„Job-Explorer“ der RAG macht Bergleute nachdenklich

Um Mitarbeiter zum Abschied von der Kohle zu bewegen, hat sich die DSK, die Deutsche Steinkohle AG mit Sitz in Herne, die Mailing-Aktion „Job-Explorer“ einfallen lassen.

Gesendet am Freitag, 24.September 1999,10.40 -10.50 Uhr, auf WDR 5

Personalabbau im Steinkohlebergbau

Von Lothar Kaiser

Im sogenannten Kohlekompromiß des Jahres 1997 haben Bund, Länder, Unternehmen und Gewerkschaft bis zum Jahre 2005 sinkende öffentliche Kohlebeihilfen und als Folge davon Zechenstillegungen und Personalabbau festgeschrieben. Von den derzeit 65.000 Bergleuten wird in den kommenden fünf Jahren jeder dritte (dann nur noch 30.000) seinen Arbeitsplatz verlieren – nach Möglichkeit sozialverträglich, d.h. ohne Kündigungen. Damit dies gelingt, hat sich die Deutsche Steinkohle AG viel einfallen lassen. Und erhöht über dreißig „Jobberater“ den Druck auf die Bergleute weiter.

O-Ton: Mein Onkel hat hier gelernt, mein Opa, und der hat mir auch gesagt, dass es auf der Zeche die beste Ausbildung gibt. Und deshalb habe ich auch auf der Zeche die Ausbildung gemacht. Ich hatte super Arbeitskollegen sowohl unter Tage als auch über Tage.

Manfred Kloß ist 24 Jahre alt und Industriemechaniker auf der Zeche Ewald-Hugo in Herten. Aber nicht mehr lange. Wenn alles gut geht, findet er in einem Handwerkbetrieb eine neue Stelle. Die Chance dazu bietet ihm die sogenannte Handwerkerinitiative, von den Bergleuten nur HWI genannt. Sie soll Bergleuten den Ausstieg aus der Kohle erleichtern. Eigens dafür hat die Deutsche Steinkohle AG (DSK) in Herne dreißig Mitarbeiter als „Vermittlungsbeauftragte“ abgestellt. Auch Betriebsratsmit-glieder arbeiten mittlerweile als „Jobberater“. Zu ihnen gehört Jörg Dembek. Der gelernte Elektriker wurde im Alter von 19 Jahren freigestelltes Betriebsratsmitglied und ist es heute, mit 36, noch immer.

O-Ton: In der Vergangenheit war es so, man ist im Bergbau angefangen und hat in der Regel seine Rente im Bergbau bekommen, was in der freien Wirtschaft schon lange so nicht mehr der Fall ist, denn da wechseln die Kollegen zwei bis drei Betriebe im Laufe ihres Berufslebens. Das war im Bergbau in der Vergangenheit nicht so, und da die erste Hemmschwelle zu überschreiten, ist bei vielen Kollegen noch groß. Der Schwerpunkt der Maßnahmen ist die sogenannte Einarbeitungsqualifizierung oder Schnupperqualifizierung. Dort haben unsere Kollegen also die Möglichkeit, ein halbes Jahr lang einen neuen Betrieb kennenzulernen, um sich ein Bild darüber zu verschaffen, langfristig in diesem neuen Betrieb arbeiten zu wollen, ja oder nein. Die gleiche Möglichkeit hat dann auch der Betrieb. Nach einem halben Jahr müssen dann beide die Entscheidung treffen, ob ein Arbeitsvertrag abgeschlossen wird: Ja oder nein. Wenn nicht, hat der Kollege die Möglichkeit, wieder zu-rückzukehren zu unserem Bergwerk. Diese Maßnahme läuft seit 1993 und ist damals ursprünglich ausgelegt worden für Berufe des Handwerkes, und seit Beginn des letzten Jahres ausgelegt für alle Arbeitnehmerberufe in der Bundesrepublik Deutschland.

Rund 5000 Bergleute haben in den vergangenen sechs Jahren an diesen Schnupperkursen teilgenommen, zum Beispiel in Elektroinstallationsbetrieben.

O-Ton: Mein Name ist Horst-Burkhard Schwarz, mein Alter ist 38, ich bin Geschäftsführer der Firma Keitek und führe den Betrieb seit ca. zweieinhalb Jahren. Seit kurzem bin ich auch in den Vorstand der Innung gewählt worden, und da habe ich eigentlich einen ganz guten Kontakt zu. Nur muss ich sagen, dass die reinen Installateurbetriebe davon eigentlich noch nicht so begeistert sind, weil der größte Teil ja aus dem untertägigen Bereich kommt und für den Installationsbereich wahrscheinlich noch nicht so interessant ist. Die müssen sich erst mal komplett umstellen und dieses Bergbaudenken einfach ablegen. Die Leute, die ich jetzt zum Schluss behalten habe, die haben sich eigentlich dadurch ausgezeichnet, dass sie sehr flexibel waren und hoch ausgebildet waren.

O-Ton: Mein Name ist Thomas Matukat, bin 41 Jahre alt, war auf dem Bergwerk als Elektrosteiger tätig und bin auch durch die Jobbörse zu dieser Handwerksinitiative gekommen und wenn ich mal zurückrechne, ich bin 1973 bei der Ruhrkohle angefangen, da zwischendurch nur die Bundeswehrzeit hatte und dann immer nur bei der Ruhrkohle gewesen bin, ist es natürlich schon eine Umstellung, den Mut zu fassen, sich davon zu lösen. Zur Zeit, kann ich sagen, habe ich es nicht bereut, diesen Schritt getan zu haben.

Ein überragender Erfolg blieb der Handwerkerinitiative allerdings bis heute versagt. Vier von zehn Bergleuten kehrten nach der Schnupperphase zur Kohle zurück. Jobberater Jörg Dembek sagt über diese Rückkehrquote

O-Ton: Die ist relativ hoch. Wir bemühen uns jetzt auch, die Beratung im Vorfeld so zu verbessern und die Auswahl so zu treffen, dass wir die Kollegen entsprechend des neuen Jobs auch richtig aussuchen und auch richtig beraten können. Das ist auch Schwer-punkt z.b. dieses Jobcenters.

Die Jobcenter in den deutschen Steinkohlezechen sollen helfen, das Problem des unausweichlichen Stellenabbaus zu lösen. DSK-Arbeitsdirektor Ernst Brosch:

O-Ton: Wir müssen in der Zeit bis 2005 noch 30.000 Arbeitsplätze abbauen. All das, was wir jetzt angeschoben haben, dient dem Ziel, auch in der Zukunft ohne betriebsbedingte Kündigungen auszukommen.

Vieles ist angeschoben worden. Da wurden Bergleute innerhalb Mutterkonzerns RAG untergebracht oder in andere Branchen vermittelt, wobei den Abschied von der Kohle finanzielle Beihilfen erleichterte.

O-Ton: Das kann Existenzgründung sein, ein neues Berufsfeld im süddeutschen Raum, wozu man ein bisschen Startgeld braucht und dergleichen mehr.

Sagt der DSK-Vorstandsvorsitzende Wilhelm Beermann und nennt als weitere „Unterstützungsmaßnahmen“ Umschulung und Anschlussqualifizierung.

O-Ton: Ich sage bewusst Anschlussqualifizierung, denn es sind Facharbeiter, die nach deutschem Berufsbildungsgesetz ausgebildet sind in verschiedensten Branchen, eine davon ist die Bergtechnik. Und die haben eben eine Ausbildung, die nicht ohne weiteres den Übergang in ein anderes Berufsbild zulässt.

Nicht nur deshalb haben die Jobberater der Deutschen Steinkohle AG keine leichte Aufgabe. Nicht alle Beratungsgespräche verlaufen problemlos. Oft stoßen sie auf Bedenken oder gar Ablehnung.

O-Ton: Mein Name ist Bernhard Witte, ich bin 31 Jahre alt, habe mehrere schwere Unfälle unter Tage gehabt, habe eine Großzehe ab, habe die Wirbelsäule kaputt. Wenn ich auf den Arbeitsmarkt geschmissen werde, sieht das schon mal schlechter aus als ein Gesunder. Und mir gefällt der Beruf, und umschulen, dann wäre ich 33 ½, und wer nimmt einen ohne Facherfahrung.

O-Ton: Mein Name ist Dirk Kollöchter, ich bin 34 Jahre alt, Schlos-ser gelernt und bin seit 7 Jahren in der Wetterabteilung, speziell Fachrichtung Gasbohren. Man hat sich so daran gewöhnt, man kennt nichts anderes. Ich habe auch noch nichts anderes gemacht, ich war eben nur fast 18 Jahre im Bergbau.

Was glauben Sie, sind die Gründe, warum viele Bergleute noch zögern vor einem solchen Wechsel.

Die meisten haben es im Hinterkopf: Es wird schon irgendwie weitergehen.

Diese Haltung des vorsichtigen Abwartens kennt auch Wilhelm Beermann, der Chef der fünfzehn Bergwerke in Ibbenbüren, im Saarland und an der Ruhr, die derzeit noch Steinkohle fördern:

O-Ton: Viele sagen zunächst einmal, möge der Kelch an mir vorübergehen und ich meinen Arbeitsplatz, wenn schon nicht in meinem Bergwerk, auf dem ich bin, aber dann auf einem anderen Bergwerk erhalten. Und wenn er sich in eine völlig neue Branche begibt, dann muss man ihn an die Hand nehmen und ihm die Hemmschwelle nehmen.

Der moralische und faktische Druck auf die Bergleute wächst, den traditionsreichen Kohle-Arbeitsplatz aufzugeben. Jüngstes Druckmittel: Die Mailingaktion „Job-Explorer“. Alle Mitarbeiter der DSK, Abteilungsleitern ebenso wie Auszubildende, müssen dabei ihre beruflichen Qualifikationen angeben, insbesondere solche, die Chancen außerhalb der Kohle eröffnen. Gefragt wird daneben auch nach der Bereitschaft zur Umschulung oder, bei einem Arbeitsplatzwechsel auch einen Umzug in Kauf zu nehmen. Zugleich soll die Mailingaktion persönliche Betroffenheit auslösen. Arbeitsdirektor Karl-Ernst Brosch:

O-Ton: Wir hoffen, dass wir mit der Einsicht unserer Mitarbeiter, die ja in der Vergangenheit einen gewaltigen Personalabbau mitgetragen haben, in der Zukunft eine Beschleunigung erreichen und un-ser Problem lösen können“.

Ich glaube, dass man manchem deutlich klarmachen muss, dass er der Gemeinschaft verpflichtet ist, mitzuziehen, z. B. dann, wenn ihm zumutbare Arbeitsplätze angeboten werden.“

Sobald alle zurückgeschickten Fragebögen ausgewertet sind, wird die deutsche Steinkohle AG ihre Mitarbeiter ein zweites Mal anschreiben. Dann mit konkreten Vorschlägen für einen Arbeitsplatzwechsel – innerhalb oder außerhalb des Unternehmens. Wilhelm Beermann:

O-Ton: Nicht nur die werden angesprochen, die auf dem Bergwerk sind, was zur Stilllegung ansteht, sondern alle sind betroffen heißt, dass auch immer die Belegschaft angesprochen ist auf Bergwerken, die eigentlich andere aufnehmen. Und wer sich dort bewegt, macht einen Arbeitsplatz für einen direkt Betroffenen frei. Deswegen sprechen wir auch Leistungsträger an, die man unter normalen Gegebenheiten auch gerne behalten würde.

Auch Betriebsratsmitglied Jörg Dembek richtet sich auf längere Anfahrtszeiten ein. An eine der verbleibenden Steinkohlezechen im Ruhrgebiet denkt er dabei allerdings nicht.  Der Jobberater weiß, daß auch er selbst im Bergbau keine Zukunft haben wird. Darauf hat er sich frühzeitig und sorgfältig vorbereitet. Das Abitur an einer Abendschule war da nur der Anfang.

O-Ton: Ich persönlich bin dabei, in Abendform mich noch mal weiterzubilden. Ich mache ein Studium im Bereich Wirtschaftsrecht. Zielrichtung ist es, spätestens bis zum Jahr 2002 auch das Unternehmen DSK verlassen zu haben, wenn im Bereich Personalwesen dort entsprechend meinen Mann zu stehen und meine Erfahrungen, die ich im Laufe meines Betriebsratsdaseins hier auf dem Bergwerk gemacht habe, dort einbringen könnte.

Die Zukunft selbst in die Hand nehmen, nicht abwarten nach dem Motto „Es wird schon gut gehen“. Das ist die Haltung, die sich unter den Bergleuten immer mehr durchsetzt. Ein Bergmann bringt es auf den Punkt:

O-Ton: Besser jetzt den Absprung schaffen, als hinterher auf der Straße zu liegen.