Kohlezechen vor der Schließung

Der Anteil importierter ausländischer Kohle – er lag im April 1999 mit fast 27 Millionen Tonnen noch bei 38 Prozent – wird bis zum Jahre 2005 voraussichtlich auf 44 Millionen steigen. Das wären dann 63 Prozent am gesamten deutschen Steinkohleverbrauch. Die Importe nehmen in dem Maße zu, indem die inländische Kohleförderung zurückgeht. In diesem Jahr musste der deutsche Steinkohlebergbau wegen des fortschreitenden Preisverfalls auf den Weltkohlemärkten schwierige Entscheidungen treffen: Die Schließung von zwei weiteren Zechen, eigentlich erst für die Zeit nach 2002 ins Auge gefasst, musste vorgezogen werden. Bis Mitte 2001 werden insgesamt fünf Zechen geschlossen.

Gesendet am Donnerstag, 30.12.1999, in „Westblick“ zwischen 17.05 und 18 Uhr

Von Lothar Kaiser

1997: Im rheinischen Hückelhoven endete mit der Schließung der Zeche Sophia-Jacoba die Geschichte des Aachener Steinkohlereviers, des ältesten in ganz Europa. 2500 Arbeitsplätze gehen verloren.

1998: Die Zechen Haus Aden in Bergkamen und Heinrich Robert in Hamm werden zum Verbundbergwerk Ost zusammengelegt, Westerholt in Gelsenkirchen und Fürst Leopold in Dorsten zum Verbundbergwerk Lippe. Von den insgesamt 14.000 Arbeitsplätzen bleiben bis zum Jahre 2001 noch 8000 übrig.

1999: Die Kokerei Fürstenhausen im Saarland und die Kokerei Hassel in Gelsenkirchen mit insgesamt 600 Arbeitsplätzen werden geschlossen. Der Grund: Mangelnde Koksnachfrage der Stahlindustrie. Ende September nächsten Jahres folgt die Kokerei Kaiserstuhl in Dortmund. Betroffen: 450 Mitarbeiter. Letzteres ist – aus unternehmerischer Sicht – fast schon eine Kleinigkeit im Vergleich zu den Steinkohlezechen, die in den nächsten achtzehn Monaten aufgegeben werden müssen.

Dass es im Jahre 2000 drei Zechen treffen würde, ist schon lange bekannt: Die Zeche Ewald-Hugo in Herten und Gelsenkirchen schließt zum 30. April, zwei Jahre früher als zunächst vorgesehen. Betroffen: 4300 Bergleute. Zwei Monate später folgt die Zeche Westfalen in Ahlen. Betroffen: 2400 Bergleuten. Zum Ende des Jahres 2000 schließt die Zeche Göttelborn/Reden im Saarland. Betroffen: 1500 Bergleute.

Über diese drei Zechen hinaus sah der Kohlekompromiss in den Folgejahren bis 2005 die Schließung von zwei weiteren Bergwerken vor. Das hätte den notwendigen Personalabbau in die Länge gezogen und Härten vermieden. Doch im Oktober musste die RAG die Katze aus dem Sack lassen: Die Förderung deutscher Steinkohle müsse stärker heruntergefahren werden als bislang geplant. Nunmehr gehe man davon aus, dass im Jahre 2005 in Deutschland statt 30 nur noch 26 Millionen Tonnen Kohle gefördert werden. Konsequenz: Vorgezogene Zechenschließungen.

Dass die Weltmarktpreise von Kohle auf einen historischen Tiefstand fallen und sich die Absatzchancen der deutschen Steinkohle entsprechend verschlechtert würden, sei nicht vorhersehbar gewesen. So begründete DSK-Chef Wilhelm Beermann den gravierenden Personalabbau, der sich aus der Schließung von nunmehr fünf Bergwerken bis Mitte 2001 ergibt. Vor Bergleuten der Zeche Ewald-Hugo sagte er weiter:

O-Ton: Vom Jahresende 1999 bis zum Jahresende 2000 sind insgesamt 12.000 Mitarbeiter und bis zum Jahresende 2001 weitere 8.400 im Bereich der gesamten DSK abzubauen. Insgesamt muss unsere Belegschaft demnach in den nächsten zwei Jahren um mehr als 20.000 Arbeitnehmer sinken. Ein Unterlassen bzw. Hinausschieben dieser notwendigen Kapazitätsanpassung würde nicht beherrschbare Auswirkungen auf die RAG Aktiengesellschaft haben.

Im November trafen die Aufsichtsräte des RAG-Konzerns und der Tochtergesellschaft Deutsche Steinkohle die Entscheidung, vermieden es jedoch, von vorgezogenen Zechenschließungen zu sprechen. Und das, obwohl zwei Zechenstandorte definitiv aufgegeben werden.

Der eine Standort ist Neunkirchen-Vluyn. Die dortige Zeche Niederberg wird zum 30. Juni mit der Zeche Friedrich Heinrich in Kamp-Lintfort zum Verbundbergwerk West.

Der andere Standort ist Recklinghausen. Dort geht eine 125jährige Bergbautradition zu Ende, wenn der Verbund der Zeche Blumenthal/Haard mit der Zeche Auguste Victoria in Marl zum 30. Juni 2001 wirksam wird. Viele Bergleute sehen dem mit gemischten Gefühlen entgegen:

O-Töne: Die Stimmung ist ja nicht besonders gut, ist doch ganz klar. – Ich bin jetzt 29 Jahre im Bergbau und wüsste nicht, ob ich dann irgendwo anders noch ne Stelle kriegen würde. – Ich bin jetzt im Moment 45 Jahre alt. Ich weiß jetzt nicht, umschulen? Wenn ich drei Jahre noch mitmache, was ich gerne vielleicht mitgemacht hätte, aber dann sagt jeder, wenn ich hier raus bin, jeder Arbeitgeber sagt: Na gut, ein bisschen zu alt, man sieht doch, was auf dem Arbeitsmarkt ist. – Man hat sich so daran gewöhnt, man kennt nichts anderes. Ich habe auch noch nichts anderes gemacht, ich war eben nur fast 18 Jahre im Bergbau. – Ich habe mehrere schwere Unfälle unter Tage gehabt, habe die Wirbelsäule kaputt. Wenn ich auf den Arbeitsmarkt geschmissen werde, sieht das schon mal schlechter aus als ein Gesunder.

Die neuen Verbundbergwerke in Marl und Kamp-Lintfort werden künftig pro Jahr etwa sechs Millionen Tonnen Kohle abbauen, 4,5 Millionen weniger als heute. Daraus ergibt sich ein Überhang von 6000 Arbeitsplätzen, den es abzubauen gilt. In Recklinghausen und Marl wird die Hälfte der insgesamt 8000 Bergleuten überflüssig; in Kamp-Lintfort und Neukirchen-Vluyn werden von 5900 Bergleuten 2100 nicht mehr gebraucht.

Doch ein Vorruhestand kommt nur für einen Teil der überzählig gewordenen Bergleute infrage. Viele sind dafür einfach zu jung. Für sie muss sich die Deutsche Steinkohle AG etwas anderes einfallen lassen.