Gerhard Neipp gibt RAG-Vorstandsvorsitz ab

Viele hatten ihn gedrängt, noch eine Amtsperiode anzuhängen. Seine Mitarbeiter auf der Vorstandsetage, Betriebsräte der vielen Tochterunternehmen, Gewerkschaftsvertreter, der Aufsichtsrat. Doch Neipp blieb hart: 46 Berufsjahre waren für den Mann mit viell Familiensinn – er hat zwei Söhne und eine Tochter – mehr als genug. Seinem Nachfolger hinterlässt er ein geordnetes Unternehmen. Einen Konzern, der Zukunft verdient haben sollte.

Gesendet am 22.9.99 in „Profit“ auf WDR 3 um 18:20 Uhr

Von Lothar Kaiser

Der frühere hessische Finanzminister Karl Starzacher (SPD) hat offenbar die größten Chancen, Vorstandsvorsitzender des Essener Energie- und Technologiekonzern RAG zu werden, die unter dem Dach der Deutschen Steinkohle AG (DSK) sämtliche deutschen Steinkohlebergwerke betreibt – elf an der Ruhr, drei im Saarland und eines in Ibbenbüren. Über die Nachfolge von Prof. Gerhard Neipp, der das traditionelle Ruhrunternehmen seit seinem Amtsantritt am 1. Januar 1995 zu einem international tätigen Großkonzern ausgebaut hat und der zum Jahreswechsel auf eigenen Wunsch in den Ruhestrand geht, entscheidet heute abend in Essen der RAG-Aufsichtsrat.

O-Ton: Wir haben uns hier festgesetzt am Standort unseres schönen Ruhr-gebietes, um wollen von hier aus unsere weltweiten Aktivitäten auch in den kommenden Jahren ausbauen.

Sagte vor wenigen Wochen Gerhard Neipp bei der Einweihung der neuen Konzernzentrale im Zentrum von Essen. Vom Dach des Hochhauses aus blickt man bei schönem Wetter weit über das Ruhrgebiet, das für den gebürtigen Württemberger zur zweiten Heimat geworden ist. Von dieser Region sei er noch immer fasziniert, bekennt der 60jährige, dessen Amtszeit als Vorstandsvorsitzender der RAG zum Jahresende abläuft.

Geboren am 16. August 1939 in Trossingen, begann Neipp mit 13 Jahren eine Lehre als Werkzeugmacher und technischer Zeichner. Über den zweiten Bildungsweg kam er zur Hochschule, wo er ein Studium als Ingenieur abschloss. Es folgten Jahre in – bereits verantwortlichen – Positionen bei süddeutschen Unternehmen, zuletzt als Vorstandsmitglied von M.A.N. Von dort holte ihn Berthold Beitz, der Aufsichtsratsvorsitzende von Krupp, in dem Vorstand der Krupp GmbH. Im September 1992 ging Neipp von dort als Vorstandsvorsitzende zur Hoesch AG nach Dortmund, um nach erfolg-reicher „Elefantenhochzeit“ mit Krupp dort wieder das Amt des stellvertre-tenden Vorstandsvorsitzenden zu übernehmen.

Im Januar 1995 dann der Wechsel an die Spitze des RAG-Konzerns. Eine reizvolle, aber auch eine schwierige Aufgabe. Denn die öffentlichen Beihil-fen für die deutsche Steinkohle, mit der schon lange keine Kohle mehr zu machen ist, sinken kontinuierlich. Von den derzeit 65.000 Bergleuten wird in den kommenden fünf Jahren jeder dritte seinen Arbeitsplatz verlieren. So will es der Kohlekompromiß von 1997, dem schwierige Verhandlungen mit Gewerkschaft und Politik vorausgingen. Eine Mittlerrolle kam hier Gerhard Neipp zu. Er meisterte sie mit Bravour.

Hier der nicht aufzuhaltende Niedergang der deutschen Steinkohle, dort der Aufstieg des RAG-Konzerns zu einem der dreißig größten Unternehmen in Deutschland. Die RAG verdankt ihn nicht zuletzt der Weitsicht ihres Vorstandsvorsitzenden, mit der dieser den sogenannten „weißen Beteiligungsbereich“, also den außerhalb der Kohle, stark ausbaut in der Erkenntnis, darauf in dem Maße angewiesen zu sein, in dem der Staat die Fördermittel für die Kohle kürzt. Während die Tochtergesellschaften außer-halb des Bergbaus im Jahr 1970 noch zwei Prozent des damaligen Kon-zernumsatzes erwirtschafteten, waren es sieben Jahre später mehr als zwei Drittel.

Trotz dieses Aufschwungs des Konzerns hat Gerhard Neipp nie die Bodenhaftung verloren. Für ihn stand der Mensch im Mittelpunkt. Die „Arbeitswelt“ war für ihn kein akademischer Begriff, sondern er kannte sich aus an den Werkbänken. Und kannte die Probleme der dort Arbeitenden. Mit denen setzte er sich ruhig und sachlich auseinander, stets auf Konsens bedacht

Viele hatten ihn gedrängt, noch eine Amtsperiode anzuhängen. Seine Mitarbeiter auf der Vorstandsetage, Betriebsräte der vielen Tochterunternehmen, Gewerkschaftsvertreter, der Aufsichtsrat. Doch Neipp blieb hart: 46 Berufsjahre waren für den Mann mit viell Familiensinn – er hat zwei Söhne und eine Tochter – mehr als genug. Seinem Nachfolger hinterlässt er ein geordnetes Unternehmen. Einen Konzern, der Zukunft verdient haben sollte.