Karl Starzacher wird neuer Chef der RAG

Der frühere hessische Finanzminister Karl Starzacher (SPD) ist der neue Mann an der Spitze des Essener Energie- und Technologiekonzerns RAG. Der Aufsichtsrat unter dem Vorsitz von VEBA-Chef Ulrich Hartmann wählte ihn am Abend des 23. Septembers 1999 zum Vorstandsmitglied ab 1. Oktober und zum Jahres-wechsel zum Nachfolger von Gerhard Neipp.

Gesendet am Donnerstag, 23. September 1999, im „Morgenecho“ auf WDR 5

Von Lothar Kaiser

Karl Starzacher kurz nach der Wahl:

O-Ton: Ich bin froh, dass ich drei Monate Zeit habe, im Vorstand mit-zuarbeiten, bevor ich die Aufgabe als Vorstandsvorsitzender übernehme.

Es war keine Kampfabstimmung. Die Aktienmehrheit der RAG teilen sich die drei Ruhrkonzerne VEBA, VEW und Thyssen-Krupp. Im Aufsichtsrat entfällt jedoch die Hälfte der Sitze getreu der Montanmitbestimmung auf Gewerkschaftsvertreter. Aber auch von dieser Seite kam kein Widerspruch. Schon vor einigen Wochen sollen sich Hubertus Schmoldt, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau, Energie, Chemie und Veba-Chef Hartmann auf Starzacher geeinigt haben. Der RAG-Aufsichtsratsvorsitzende Hartmann kennt Starzacher seit langem, etwa aus dem Aufsichtsrat der VEBA-Tochter Preußen-Elektra.

O-Ton: Es war eine gute, eine einvernehmliche Wahl. Ich kenne ihn seit mehreren Jahren und schätze ihn außerordentlich, und ich glaube, dieser Eindruck hat sich auch auf den ganzen Aufsichtsrat verbreitet.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Gerhard Neipp, gelernter Werkzeugmacher und Ingenieur, der schon früh in großen Konzernen Leitungsaufgaben übernahm, kann Karl Starzacher keine Managementerfahrung in der Industrie vorweisen. Der gelernte Jurist ging 1975, im Alter von dreißig Jahren, in die Politik. Zunächst als persönlicher Referent des damaligen hessischen Ministerpräsidenten Alfred Osswald. Drei Jahre später wurde er in den Landtag gewählt, wurde rechts- und finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, 1991 die Wahl zum Landtagspräsidenten, 1995 die Ernennung zum Finanzminister des Landes Hessen unter Ministerpräsident Hans Eichel.

In der mittelhessischen Kleinstadt Lich, wo seine Frau als Ärztin praktiziert, will Karl Starzacher, Vater von vier Kindern, wohnen bleiben, sich aber bald in Essen eine Zweitwohnung suchen, groß genug für die ganze Fami-lie. Kenntnisse vom Ruhrgebiet?

O-Ton: Ich habe den Eindruck, viel Grün, sehr freundliche Menschen, mit denen ich zusammengekommen bin, und denke, dass ich mich hier sehr wohlfühlen werde.

Sein Landtagsmandat in Wiesbaden wird Karl Starzacher niederlegen müssen, bevor er zur RAG kommt. Den guten Kontakt zu Bundeswirtschaftsminister Hans Eichel, zuvor hessischer Ministerpräsident, kann er jedoch weiter pflegen. Und dieser Kontakt könnte dem RAG-Konzern als Betreiber der fünfzehn noch bestehenden deutschen Steinkohlebergwerke sogar von Nutzen sein, wenn es im kommenden Jahr darum geht, mit der Bundesregierung die öffentlichen Kohlebeihilfen für die Zeit nach 2005 auszuhandeln.

O-Ton: Es ist gut, wenn man sich kennt, es wird Gesprächsmöglichkeiten erleichtern, aber es wird in der Sache weder zu faulen Kompromissen führen noch zu Positionsaufgaben.

Für den CDU-Landesvorsitzenden Jürgen Rüttgers riecht Starzachers Wahl nach Versorgungsfall und Filz. Machte er wegen seiner guten Kontakte zur Politik das Rennen? Nicht nur. VEBA-Chef Hartmann:

O-Ton Da ist zum einen die hohe Intelligenz, das strategische Denken, seine Kommunikationsfähigkeiten, in schwierigen Situationen ausbalancierend zu wirken.

Dennoch: Zwischen der Leitung eines Landesministeriums mit 280 Bediensten und der eines internationalen Großkonzerns Großkonzerns mit 480 Firmenbeteiligungen und mehr als 100.000 Mitarbeitern können Wel-ten liegen. Karl Starzacher aber gibt sich gelassen:

O-Ton: Ich glaube, dass ich einen Eindruck von der Bedeutung dieser Aufgabe habe, das ist eine große Herausforderung, und ich freue mich sehr darauf.

Im hessischen Landtag galt Karl Starzacher als Sparer. Eine Eigenschaft, die ihm an der Spitze der RAG angesichts weiter sinkender Kohlesubventionen zugute kommen könnte. Sparen muss jedoch nicht Liquidieren heißen. Beim Sommertheater im Blätterwald an der Ruhr war in den vergangenen Wochen spekuliert worden, für einen Politiker habe man sich entschieden, um den RAG-Konzern leichter zerschlagen und seine Filetstücke unter den Anteilseignern besser verteilen zu können. Doch von einem Liquidator wollte VEBA-Chef Ulrich Hartmann gestern abend nichts wissen:

O-Ton: In jedem Fall Bewahrer, aber das würde mir nicht genügen. Herr Starzacher wird der Kapitän der den inzwischen sich wirklich hervorragend entwickelten RAG-Konzern durch sicherlich schwierige Wasser leiten wird. Also ich glaube, er ist wirklich der geeignete Mann für diesen Konzern in dieser Zeit.

Internet-Zusatzinformationen:

Die erste Grubenfahrt des künftigen Vorstandsvorsitzenden des Essener Energie- und Technologiekonzerns RAG am 18. Oktober 1999 stieß auf dem Bergwerk Prosper-Haniel in Bottrop auf ein großes Medieninteresse. Der frühere hessische Finanzminister, der zu Jahresanfang auch Aufsichtsratsvorsitzender der RAG-Konzerntochter Deutschen Steinkohle AG in Herne wer-den wird, äußerte in Bottrop großen Respekt vor der Leistung der Bergleute unter Tage und stellte den hohen technischen Standard der Kohleförderung heraus. Der RAG-Vorstand wird am 29. November zu entscheiden haben, welche zwei der derzeit insgesamt fünfzehn deutschen Steinkohlezechen ge-schlossen werden sollen. Verhandlungen mit der Bundesregierung über die Kohlesubventionen nach 2005 strebt die RAG schon für Anfang kommenden Jahres an.