Stinnes AG geht an die Börse

Die Mülheimer Stinnes AG, derzeit noch im Alleinbesitz der VEBA, geht an die Düsseldorfer und Frankfurter Börse. Das kündigte der Vorstand am 27. April 1999 auf seiner Bilanzpressekonferenz an.

ARD-Sammelangebot vom 18. Dezember 1998

Von Lothar Kaiser

Voraussichtlich bis Juni geht die Stinnes AG, derzeit noch im Alleinbesitz der VEBA, an die Düsseldorfer und Frankfurter Börse. Das kündigte der Vorstand auf der heutigen Bilanzpressekonferenz in Mülheim an.

Zahlen, die potentielle Anleger wohlgesonnen machen sollen: Die 47.000 Mitarbeiter der Stinnes AG erzielten im vorigen Jahr einen Umsatz von rund 25 Milliarden Mark, 40 Prozent mehr als im Vorjahr. Der 190 Jahre alte Konzern zählt damit erstmals zu den dreißig umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands. Eigentlich hätte der Börsengang schon früher stattfinden sollen. Doch zunächst sollte die radikale Umstrukturierung des Konzerns, vor zwei Jahren begonnen, weitgehend abgeschlossen sein.

Das ist nun der Fall. Vom traditionellen Handelshaus ist nicht viel übrig geblieben. Vom Mutterkonzern VEBA übernahm Stinnes zwar die Sparte Baustoffe mit immerhin 5000 Mitarbeitern – und mit einem Jahresverlust von 49 Millionen Mark -, verkaufte den Bereich Sanitär•Heizung•Fliesen aber gleich an die Triton-Belco AG weiter. Und trennte sich zudem von seinen 138 Baumärkten; deren 5.700 Mitarbeitern übernahm REWE. Perfekt ist inzwischen die Übernahme des schwedischen Konkurrenten BTL mit immerhin 10.000 Mitarbeitern durch die eigene Tochtergesellschaft Schenker.

Eine Milliarde Mark kostete diese Zukunftsinvestition, die die neue Konzerntochter Schenker-BTL mit einem Netzwerk in 30 europäischen Ländern schon heute zum größten Landtransport- und Logistik-Unternehmen des Kontinents macht. Und die Umstrukturierung geht weiter: Noch vor dem Börsengang soll der Stinnes-Reifendienst gewinnbringend verkauft werden.

Logistik, das ist das intelligent geplante und organisierte Bündeln und Verteilen von Rohstoffen und Halb- und Fertigwaren. Eine Supermarktkette beispielsweise, in der die Logistik nicht stimmt, in der also die Regale nicht regelmäßig aufgefüllt werden können, dürfte schnell pleite sein. Eigene Logistik ist vielfach zu teuer. Große Unternehmen bedienen sich in zunehmend spezieller Dienstleister wie Stinnes, weil, so Vorstandschef Dr. Wulf Bernotat, …:

O-Ton: … wir aus unseren Kerngeschäften heraus Angebote entwickelt haben für bestimmte Industriegruppen, wie zum Beispiel die Automobilbranche, wo wir dafür sorgen, dass die Teile just in time an die Bänder geliefert werden für die Montage der Autor, und zwar Teile von den Herstellern aus ganz Europa, die wir einsammeln, dann an Ort und Stelle bereit stellen und an das Band liefern. Und da sind wir sehr gut positioniert in der gesamten Automobilbranche für Volkswagen, Audi, Ford, Mercedes und BMW und haben eine Marktposition, die so schnell von anderen nicht zu erreichen ist.

Logistik-Unternehmen ermöglichen es ihren Kunden, sich auf ihre Kerngeschäfte zu konzentrieren. So liefert die Stinnes AG nicht nur termingerecht Türmodule an die Fließbänder der Automobilindustrie, sondern auch millimetergenau zugeschnittene Stahlbleche an die Werftindustrie und lagert und verteilt Chemikalien der unterschiedlichsten Art. Mit 500 Standorten weltweit gehört die Stinnes AG in allen fünf Geschäftsbereichen – das sind Verkehr (Schenker), Chemie (Brenntag), Baustoffe (Raab Karcher), Werkstoffe (Stinnes Interfer) und Sortimente (Stinnes Intertec) – auch international zu den führenden Unternehmen auf diesem attraktiven Zukunftsmarkt. Und will dort weiter wachsen. Die Chancen dafür stünden gut, meint Dr. Wulf Bernotat. Also eigentlich kein Grund für den Mutterkonzern VEBA, bis Juni 49 Prozent aller Aktien dieser künftigen „Perle“ an die Börse zu bringen. Der Stinnes-Chef zurückhaltend:

O-Ton: Ich kann Ihnen nur das sagen, dass die VEBA sich aus strategischen Gründen entschieden hat vor einiger Zeit, sich auf drei Kernbereiche zu konzentrieren, das ist die Energie, das ist die Chemie und die Telekommunikation. Und in diese neue Ausrichtung passt Stinnes nicht mehr hinein, und man hat sich deshalb entschlossen, Stinnes in verschiedenen Schritten an die Börse zu bringen.

Rückwirkend zum 1.Januar 1999 sollen die Aktien gewinnberechtigt sein. Zur Frage, ob die defizitäre Sparte Baustoffe nach der Sanierung verkauft wird, – sie paßt ohnehin nicht so recht ins Logistik-Konzept – äußerte sich der Stinnes-Vorstand heute in Mülheim allerdings nicht.