RAG kauft amerikanische Zechengesellschaft

Die Kohle steckt in der Krise. Ein alter Hut, keine Schlagzeile mehr wert? Der jüngste Deal von RAG-Chef Gerhard Neipp in den USA, die Übernahme von neun Kohlegruben der Cyprus Amax-Company, die sich der Essener Konzern fast zwei Milliarden Mark kosten läßt, beweist das Gegenteil.

Gesendet am Montag, 14. Juni 1999, in „Profit“ auf WDR 5

Von Lothar Kaiser

Das Problem ist bekannt: Importkohle, etwa aus Südafrika, Polen oder Ko-lumbien, wird zunehmend billiger als deutsche Kohle. Ein Grund: Überkapazitäten auf den Weltmärkten. Ein anderer: Schiffe unter Billigflagge sind kein großer Kostenfaktor mehr; die Frachtraten sinken. Beides trifft die RAG hart.

RAG – was ist das eigentlich? Unter dem Dach des Essener Energie- und Technologiekonzern RAG vereint sind seit Anfang dieses Jahres sämtliche deutschen Bergwerke – elf an der Ruhr, drei im Saarland und eine in Ibbenbüren. Genauer: Unter dem Dach der Tochtergesellschaft Deutsche Steinkohle AG in Herne. Insgesamt beschäftigt der Energie- und Technologiekonzern RAG heute in den Bereichen Bergbau, Energie, Chemie, Vertrieb und Handel, Umwelt, Immobilien und Technologie in 330 Gesellschaften rund 105.000 Mitarbeiter, 70.000 im Bereich Kohle.

Ende 1997 zählte der deutsche Steinkohlebergbau noch rund 84.000 Beschäftigte. Das bedeutet den Abbau von 48.000 Stellen innerhalb von acht Jahren. Und der Abbau geht weiter – unabänderliche Konsequenz der Kohlekrise. Dadurch, daß die RAG ihre teure heimische Steinkohle zu niedrigen Weltmarktpreisen anbieten muß, klafft eine Lücke zwischen Produktionskosten und Erlös, die mit Inlandsgeschäften nicht zu schließen ist.

Da mußte die Notbremse gezogen werden. Bis zum Jahre 2005 steht in drei bis vier deutschen Zechen die letzte Schicht an. Dann werden in den verbleibenden elf bis zwölf Kohlebergwerken Deutschlands nur noch etwa 36.000 Bergleute arbeiten – und jährlich 30 Millionen Tonnen Kohle fördern. Und das soll so bleiben: Wenngleich geschrumpft, braucht der deutsche Bergbau den Fortbestand. Denn sollten künftige Generationen eines Tages neue Kohlelagerstätten erschließen wollen, müssen bestehende Bergwerke mit ihrer erprobten Technik die Ausgangsposition hierfür bieten. Immerhin dauert es zwölf Jahre, bis in einem Bergwerk zum ersten Mal Kohle ab-gebaut werden kann. Man denke nur an die Ölkrise vor 15 Jahren. Und daran, daß viele Rohstoffvorkommen in internationalen Krisengebieten liegen.

Kann den deutschen Kumpels in dieser Situation die Kohleförderung des eigenen Konzerns im Ausland – sie verzehnfacht sich durch die Übernahme der neun Cyprus Amax-Gruben in den USA auf einen Schlag – gefährlich werden? Im Gegenteil. Die 120 Auslandsbeteiligungen des Energie- und Technologiekonzern RAG sind schon jetzt am Gesamtumsatz von 25 Milliarden Mark mit fast einem Fünftel beteiligt. Indem die RAG ihre Auslandsaktivitäten verstärkt und weitere Kohlegruben übernimmt, kann sie den Rückgang der heimischen Förderung besser ausgleichen. Das haben auch die Kumpels in den deutschen Zechen erkannt. Längst wird die von ihnen an Ruhr und Saar erprobte, hochentwickelte Fördertechnik im Ausland gewinnbringend ver-marktet. Und die Verkaufschancen steigen in dem Maße, in dem man im Ausland demnächst vom Tagebau abgehen und zum Untertagebau übergehen muß.

Es ist diese Spitzentechnologie aus deutschen Kohlenrevieren, die die RAG zum weltweit führenden Anbieter gemacht hat. Was liegt näher, als sie künftig verstärkt in eigenen Gruben im Ausland einzusetzen. Das schlägt sich dann nicht nur in der Bilanz des Essener RAG-Konzerns positiv nieder, sondern vom steigenden Verkauf von Bergbauausrüstungen ins Ausland profitieren dann auch die deutschen Zulieferer, vor allem im Ruhrgebiet ansässig, die auf dem heimischen Markt Einbußen beklagen müssen.

Und ein weiteres ist positiv: Der Verein Deutscher Kohleimporteure geht davon aus, daß die deutsche Stahlindustrie im Jahre 2004 die Hälfte ihres Kohlebedarfs von dann 18 Millionen Tonnen durch Importkohle decken wird. An den deutschen Kohleimporten ist die Vertrieb- und Handels AG, eine RAG-Tochter, bereits heute zu einem Drittel beteiligt. Durch den Kauf der Kohlegruben in den USA dürfte dieser Anteil weiter steigen.

Kurz: Durch die Investition von zwei Milliarden Mark in den USA sichert die RAG Arbeitsplätze in Deutschland, in den Kohlebergwerken an Ruhr und Saar ebenso wie in mittelständischen Zuliefererbetrieben.

Internet-Zusatzinformation:

Bis Zum Jahre 2020 wird der Anteil der Kohleimporte auf dem gesamten EU-Markt von 44 auf 68 Prozent gestiegen sein, erwarten Experten (Energie-Importabhängigkeit der EU somit dann bei knapp zwei Drittel!). Das US-Energieministerium schätzt, dass im Jahre 2020 weltweit rund 640 Millionen Tonnen Kohle gehandelt werden, fast 150 Millionen Tonnen mehr als 1998. Für das Jahr 2010 wird mit 560 Mio. Tonnen gerechnet, davon rund 400 Mi. im asiatisch-pazifischen Raum.