Hüls AG und Degussa AG verschmelzen

Mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit haben die Aktionäre des Chemie- und Pharmakonzerns Degussa heute im Congress-Center der Messe Frankfurt die Fusion der Degussa mit dem ebenfalls milliardenschweren Chemieunternehmen Hüls AG in Marl beschlossen. Die neue Degussa-Hüls AG wird mit einem Umsatz von mehr als 20 Milliarden Mark und 45000 Mitarbeitern die Chemiesparte des Mutterkonzerns Veba bilden.

ARD-Sammelangebot vom 18. Dezember 1998

Von Lothar Kaiser

Mit einem Loblied haben die Vorstände und Aufsichtsräte von Hüls und Degussa den Aktionären die Fusion ans Herz gelegt: Unter dem Dach der Veba entstehe ein weltweit führendes Spezialchemieunternehmen, dessen Grundstoffe in mehr als 10.000 Produkten enthalten seien. In der Tat reicht die Produktpalette vom Computerchip über Autoreifen und Kunstglas bis hin zu Katalysatoren, Zahnbürsten und Flüssigkeitsbindern in Babywindeln und macht den neuen Konzern in vielen Bereichen zum Marktführer.

Ende der 70er Jahre hatte die VEBA ihre Beteiligung an der Hüls AG stark ausgebaut. Als die Veba nun im Mai dieses Jahres etwa ein Drittel der Degussa-Aktien für 2,9 Milliarden Mark übernahm, war das strategische Ziel klar – die Fusion der beiden Aktiengesellschaften. Vorgesehen ist sie rückwirkend zum 1. Oktober. Doch erst Anfang Februar, wenn die neue AG in das Handelsregister eingetragen ist und die alten Degussa-Aktionäre ihre Aktien gegen neue von Degussa-Hüls eingetauscht haben, können diese an der Börse gehandelt werden. Von den insgesamt 156 Millionen Aktien hält die Veba dann knapp zwei Drittel.

Die Fusion wird dort Konsequenzen für die 45000 Beschäftigten beider Unternehmen haben, wo Betriebsteile verlagert und Tochterfirmen zusammengelegt werden sollen. Durch solche Synergieffekte erwartet der neue Konzern Kosteneinsparungen von jährlich 350 Millionen Mark. Hauptziel der Fusion sind jedoch ein gemeinsamer Einkauf sowie bessere Handels- und Wachstumschancen durch ein breiteres Angebot.

Überhaupt läßt sich mit Spezialchemie viel Kohle machen. So bringen die 26.000 Mitarbeiter der Degussa in den neuen Konzern 10,5 Milliarden Jahresumsatz ein, die 19.000 von Hüls kommen auf 9,5 Milliarden. Beide Unternehmen sind stark im Ausland engagiert. Und das soll so bleiben. In den kommenden drei Jahren soll allein in Asien eine Milliarde Mark investiert werden, zum Beispiel in eine neue Katalysatoren-Fabrik in China.

Soweit die Zukunft. Ein düsteres Kapitel der Vergangenheit ist in den Chefetagen derzeit tabu, um das gute Fusionsklima nicht zu belasten: Die Klage von Holocaust-Überlebenden, die am 21.August im US-Staat New Jersey gegen die Degussa AG eingereicht wurde. In die Kriegswirtschaft der Nazis waren Hüls und Degussa über die I.G. Farben eingebunden. Hüls, eine Gründung von I.G. Farben und der Bergwerksgesellschaft Hibernia, stellte damals den synthetischen Kautschuk Marke „BUNA” und war damit, wie es hieß, „kriegswichtig“. Und auch der Degussa wußten sich die Nazis zu bedienen. Gemeinsam mit der I.G. Farben AG betrieb die Degussa damals die „Deutsche Gesellschaft zur Schädlingsbekämpfung“, die Degesch.

Der Vorwurf des US-Anwalts Ed Fagan: Degussa habe über die Degesch den Nazis das Blausäure-Gas Zyklon B geliefert, mit dem in den Vernichtungslagern Hunderttausende Juden getötet wurden. Und sie habe das Zahngold der Ermordeten eingeschmolzen. Als Kompensation fordern die Holocaust-Überlebenden nun in ihrer Sammelklage das gesamte Firmenvermögen von Degussa.

Für Ignaz Bubis, den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, eine Forderung „jenseits von Gut und Böse“. Die Klage selbst aber hat Ignaz Bubis begrüßt. Degussa-Vorstandschef Uwe-Ernst Bufe reagierte gelassen: Eine Klage mit wenig Substanz. Ansonsten kein Kommentar.

Historiker sind derzeit damit beauftragt, die Geschichte der Firma in der Zeit des 2. Weltkrieges aufzuarbeiten. Darunter das Forschungsinstitut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität zu Köln. In etwa drei Jahren soll das Ergebnis vorliegen. Doch der Anwalt der Holocaust-Opfer wird wohl so lange nicht warten; er dürfte die Degussa-Hüls-AG als Rechtsnachfolger der Degussa schon eher wieder mit der Vergangenheit konfrontieren.