Der Kohlekompromiss von 1997

Importkohle, etwa aus Südafrika, Polen, Australien, China, den USA und Kolumbien, kostete in diesem Jahr in Deutschland unter 70 Mark je Tonne. Ein Grund: Überkapazitäten auf den Weltmärkten. Ein anderer: Schiffe unter Billigflagge sind kein großer Kostenfaktor mehr; die Frachtraten sinken. Da kann die deutsche Steinkohle mit Förderkosten von fast 270 Mark je Tonne nicht mithalten. Kein neues Problem, gewiss. Doch wie in keinem Jahr zuvor wird es sich in den kommenden beiden Jahren im Ruhrgebiet auswirken. Durch beschleunigte Zechenstillegungen und Personalabbau. Grund genug für „Westblick“ auf WDR 5, der deutschen Steinkohle, den betroffenen Bergleuten, dem RAG-Konzern als Betreiber der verbliebenen Zechen und der Kohlepolitik in Brüssel und Berlin eine Serie zu widmen. Am Anfang steht ein Blick zurück.

Gesendet am Montag, 27.12.1999, in „Westblick“ zwischen 17.05 und 18 Uhr

Von Lothar Kaiser

Wer von der deutschen Steinkohle spricht, kommt um Zahlen nicht herum. Im Jahre 2005 werden 36.000 Bergleute in zehn Bergwerken noch 26.000 Tonnen Steinkohle fördern. Das ist weniger als ein Fünftel der Fördermenge von 1957. Damals gab es noch 153 Steinkohle-Bergwerke in Deutschland mit mehr als 600.000 Beschäftigten. Die eigentliche Krise der Kohle begann in den 60er Jahren. Bis 1969 war die Zahl der Zechen um zwei Drittel gesunken, die Jahresförderung beinahe um die Hälfte. Aus Sorge vor weiteren ungeordneten Zechenschließungen und betriebsbedingten Kündigungen forderte die Bundesregierung damals die Gründung einer „Gesamtgesellschaft“ der Steinkohle an der Ruhr ein. Am 18. Juli 1969 unterschrieb Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller in Essen den „Grundvertrag für die Gründung der Ruhrkohle AG“.

Der Name ist in der Zwischenzeit aus dem Essener Handelsregister gestrichen. Dort heißt das Unternehmen längst „RAG Aktiengesellschaft“. Eine ihrer Tochtergesellschaften ist die Deutsche Steinkohle AG in Herne, die DSK. Unter ihrem Dach sind seit dem 1. Januar 1999 sämtliche deutschen Steinkohle-Bergwerke vereint – momentan noch elf an der Ruhr, drei im Saarland und eine in Ibbenbüren.

Bei ihrer Gründung vor 30 Jahren beschäftigte die RAG 183.000 Bergleute, Ende dieses Jahres sind es noch 66.000. Ein Aderlass ohne eine einzige betriebsbedingte Kündigung.

Darauf hatten sich im Jahre 1997 die Kohleländer Nordrhein-Westfalen und Saarland, der Bund, die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, IGBCE, und der RAG-Konzern im sogenannten Kohlekompromiss verständigt, nachdem es zu massiven Bergarbeiterstreiks gekommen war. Alfred Geißler, Landesbezirksleiter Westfalen der Industriegewerkschaft Bergbau, Energie, Chemie (IGBCE):

O-Ton: „Wie sich viele erinnern, haben wir damals die kohlepolitische Vereinbarung abgeschlossen, die vorsieht, dass die öffentlichen Hilfen für den Steinkohlebergbau bis zum Jahre 2005 drastisch halbiert werden und die Zahl der Beschäftigten von damals 84.000 auf nur noch 36.000 zurückgehen wird.“

Die Bundesbeihilfen für die deutsche Steinkohle summieren sich zwischen 1997 und 2005 auf die stolze Summe von mehr als 58 Milliarden Mark. Im gleichen Zeitraum steuert das Land Nordrhein-Westfalen fast zehn Milliarden Mark hinzu. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Peer Steinbrück:

O-Ton: Der Deutsche Steinkohlebergbau hat durch die Vereinbarung vom 13. März 1997 eine bis 2005 finanziell gesicherte Perspektive – wenn auch auf einem geringeren Niveau als das, was in den 70er und 80er Jahren bis weit in die 90er Jahre hinein möglich gewesen ist. Damit hat der Steinkohlebergbau aus der Sicht der Landesregierung insgesamt bereits einen großen, ja, bezogen auf andere große Subventionsblöcke dieser Republik einen beispielgebenden Beitrag zum Subventionsabbau in der Bundesrepublik Deutschland geleistet, ohne dass die sozialverträgliche Anpassung und die damit verbundene Verantwortung aufgegeben wird. Sie sollten wissen, dass die Landesregierung sich jeder Gefährdung dieser kohlepolitischen Vereinbarung widersetzt.“

Dass auch die rot-grüne Bundesregierung trotz ihres ausdrücklichen Sparwillens für den RAG-Konzern ein verlässlicher Partner zu sein scheint, beruhigte auch den stellvertretenden RAG-Vorstandsvorsitzenden Wilhelm Beermann, zugleich Vorstandsvorsitzender der Deutsche Steinkohle AG:

O-Ton: Wir sind sehr froh, dass auch die im vergangenen Jahr neugewählte Bundesregierung den Kohle-Kompromiss bestätigt und sich wiederholt dazu bekannt hat.

Im kommenden Jahr muss sich entscheiden, wie es mit den Kohlesubventionen weitergeht.