bewusstsein wegen der Notwendigkeit der Entscheidung ergeben hat. Also wir schließen hieraus, dass sich unsere Mitarbeiter bewegen, dass sie die Ernsthaftigkeit der Situation mehr und mehr erkennen.

Und es gibt weitere Aus- und Umsteigerangebote: Rund 600 Bergleute wurden bisher innerhalb des Mutterkonzerns RAG untergebracht. Und wer sich zu einem Berufswechsel außerhalb des Konzerns entschließt, kann mit einer finanziellen Beihilfe rechnen. Zum Beispiel über die Mobilitätshilfe.

O-Ton: Die Mobilitätshilfe soll den beruflichen Neubeginn außerhalb des RAG-Konzerns erleichtern und sie ist zunächst befristet für das Jahr 2000. Geld vom Staat und vom Arbeitgeber gleichermaßen erwartet Bergleute, die sich selbständig machen wollen. Ministerpräsident Wolfgang Clement hat es die Hilfe bei Existenzgründungen ganz besonders angetan:

O-Ton: Jeder und Jede, die eine Chance in beruflicher Selbstständigkeit sieht, auf welchem Felde der beruflichen Tätigkeit auch immer, ob im Handwerk oder im Handel oder im innovativen Unternehmen oder wo auch immer. Diejenigen, die es wollen, werden von uns unterstützt und ich denke, dass Bergleute aus dem kaufmännischen oder dem technischen Bereich gute Chancen haben für eine erfolgreiche Existenzgründung. Ich halte das für die wichtigste Maßnahme. Wenn wir – auch für unsere Kinder – Arbeitsplätze im Ruhrgebiet schaffen wollen, dann brauchen wir neue Unternehmen. Eine Aussage, der Bundeswirtschaftsminister Werner Müller ausdrücklich zustimmt:

O-Ton: Gerade die Jüngeren müssen den Mut zum Wechsel in neue Aufgaben aufbringen. Ihre Chancen sind so gut wie schon lange nicht mehr. Fachleute mit Qualifizierung werden händeringend gesucht. Und es ist unbestritten, dass die Beschäftigten in der Steinkohle gut ausgebildet sind.