Ruhrgas-Dossier

Die Ruhrgas AG ist aus mehreren Gründen das größte Gasunternehmen in Deutschland:

– Wegen des knapp 11.000 Kilometer langen Erdgas-Leitungsnetzes,

– wegen der 50 Milliarden Kubikmeter Erdgas, die jährlich verkauft werden an regionale und lokale Energieunternehmen, Stadtwerke etwa, aber auch an Industriebetriebe und Kraftwerke. Das bedeutet einen Marktanteil von 63 Prozent. Von den 586 Milliarden Kilowattstunden Erdgas, die die Ruhrgas 1999 verkaufte, gingen 65 Prozent an in- und ausländische Ferngasunternehmen, 25 Prozent an regionale Gasunternehmen und zehn Prozent an Industriebetriebe.

– und auch die Zahl der Mitarbeiter kann sich sehen lassen: Im Ruhrgas-Konzern waren zum Ende des Geschäftsjahres 8874 Mitarbeiter beschäftigt, 258 weniger als 1998 (9132). Bei der Ruhrgas AG verringerte sich die Mitarbeiterzahl um 64 auf 2617. (Allerdings haben die Gasversorger noch nicht alle Rationalisierungspotentiale ausgeschöpft, etwa in der Verwaltung oder im Vertrieb. Kooperieren Gasunternehmen auf diesen Feldern, lässt sich zusätzliches Geld sparen. Der Bundesverband der Deutschen Gas- und Wasserwirtschaft rechnet insgesamt mit einem Rückgang der Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftszweig um 20.000 auf dann 90.000.)

Ruhrgas importierte im Geschäftsjahr 1999 Erdgas zu 35 Prozent aus Russland (18 Milliarden Kubikmeter; im Jahr 2000 sind es rund 17,5 Milliarden), 22 Prozent aus Norwegen, 18 Prozent aus den Niederlanden sowie zu 5 Prozent aus Großbritannien und Dänemark. 20 Prozent stammten aus inländischen Quellen. Ende 1999 hatte Ruhrgas bei der russischen Gazprom rund 1600 Milliarden Kubikmeter Erdgas unter Vertrag – so viel wie die angegebenen Reserven der Niederlande -mit Laufzeiten zum Teil bis zum Jahr 2030. Hierfür unterhält die Ruhrgas ein Leitungsnetz von mehr als 10.600 Kilometer Länge. In ihren zwölf Untertagespeichern kann sie 4,8 Milliarden Kubikmeter Erdgas bunkern.

Das Ergebnis der Ruhrgas stand 1999 unter dem Einfluss der gestiegenen Gaspreise im zweiten Halbjahr, die sich auf der Beschaffungsseite schneller auswirkten, als sie auf der Verkaufsseite weitergegeben werden konnten. Dadurch verringerte sich der Umsatz der Ruhrgas AG um 6,2 Prozent auf 6,1 Milliarden Euro. Der Konzernumsatz lag 1999 bei 7,3 Milliarden Euro (minus 5 Prozent). Im laufenden Geschäftsjahr zeichnet sich aufgrund der gestiegenen Gaspreise ein deutlicher Umsatzzuwachs ab. Der bereinigte Jahresüberschuss des Konzerns lag 1999 bei 398 Millionen Euro und war damit um 1,3 Prozent niedriger als im Vorjahr.

Wem gehört die Ruhrgas?

Das ist ein enges, kaum zu durchschauendes Geflecht von Beteiligungen: 40 Prozent aller Stimmen in der Aktionärsversammlung der Ruhrgas liegen über Beteiligungsfirmen bei der Preussag und den Mineralölfirmen Mobil Oil, Shell, Esso und BP. 60 Prozent liegen bei der sogenannten Bergemann GmbH. Die hat nur eine einzige Aufgabe, nämlich ein anderes Paket von Ruhrgas-Anteile zu verwalten: An der Bergemann GmbH sind RAG (51,9%), Vodafone/Mannesmann (23,6%), Thyssen-Krupp (13,3%), RWE/DEA und andere, darunter VEBA (1,1%) beteiligt. Der RAG-Konzern hat damit das Sagen in der Bergemann GmbH, aber auch in der Aktionärsversammlung der Ruhrgas (weil ein Sondervertrag das Stimmrecht der anderen Gesellschafter dort teilweise ausschließt). Der stellvertretende RAG-Vorstandsvorsitzende Wilhelm Beermann:

„Dies ist ein sehr komplexes und kompliziertes Gebilde. Man muss ja dabei sehen, dass die Ruhrgas einen bergbaulichen Ursprung hat aus der Zeit lange vor der Ruhrkohle AG, wo die einzelnen Gesellschaften Bergbaubetreiber waren und Kokereibetreiber waren, und aus dieser Situation heraus Kokereigas angefallen ist und dieses Kokereigas in der Bündelung gemeinsamer Interessen vermarktet worden ist. Aus dieser Zeit heraus hat der Bergbau und haben einige Gesellschaften eben ihre Anteile, die zu diesem Bergemannpool geführt haben. Wir sind der Aktionär, der die Führung im Bergemannpool hat und der in der Lage ist, Veränderungen in der Aktionärsstruktur zumindest mit kontrollieren zu können. Wir sind für sich genommen nicht der größte Aktionär, wir sind aber in einer gewissen Schlüsselfunktion“.

Im RAG-Konzern sind die größten Anteilseigner die VEW Dortmund, die demnächst mit der RWE fusioniert, und die VEBA. D.h., im RAG-Konzern zieht demnächst die RWE ein, indem sie im Zuge der Fusion mit der VEW deren 30,2-Prozent-Anteil an der RAG übernimmt. 39,2 Prozent der RAG-Aktien hält die VEBA, also der neue E.on-Konzern. Und will ihr Gewicht bei der Ruhrgas durch die Übernahme des Ruhrgas-Paketes von RWE-DEA vergrößern.

Die Eigentümer der Bergemann GmbH haben untereinander vertraglich vereinbart, dass, wenn einer von ihnen seine Anteile verkaufen will, er diese zunächst den anderen Anteilseignern anbieten muss. Und das passiert wahrscheinlich demnächst. Die RWE wird ihren 10-Prozent-Anteil am Bergemann-Pool (gleich 3,45 % an der Ruhrgas) an die VEBA sprich den neuen E.on-Konzern verkaufen. Das hat mit der Forderung des Bundeskartellamtes nach Entflechtung zu tun.

Für die RWE ist der Verkauf kein großer Verlust. Denn durch die Fusion mit der von VEW, die ihrerseits 30 Prozent der RAG-Aktien besitzt, zieht sie über die RAG wieder im Bergemannpool ein. (RWE/VEW ist auch selbst Gasverkäufer. Ende Mai 2000 übernahm die RWE von der Esso Deutschland 25 Prozent der Anteile an der Thyssengas GmbH in Duisburg und hält damit 75% der fünftgrößten deutschen Ferngasgesellschaft. Im Zuge der Fusion mit der VEW soll das gesamte Gasgeschäft des neuen Konzerns der heutigen VEW-Tochter Westfälische Ferngas-AG in Dortmund übertragen werden.)

Und noch ein weiterer Waggon mit einem großen Ruhrgas-Paket wird den „Verschiebebahnhof“ Bergemann-GmbH demnächst beschäftigen. Denn der Vodafone-Konzern plant den Verkauf der Ruhrgas-Anteile, die ihm durch die Übernahme von Mannesmann in den Schoß gefallen sind. Der Wert dieses 8,1 Prozent-Paketes wird auf 1,4 Milliarden Mark geschätzt. Geld, das Vodafone für neue Mobilfunk-Lizenzen braucht. Wenn die VEBA jetzt von der RWE ein kleines Paket Ruhrgas-Anteile aus dem Bergemannpool übernehmen möchte, dann hat sie wahrscheinlich auch Interesse an dem größeren, milliardenschweren Paket von Vodafone.

Der Ruhrgas-Vorstandsvorsitzende Friedrich Späth zeigte sich am 30.5.2000 auf der Jahrespressekonferenz in Essen ob der gegenwärtigen Spekulationen über eine neue Aktionärsstruktur des Konzerns recht gelassen. Denn diese Verschiebungen spielten sich ja nur innerhalb der Bergemann GmbH ab und nicht in der eigentlichen Aktionärsversammlung.

Die Zukunft der Ruhrgas

„Unser Ziel ist es, Ruhrgas zu einer integrierten europäischen Erdgasgesellschaft zu entwickeln“, sagte der Vorsitzende des Vorstands, Friedrich Späth, anlässlich der Jahrespressekonferenz des Unternehmens in Essen. Im Zusammenhang mit der europäischen Öffnung der Gasmärkte denkt die Ruhrgas daran, ihr Gas verstärkt auch im Ausland zu vermarkten. Denn in Deutschland setzt ihr das Bundeskartellamt Grenzen. Und am besten kann man Gas an Unternehmen verkaufen, an denen man selbst beteiligt ist. Etwa an den Stadtwerken von Prag. Die Zahl derartiger Beteiligungen, derzeit insgesamt etwa dreißig – will die Ruhrgas innerhalb der nächsten drei Jahre verdoppeln. Und hat dafür 2,5 Milliarden Mark in der Kasse.

Seine Position hat das Essener Unternehmen durch Beteiligungen an Erdgas-Produzenten in Großbritannien und Russland gefestigt. Allein in den vergangenen beiden Jahren investierte die Ruhrgas in Projektgesellschaften, Energie- und Industriebeteiligungen rund 1,1 Milliarden Euro, davon allein 0,8 Milliarden Euro für einen 4-Prozent-Anteil am russischen Erdgasproduzenten Gazprom. Mit einem Anteil von 29 Prozent am Vorsteuerergebnis des Konzerns bilden diese Beteiligungen künftig eine wichtige Ertragssäule des Konzerns, der inzwischen jede sechste Mark im Ausland erwirtschaftet.

Wirtschaftsexperten sprechen bei solchen Beteiligungen gerne vom Upstream. Künftig sieht der Konzern einen Schwerpunkt aber bei in- und ausländischen Downstream-Beteiligungen, d.h. an Beteiligungen an regionalen und kommunalen Gasunternehmen. Derzeit ist die Ruhrgas an etwa dreißig Verteilunternehmen und Stadtwerke in Deutschland, Tschechien, Polen, Estland, Lettland, Schweden und Finnland beteiligt – und will diese Zahl innerhalb der nächsten drei Jahre verdoppeln. Dafür hat sie 2,5 Milliarden Mark in der Kasse. Mit Hilfe dieser Zukäufe will die Ruhrgas stark bleiben gegenüber der Konkurrenz der künftig fusionierten Energiekonzerne RWE/VEW und VEBA/VIAG – beide selbst Anteilseigner der Ruhrgas -, die mit ihrer Multi-Utility-Strategie von „Gas und Wärme aus einer Hand“ um Kunden werben.

Die Exportlieferungen stiegen 1999 um rund 20 Prozent auf 32,4 Milliarden Kilowattstunden und trugen mit 5,5 Prozent zum Gesamtabsatz bei. Die Lieferungen gingen in die Schweiz, nach Großbritannien, Liechtenstein, Österreich, Polen, Tschechien und Ungarn. Diese Exporte machten 1999 5,5 Prozent des Gesamtabsatzes von 586 Milliarden Kilowattstunden Erdgas aus. Für das laufende Jahr erwartet Ruhrgas eine weitere Steigerung der Exporte.

Die Liberalisierung des Strommarktes hat zu deutlichen Preissenkungen geführt. Nach dem Beispiel beim Strom wird sich auch der europäische Gasmarkt öffnen. Derzeit muss in Deutschland vom Endverbraucher für Erdgas ein Fünftel mehr gezahlt werden als in anderen europäischen Ländern, so eine Statistik der Europäischen Union. Bis die 14 Millionen privaten Endverbraucher ihren Erdgas-Lieferanten frei wählen können, wird allerdings wohl noch ein Jahr vergehen. Vor ihnen werden industrielle Großkunden vom liberalisierten Erdgasmarkt profitieren. Die Voraussetzung dafür schafft die Europäische Richtlinie Erdgas, die von der Bundesregierung bis zum 10. August in nationales Recht umgesetzt werden muss. Und die Grundlage dafür wiederum schafften im März 2000 in Deutschland die Industrieverbände, indem sie sich auf Eckpunkte über einen solchen Vertrag verständigten, in dem dann der diskriminierungsfreie Zugang zu den Gasnetzen und die Transportkosten für alle Wettbewerber bis ins Detail geregelt werden sollen. Eine Verhandlungslösung statt einer staatlichen Regulierung.

Doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail: Wie soll die Durchleitung fremdes Gases durch eigene Gasleitungen berechnet werden? Denn zum einen ist Gas nicht Gas. Da gibt es Qualitätsunterschiede, die der Kunde merken kann. Und dann spielt auch die Entfernung und der die Menge des durchgeleiteten Erdgases eine Rolle. Das auszuhandeln, dürfte noch viel schwieriger sein als beim Strom.

Mit Blick auf die Umsetzung der EU-Gasrichtlinie in den einzelnen Mitgliedstaaten sprach Späth sich dafür aus, das Augenmerk auf die Reziprozität (Gegenseitigkeit) zu richten: „Wir können in der EU feststellen, dass Deutschland, Großbritannien und die Niederlande eine Vorreiterrolle einnehmen. Fairer Wettbewerb kann sich aber nur dann entwickeln, wenn europaweit Chancengleichheit besteht.“

Deutschland ist beim Erdgas zu 80 Prozent auf Importe angewiesen. Mit den wenigen Lieferanten aus diesen Ländern bestehen Verträge mit komplizierten Formeln, die den Preis von Erdgas an den des Heizöls koppeln. Der Verbraucher merkte es zuletzt im Frühjahr dieses Jahres: Als die Heizölpreise drastisch stiegen – sie sind die höchsten seit 1991 -, zog der Preis für Erdgas nach, durchschnittlich um mehr als elf Prozent. Sinkt der Heizölpreis, gibt auch der Erdgaspreis nach. So die Faustregel.

Die deutschen Erdgas-Importeure, allen voran die Ruhrgas AG, verstehen die Preisbindung Erdgas-Heizöl als eine Art Schutzschild gegen mögliche überzogene Preisforderungen der Erdgasproduzenten. Einen Produzentenwettbewerb im Zuge der bevorstehenden Deregulierung bei Erdgas, der dem Verbraucher zu Preisreduzierungen verhelfen würde, schließt Ruhrgas-Chef völlig aus. Denn im Vergleich zum Strom fehle es bei Erdgas an Überkapazitäten, und für sinkende Preise sei ohnehin kein Spielraum angesichts von Gewinnmargen von 0,4 Pfennigen pro Kilowattstunde.

Zur Zeit hat Erdgas in Deutschland einen Anteil am Primär-Energieverbrauch von rund 21 Prozent und liegt damit als Energieträger an zweiter Stelle hinter dem Mineralöl. Der Erdgasverbrauch in Deutschland lag 1999 bei 932 Milliarden Kilowattstunden. Und er wird weiter wachsen. Denn immerhin werden drei von vier Neubauwohnungen mit Erdgas beheizt. In Ballungszentrum beträgt der Anteil der Erdgasbeheizten Neubauwohnungen sogar 90 Prozent. Insgesamt bezogen Ende 1999 43 Prozent aller Haushalte in Deutschland Erdgas.

Gazprom hat auch noch andere Kunden in Deutschland

Die russische Gazprom, an der die Ruhrgas mit vier Prozent beteiligt ist, ist ihrerseits mit dem Ruhrgas-Konkurenten Wingas „verbandelt“: Die BASF-Tochter Wintershall und die Gazprom betreiben das Joint Venture „Wingas“ gemeinsam. Bis zum Jahre 2022 wird Gazprom jährlich vier Milliarden Kubikmeter Erdgas an die Wingas liefern. Gegenüber den 1600 Mrd. Kubikmetern, die die Ruhrgas bis 2030 von Gazprom erhält, ist das allerdings relativ wenig. Insgesamt lieferte Gazprom im Jahre 1999 knapp 35 Mrd. Kubikmeter Erdgas nach Deutschland, davon mehr als 48 Prozent an die Ruhrgas.

Die Ruhrgas als Sponsor

Wer Ruhrgas hört, denkt an Erdgas, aber auch an eine ganze Reihe von Sponsor-Aktivitäten. Dazu gehören Kunstausstellungen. So sponserte die Ruhrgas im vorigen Jahr die große Gauguin-Ausstellung im Essener Folkswang-Museum. Und will im nächsten Jahr eine Ausstellung mit Gemälden des bedeutenden englischen Landschaftsmalers William Turner nach Essen holen.

Dann wäre da der mit 50.000 DM dotierte Deutsche Architekturpreis. Den vergibt die Ruhrgas alle zwei Jahre unter Schirmherrschaft der Bundesarchitektenkammer. Im vorigen Jahr ging der Preis an den Berliner Architekten Daniel Libeskind für die Planung des neuen Jüdischen Museums in Berlin.

Eine weitere Förderung – wohl auch vor dem Hintergrund der Ruhrgas-Beteiligung an dem russischen Erdgasproduzenten Gasprom – gilt dem legendären Bernsteinzimmer im Katharinenpalast bei St. Petersburg, einst die Sommerresidenz der russischen Zaren. Für die Wiederherstellung des Bernsteinzimmers, in den Wirren des 2. Weltkrieges größtenteils verschollen, hat die Ruhrgas 3,5 Millionen US Dollar gespendet. Das Bernsteinzimmer soll bis zum Jahr 2003 – dem 300. Jahrestag der Grundsteinlegung von St. Petersburg wieder im alten Glanz erscheinen. 2003 feiert die Ruhrgas ihr 75jähriges Firmenjubiläum.

Und dann gibt’s da noch den „Förderpreis Deutscher Jugendsport“ in enger Zusammenarbeit mit Sportverbänden auf Bundes- und Landesebene Er wird an Sportlerinnen und Sportler verliehen, die maximal 16 Jahre alt sind und deren bisherige Leistungen olympische Chancen versprechen.