Fehlstart auf den Radio-Highway

1996:  Was in den achtziger Jahren das Kabelpilotprojekt in Dortmund für den Privatfunk in Deutschland war, das soll demnächst ein Feldversuch in Nordrhein-Westfalen für das neue digitale Rundfunksystem „DAB“ (Digital Audio Broadcasting) werden.

Das neue digitale Rundfunksystem DAB, von der Politik ob seiner CD-Qualität und seiner Datendienste als das „innovativste und ehrgeizigste Projekt der Rundfunkgeschichte“ hochgelobt, leidet unter starken Geburtswehen. Technische, organisatorische, finanzielle und medienpolitische Probleme begleiten den Start von Feldversuchen in sieben Bundesländern. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen verzögerte sich der Start von DAB derart, daß er zum Fehlstart geriet.

Was in den 80er Jahren die Kabelpilotprojekte in Ludwigshafen, München, Berlin und Dortmund für den Privatfunk in Deutschland waren, das sind heute die acht Feldversuche in Berlin-Brandenburg, Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen Hessen und dem Saarland für das neue digitale Rundfunksystem „DAB“ ( Digital Audio Broadcasting). Unter diesem Namen, für den eigentlich eine Brauerei Titelschutzrechte geltend machen könnte, will das Radio die Jahrtausendschwelle überspringen. DAB, entwickelt im Rahmen eines Forschungsprojekts der europäischen Gemeinschaft („EUREKA-147“) und europaweit mit 141 Millionen Mark gefördert – davon alleine 80 Millionen von der Bundesrepublik Deutschland -, überträgt auf kleine LCD-Bildschirme (Displays) zusätzlich Texte, Bilder, Schrifttafeln, Lauftexte, Grafiken, Daten und sogar Videos, wobei bestimmte Dienste über (Mobil-)Telefon als Rückkanal gesondert geordert werden können. DAB verspricht Musikfreunden einen völlig neuen Hörgenuß – den störungsfreien Empfang nahezu in CD-Qualität, auch während der Fahrt im Auto. Ärgerlich nur für alle Beteiligten, daß die Pilotversuche zum Teil unter starken Geburtswehen leiden.

Promoter von DAB in Deutschland ist der Verein „DAB-Plattform“, ein Zusammenschluß von 59 Unternehmen und Institutionen – Anbieter, Gerätehersteller, Landesmedienanstalten und Netzbetreiber. Der Verein steht hinter den Pilotprojekten, mit denen die Technik von DAB und die mögliche Akzeptanz bei den Hörern in den kommenden zwei Jahren in der Bundesrepublik getestet werden sollen. Ende Juni 1995 legte die „Plattform“ in einem „Memorandum of Understanding“ die Eckwerte für diese Versuche fest. Danach sollen pro Versuchsgebiet über DAB mindestens sechs landesweite sowie zusätzliche regionale und lokale Hörfunkprogramme ausgestrahlt werden. Für öffentlich-rechtliche und private Programmanbieter bedeutet dies nach den Worten des ehemaligen Technischen Direktors beim Bayerischen Rundfunk und heutigen „DAB-Plattform“-Vorsitzenden Frank Müller-Römer „eine hervorragende Chance, neue Programmformen zu erproben und das Medium Hörfunk für die künftige multimediale Umgebung vorzubereiten“.

Das hat auch die ARD nach anfänglichem Zögern erkannt. Ebenso die „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Sie hat der ARD empfohlen, einen Teil der aus der Erhöhung der Rundfunkgebühren zum 1.Januar 1997 zu erwartenden Mehreinnahmen in den Aufbau des digitalen Hörfunks zu stecken. Stimmen die Parlamente der 16 Bundesländer dem zu, stünden für DAB weitere 176 Millionen Mark zur Verfügung. In DAB sieht die ARD eine gute Möglichkeit der Verlängerung ihrer Verwertungskette, d.h. die (teil)automatische Zusatznuzung/-Verbreitung bereits aufbereiteter und verwerteter Informationen/Sendungen.

In Nordrhein-Westfalen haben elf Firmen und Institutionen, darunter die Landesregierung, die Landesanstalt für Rundfunk, „radio NRW“, der WDR und die Deutsche Telekom am 7. September 1995 den Verein „DAB-Projekt NRW“ gegründet und auf dem Gelände der Deutschen Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Köln-Wahn ein Projektbüro eingerichtet. Vereinsvorsitzender ist der Technische Direktor des WDR, Dr. Dieter Hoff. Er verfügt über Geld und Mitstreiter gleichermaßen: „Das Land beteiligt sich mit einem Maximalbetrag von zehn Millionen zur Förderung von Projekten, insbesondere von mittelständischen Firmen, die im Zusammenhang mit diesem DAB-Pilotversuch stehen. Es gibt darüber hinaus weitere Mittel, die die Telekom, die Landesanstalt für Rundfunk, „radio NRW“ und andere bereitstellen, um den Versuch insgesamt zu einem Erfolg werden zu lassen.“

Der erste Start von DAB im größten deutschen Bundesland war allerdings ein Fehlstart. Noch Ende 1995 erklärte Thomas Wächter, Leiter des DAB-Projektbüros NRW: „In NRW werden wir im ersten Quartal 1996 starten, spätestens im März. Bei der Produktion der Endgeräte gibt derzeit noch einige Engpässe bei gewissen Bauteilen. Das sind nicht nur die Bildschirme, sondern das sind auch andere Bauteile, die zum Beispiel in PCs verwendet werden. Da gibt es derzeit eine große Nachfrage am Weltmarkt, so daß wir Lieferprobleme haben.“

Gerne hätte der Vorstand des DAB-Projekts NRW Anfang Juni auf dem Medienforum in Köln den Startschuß gegeben. Doch mangels ausreichender DAB-Empfänger – Interessenten dafür hätte es genug gegeben – beschränkte sich der Verein auf einen Messestand. Erst wenn die Firmen Bosch-Blaupunkt und Philips/Grundig voll funktionsfähige DAB-Geräte in angemessener Stückzahl lieferten – und zwar keine Nur-Audio-Geräte, sondern solche mit Display zur Bedienerführung und zur Darstellung visueller Dienste – sollte in NRW das DAB-Zeitalter beginnt.

Es waren jedoch nicht allein Lieferengpässe, die den Start einiger DAB-Pilotversuche verzögerten. Im Zusammenhang mit den Datendiensten hatte sich schon frühzeitig ein Softwareproblem ergeben. Die Zahl der möglichen Datendienste war geradezu explodiert und zwang dazu, Standards festzulegen. Dies ist – wichtig für die Übertragung von Bildern – in enger Anlehnung an das weltweite Datennetz „Internet“ mit seinem HTML-Format inzwischen geschehen .

Und es gab auch technische Probleme. Etwa bei der Hardware. Die von den Firmen an die Projektbüros ausgelieferten Geräte erwiesen sich in Tests als nicht empfindlich genug. Gegenüber den ersten (teuren) Prototypen hatten die Hersteller die Empfangsstärke der für die Pilotversuche vorgesehenen Standardgeräte niedriger ausgelegt in der Annahme, die DAB-Sendernetze seien mittlerweile dicht genug, um dies ausgleichen zu können. Die Telekom als Senderbetreiber hatte jedoch aus Kostengründen („Das muß ja schließlich finanzierbar bleiben“) mitnichten ihr Sendernetz ausgebaut. Bei ersten Tests der Geräte stellte sich daher schnell heraus, daß der Empfang gerade im L-Band-Bereich (1,5 Gigaherz) teilweise erheblich zu wünschen übrig ließ.

Dem liegt ein physikalisches Prinzip zugrunde: je höher/kürzer eine Frequenz, desto geringer die Ausbreitung der elektromagnetischen Wellen (Sendesignal) im Sendegebiet. Deshalb bedarf es beispielsweise für Kurz- und Ultrakurzwelle einer höheren Empfangsempfindlichkeit des Radiogerätes als bei Lang- und Mittelwelle. Die Entscheidung der DAB-Verantwortlichen war somit zwingend: Die technischen Vorgaben (CEPT-Standard) bleiben unverändert; die Hersteller haben sich gefälligst danach zu richten.

Unter einem Problem besonderer Art litten zudem die Pilotprojekte in Berlin-Brandenburg, NRW, Sachsen und Thüringen. Dort hat die Telekom in Vorleistung für die Projektbetreiber die Ausschreibung und den Kauf der DAB-Empfänger übernommen – und sich damit offenbar recht viel Zeit gelassen. Die Gründe? „Kein Kommentar“, verwies man beim DAB-Projekt NRW an die Telekom. Zurückhaltung aber auch dort: „Viele Partner mußten sich halt erst abstimmen“. (Die „komplexe, aber ineffiziente Organisationsstruktur“ nannte Anfang August der Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) als Grund für seinen Austritt zum Jahresende. Ein weiterer: Der Mangel an DAB-Empfangsgeräten.)

In Bayern hatten Ende Juli 776 Testteilnehmer ein DAB-Autoradio erworben – zum Preis von 920 Mark incl. Antenne und Einbau -, in Berlin-Brandenburg waren es 100. Diese Geräte ermöglichen allerdings nur den Empfang von Radioprogrammen, nicht den von Datendiensten. Letztere sind zur Zeit noch immer rar. In Berlin-Brandenburg etwa wurden gerade mal 50 Exemplare ausgeliefert. Und sie sind mit Produktionskosten von 4500 Mark immens teuer. Während der Testphasen kosten sie allerdings weit weniger – in Bayern etwa 2000 DM und in NRW, wo auch Subventionen der Telekom fließen, sind 1700 Mark „vorsichtig angepeilt“.

Während Dr. Dieter Hoff vor der Sommerpause noch versicherte, mehrere hundert Empfänger und Displays würden bis September geliefert und eingebaut sein, gibt das DAB-Projektbüro NRW den Beginn des Pilotprojektes seit Anfang August in offiziellen Verlautbarungen nur mit „bis Ende 1996“ an. Die Verantwortung für diese weitere Verzögerung trägt die Landesregierung NRW, die sich nicht gerade beeilt hat, die Weichen für dieses zukunftsweisende Medienprojekt frühzeitig zu stellen. Und das erstaunt angesichts des sonst so forschen Auftretens von Minister Wolfgang Clement, wenn es um den Medienmarkt geht. Die Rechtsverordnung des Landes zum DAB-Projekt kann jedenfalls frühestens zum 1. Oktober in Kraft treten. Ihre Veröffentlichung ist die Voraussetzung für die eigentliche Ausschreibung der nicht-öffentlich-rechtlichen Audioprogramme und Datendienste, die dann im Rahmen des DAB-Projekts NRW angeboten werden.

Warum läßt sich die Landesregierung mit ihrer Rechtsverordnung so viel Zeit? Erklärung dazu aus dem Düsseldorfer Wirtschaftsministerium: Die Rahmenbedingungen, vom DAB-Projektbüro erarbeitet, sollten in die Verordnung einfließen, um sie praxisnah zu gestalten. Das hätte seine Zeit gebraucht. Und für die Rechtsverordnung sei im übrigen die Staatskanzlei zuständig. Ein Schwarzer-Peter-Spiel.

Vorgesehen sind in NRW laut einer Rahmenvereinbarung vier regionale DAB-Sendernetze von WDR und Deutscher Telekom. Entlang der Rheinschiene von Bonn bis Düsseldorf, teilweise auch im Ruhrgebiet und im Bergischen Land, werden ab dem kommenden Jahr öffentlich-rechtliche DAB-Programme von WDR und DeutschlandRadio (Köln und Berlin) zu empfangen sein. Abgedeckt wird damit zwar ein Gebiet von 8000 Quadratkilometern und zehn Millionen Einwohnern, der NRW-Pilotversuch sieht allerdings nur 500 repräsentativ ausgewählte Teilnehmer vor, die je zur Hälfte Geräte von Bosch und Philips erhalten sollen. Anfang diesen Jahres hatte Dr. Hoff noch von tausend Teilnehmern gesprochen.Doch da hatte die Telekom mit Hinweis auf ihr begrenztes Subventionsbudget nicht mitgespielt.

Der WDR will sich an dem DAB-Projekt über die bekannten Wellen „Eins Live“, WDR 2, WDR 3 und WDR 5 hinaus mit einem Verkehrsfunkkanal – und einem interessanten Versuch beteiligen: mit einem neuen Vollprogramm, das eigentlich gar keines ist. Hörfunkdirektor Thomas Roth: „Wir werden WDR 2 in DAB eine andere Musikfarbe geben, sozusagen populäre Klassik statt klassischer Popmusik“. Dieses Experiment könnte nach den Worten von Dr. Dieter Hoff den Grundstein bilden für eine Vision, „nach der zukünftig ein DAB-Hörer sein Wunschprogramm aus einzelnen Bausteinen individuell zusammenstellen kann“.

Für seine DAB-Testprogramme richtet der WDR einen Sender ein, der sein Signal auf Frequenzblöcken des reichweitenstarken Fernsehkanals 12 (223- 230 kHz) von den Sendern Köln, Bonn, Düsseldorf, Langenberg, Wuppertal und Hohe Warte aus abstrahlt.

Für den Raum Köln/Bonn sowie für Düsseldorf/Mettmann/Wuppertal baut die Deutsche Telekom aus Blöcken des reichweitenschwachen L-Bandes (1452 – 1492 MHz) drei DAB-Sendenetze auf, die in Absprache mit der Landesanstalt für Rundfunk (LfR) von „radio NRW“ über ein neues Jugendprogramm sowie von insgesamt NRW-Lokalradios genutzt werden sollen.

Überall im NRW-Trestgebiet sollen ein landesweiter und ein regionaler Programmblock zu empfangen sein

Angesichts der Tatsache, daß der (öffentlich-rechtliche) Kanal 12 kostengünstiger zu nutzen ist als das für den Lokalfunk vorgesehene L-Band, sprach die Lobby des Privatfunks (VPRT) von einer „Verbannung“ und mangelnder Chancengerechtigkeit – ein weiterer Grund für ihren Austritt aus der DAB-Plattform.

Angesichts dieses öffentlich-rechtlichen/privatwirtschaftlichen Spannungsfeldes gewinnt die „2. Medienversuchsverordnung“ des Landes zusätzliche Bedeutung. Denn über diese Rechtsverordnung hätte es die Politik in der Hand, die einmal getroffene Rahmenvereinbarung, wonach der DAB-Versuch die bestehende Rundfunklandschaft unverändert wiederspiegeln sollte, zu Gunsten privater Anbieter aufzuweichen – etwa durch eines neues, durch Werbung finanziertes Radioprogramm. Die LfR, die auf der Grundlage einer entsprechend veränderten Rechtsverordnung ein solches Programm für das L-Band genehmigen könnte, ohne auf den WDR Rücksicht nehmen zu müssen, hätte es damit in der Hand, in NRW über den Versuch hinaus landesweit eine sechste Hörfunkkette als Konkurrenz zum öffentlich-rechtlichen Jugendradio „1Live“ des WDR zu etablieren – zumal, wenn eines Tages zusätzlich zu DAB zwei starke analoge Frequenzen des bisherigen britischen Soldatensenders BFBS zur Neuvergabe anstehen sollten. Zwei Interessenten für ein solches privates Jugendradio sind bereits bekannt: RTL und die nordrhein-westfälischen Verleger.

Klarheit in diese Gemengelage kommt frühestens mit der Veröffentlichung der Rechtsverordnung des Landes. Bis dahin ist noch mit viel Gerangel und Geschiebe hinter den Kulissen zu rechnen.

Im Rahmen der Pilotversuche, sollten sie denn eines Tages alle angelaufen sein, wird DAB noch nicht in ganz Deutschland empfangen werden können. Zwar hat die Europäische Fernmeldeverwaltung in ihrem Frequenzverteilungsplan einige Blöcke aus dem Fernsehkanal 12 und aus dem unteren Fernsehband III (insgesamt der Bereich von 174 – 230 MHz) für das terrestrische DAB-Netz freigeräumt. Die Umstellung, auf dem Papier einfach, erweist sich in der Praxis aber als schwierig. Denn auf diesen Frequenzen arbeiten in unzähligen Haushalten noch eine Vielzahl von Funkdiensten, mit denen etwa Garagentoröffner, ferngesteuerte Spielzeugautos und drahtlose Mikrofone betrieben werden. Und ebenso hat das Militär, auch das aus dem benachbarten Ausland, da noch ein Wort mitzureden.

Das schmälert den Optimismus der Experten allerdings nicht. So sieht etwa Dr. Dieter Hoff im digitalen Hörfunk „eine große Chance zur Entwicklung neuer Formen von Radioprogrammen“, wobei er programmbegleitenden und programmergänzenden Zusatzinformationen besondere Bedeutung beimißt. Frank Müller-Römer dazu auf der Funkausstellung 1995: „Da werden Sachen angeboten, die wir uns jetzt noch nicht vorstellen können. Manche Ideen werden sich zuerst verrückt anhören und sich dann durchsetzen“. Das sieht auch NRW-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement so: „Der Phantasie im Bereich dieser Datendienste sind praktisch keine Grenzen gesetzt. Wir wollen erreichen, daß die Investitionen in Digital Audio Broadcasting zu einem hohen Anteil Investitionen in Nordrhein-Westfalen werden“.

Mit seinen „Mehrwertdiensten“ ist DAB weit mehr als nur Hörfunk und erfordert in absehbarer Zeit auch eine Novellierung der Landesmediengesetze. Eine ganze Reihe von medienrechtlichen Fragen gilt es zu klären: Wer bestimmt, wer Zugang zu den Informationsdiensten hat, sind sie in jedem Fall Rundfunk, wer kontrolliert die Inhalte? Wie wird weitere Konzentration vermieden?

Einige Beispiele für kommerzielle und/oder nichtkommerzielle Dienste unter DAB: Standbilder zu Lokalnachrichten, die Grafik zur neuen Arbeitslosenstatistik, das Autogrammfoto und persönliche Daten des Lieblingsmoderators; Titel, Textinhalt und Interpret des gerade gehörten Musikstücks (als Laufschrift im Radiodisplay = Radiotext), eine Telefonnummer zur Teilnahme an einer Höreraktion, Konzerttermine, Wetterberichte, Fahrpläne, Gesundheitstips, Kochrezepte, die Übertragung eines Orchesterfotos zeitgleich mit dem Konzert, Börsennotierungen, Hotelverzeichnisse, elektronische Navigationssysteme (Standortbestimmung), Staumeldungen, die im DAB-Gerät gespeichert und zeitversetzt abgerufen werden können, der Empfang von Faxen. WDR-Direktor Dr. Hoff: „Sie brauchen natürlich diese Datendienste nur zum Teil im Autoradio. Auf der anderen Seite ist es schon sehr lästig, wenn wir heute unsere Sendung unterbrechen müssen, um eine Verkehrsmeldung oder andere aktuelle Meldungen durchzugeben, und zwar an jeden Teilnehmer, auch an den, den es augenblicklich gar nicht interessiert, weil er sich in seinem Wohnzimmer befindet“.

Bei DAB hört den Verkehrsfunk nur noch, wer will. Denn die Verkehrsmeldungen werden im Radioempfänger gespeichert und können auf dem Display als übersichtliche „Staukarten“ individuell abgerufen werden. Denkbar ist auch ein kommerzieller, codierter Datenrundfunk, der nur von bestimmten Benutzergruppen mittels „Smartcard“ (vergleichbar mit Pay-TV) empfangen werden kann. Beispielsweise könnten auf diese Weise Einzelpersonen gezielt aufgerufen werden, und Versicherungsunternehmen könnten Kontakt halten zu ihren Vertretern im Außendienst.

In Bayern soll eine neue Variation der sogenannten Bildschirmzeitung kreiirt werden, die sich quer durch die Geschichte der neuen Medien zieht, aber anbesehen von Internet-Versuchen noch nicht erprobt worden ist. Die Wochenendausgabe eines Tageszeitung mit einer Datenmenge von 4,5 MB zugrunde gelegt, würde es bei einem Datenstrom von acht kBit pro Sekunde rund eine Stunde dauern, um den kompletten Zeitungsinhalt per DAB zu übertragen. Er könnte dann vom Empfänger problemlos ausgedruckt werden. Ist das zukunftsträchtig? Mittelfristig wohl nicht. Was die Zeitungen kurzfristiger bedrohen könnte, wäre ein Mehrwertdienst, der programmunabhängig und gegen Gebühr aufgebaut werden kann: der Dienst mit Immobilien-, Auto- und Stellenmarkt.

Die an den DAB-Projekten beteiligten Unternehmen verhehlen nicht ihr wirtschaftliches Interesse an den „Mehrwertdiensten“. Im Rahmen des Pilotversuchs in Berlin-Brandenburg wurden beispielsweise Datendienste an Lufthansa, ADAC und Bundesbahn vergeben. Aber auch die an den Pilotprojekten beteiligten Hörfunkveranstalter können sich Mehrwertdienste sinnvoll (und später eventuell sogar gewinnbringend) nutzbar machen. Diese können aber auch für die Werbung und für kommerzielle Anbieter durchaus interessant sein. Vom Coupon-Radio ist die Rede: Ein Werbespot läuft, und aus dem Drucker kommt ein Gutschein, mit dem das beworbene Produkt dann im nächsten Laden zum Sonderpreis zu haben ist.

Schon wird an DAB-Steckkarten für den Einsatz in Computern gearbeitet – sie sollen vor allem in Sachsen und Thüringen getestet werden, aber auch zum NRW-Start für einige hundert Mark lieferbar sein -, auf die beispielsweise Updates von Softwareanbietern „mitgeschnitten“ werden können. Und es existiert bereits Software, die es erlaubt, am PC bestimmte Sendungen, sogar einzelne Beiträge oder Musiktitel auf einer Programmübersicht zu markieren, damit sie bei Ausstrahlung automatisch im PC aufgezeichnet werden können. Dabei kann der Anwender zuvor gezielt mit Hilfe frei wählbarer Begriffe nach Themen suchen, die ihn interessieren. Und zum Abrufen weiterer Informationen oder für Bestellungen und Buchungen bietet sich als Rückkanal ein Modem an.

Wird aber das Radio erst über Bildschirm oder Drucker zum „wahren“ Erlebnis? Ist das die inhaltliche Innovation: Kochrezepte auf dem Autoradio-Display? Wohl kaum. Allein wegen der Verkehrssicherheit. Wer kann schon gleichzeitig fahren und Kochrezepte lesen? „Wir wollen kein Fernsehen im fahrbaren Auto“, reagierte NRW-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement auf kritische Einwände. Aber das wird voraussichtlich auch gar nicht gehen; denn die Bilderdienste sollen bestimmten technischen Schutzvorkehrungen unterliegen, zum Beispiel nur dann funktionieren, wenn die Handbremse angezogen ist, sprich: Der Wagen steht. Aber: Wer fährt wegen Kochrezepten schon auf den Autobahnparkplatz? Für Helwin Lesch, Geschäftsführer der Bayerischen Medien Technik GmbH, die in Bayern DAB zum Durchbruch verhelfen will, ist eines klar: „ Die Datendienste liefern ihren Nutzern eine benötigte Information. Darauf muß die Betonung liegen. Eine frühzeitige Orientierung am Konsumenten bei der Entwicklung von Datendiensten ist unverzichtbar“.

Noch hält es Dr. Dieter Hoff für offen, „inwieweit die Mehrwertdienste während der Systemeinführung den Konsumenten überzeugen können, sich für einen DAB-Empfänger zu entscheiden“. Hier seien nicht nur die Techniker und Ingenieure gefordert, sondern insbesondere auch kreative Programmacher: „Mit neuen Techniken werden sich erst mal die Freaks beschäftigen werden. Aber wir nehmen schon an, daß die Angebote in DAB so überzeugend sein werden, daß sie sich auch am Markt sukzessive durchsetzen werden. Natürlich ist UKW damit nicht tot. Natürlich wird der UKW-Rundfunk noch viele Jahre bestehen bleiben. Die zukünftigen Empfänger werden so lange mit beidem zurecht kommen, mit UKW und DAB“.

In Deutschland werden die ersten DAB-Geräte auf dem freien Markt voraussichtlich nach der Funkausstellung 1997 angeboten. Und erst in 15 Jahren werde DAB den UKW-Rundfunk tatsächlich verdrängt haben, auch wenn der DAB-Regelbetrieb schon 1998 aufgenommen werde, vermuten die Experten.

Weit schneller als in den Industrieländern dürfte DAB in (Entwicklungs-)Ländern an Bedeutung gewinnen, die heute noch über kein landesweites UKW-Netz verfügen, sondern deren Bevölkerung nur in den Ballungszentren regelmäßig Radio hören kann. China und Indien gehören zu diesen Ländern, aber auch viele andere Länder Asiens, Afrikas und Südamerikas. Helwin Lesch vom bayerischen DAB-Pilotprojekt vermutet, daß in allen Ländern, in denen der Hörfunk auch heute noch die Hauptnachrichtenquelle der Bevölkerung darstellt, via Satellit ausgestrahlte DAB-Programme sehr schnell angenommen würden – gerade von der Bevölkerung in bisher unerschlossenen Gebieten. Immer vorausgesetzt, die Empfangsgeräte sind für diese Menschen im Preis erschwinglich (die Frequenzen für die DAB-Satellitenabstrahlung sind bereits seit vier Jahren international festgelegt). Namhafte japanische Elektronikkonzerne arbeiten längst an portablen DAB-Empfänger zum Empfang von Satellite-DAB, um sie in diesen Ländern millionenfach auf den Markt zu bringen. Und auch europäische Hersteller wie Bosch und Philips rechnen mit einer großen Nachfrage. Dr. Andreas Westendorf von der Abteilung „Forschung und Vorausentwicklung, Multimediasysteme“ bei Bosch-Blaupunkt in Hildesheim: „Wir haben Anfragen aus England, Frankreich, der Schweiz und Kanada. Bis zum Ende dieses Jahres werden wir unsere Produktionskapazität auf 10.000 DAB-Geräte pro Monat ausgebaut haben.“

Fazit: Das als „Radio-Information-Highway“ mit Vorschußlorbeeren versehene „Digital Audio Broadcasting“ ist eine gigantische Investition in die Zukunft. Europaweit rechnet man bei DAB in den nächsten 15 Jahren mit einem Umsatz von rund 100 Milliarden Mark bei schätzungsweise 600 Millionen Mark für neue Geräte; in Deutschland z.B. gibt es 40 Millionen Autos, die mit digitalen Autoradios umgerüstet werden könnten; schon jetzt werden auf dem europäischen Markt pro Jahr fast 18 Millionen Autoradios verkauft. Wohl auch angesichts dieser Zahlen bezeichnet Bernd Naumann, Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesforschungsministeriums, DAB als „eines der innovativsten und ehrgeizigsten Projekte der Rundfunkgeschichte“.

Vorläufig nur wenige DAB-Geräte mit Display

Ins DAB-Zeitalter gestartet sind vor NRW bislang die Bundesländer Baden-Württemberg (mit 32 Millionen Mark im Hintergrund; Anfang August waren 45 Geräte an Versuchsteilnehmer ausgeliefert), Berlin/Brandenburg (mit fünf Millionen Mark und Anfang August erst der Hälfte der vorgesehenen tausend Teilnehmer) und Bayern, wo 42 Millionen zur Verfügung stehen, davon 21 Millionen aus der Landeskasse, und wo ebenfalls 1000 Teilnehmer angestrebt werden. Eine enge Zusammenarbeit haben die Pilotprojekte in Thüringen und Sachsen mit Büros in Erfurt und Leipzig verabredet. Die Direktoren der beiden Landesanstalten für privaten Rundfunk, Detlef Kühn (Sachsen) und Victor Henle (Thüringen) wollen für das Versuchsgebiet entlang der Autobahn A4 von Eisenach bis zum Hermsdorfer Kreuz noch in diesem Jahr 15 DAB-Sender errichten; wegen Lieferschwierigkeiten hatte sich der vorgesehene Termin 30.Juni nicht halten lassen. Der Verkauf der ersten 200 von insgesamt 2000 Empfangsgeräten beginnt in Thüringen und Sachsen Mitte September. Dabei handelt es sich um reine Audio-Geräte. Erst im November können mobile Datendienst-Geräte hinzukommen.

In Rheinland-Pfalz und im Saarland – dort ist der DAB-Versuch mit mindestens 500 DAB-Endgeräten und mit fünf Radioprogrammen zunächst auf den Großraum Saarbrücken begrenzt – steht der Starttermin noch gar nicht fest. Hessen will im Dezember ins DAB-Zeitalter starten. 1000 Teilnehmer sind angepeilt.

Was DAB von UKW unterscheidet

Das 1949 eingeführte UKW-System mit seinen mehr als 1500 Sendern in der Bundesrepublik (bis zu 100 Kilowatt Leistung) ist – oder müßte man sagen war? – Hörfunk pur: Sprache und Musik. Durch die Vielzahl der in den vergangenen Jahren hinzugekommener privater Rundfunkprogramme ist das System inzwischen derart überlastet, daß es, insbesondere bei mobilem Empfang (z.B. im Autoradio), keine einwandfreie Qualität mehr zuläßt. Störungen wie Rauschen und Verzerrungen können bei UKW durch benachbarte Sender, aber auch durch Hochhäuser oder nicht funkentstörte Fahrzeuge hervorgerufen werden. Diese reflektieren die elektromagnetischen Wellen eines Senders. Und diese Reflexionen treffen dann später auf eine Radioantenne als das direkt ausgestrahlte Signal und sorgen für „Wellensalat“. Dr. Dieter Hoff, Technischer Direktor des WDR: „Diese Problematik ist ausgemerzt bei DAB. Das Besondere an DAB ist, daß es auf den mobilen Empfang ausgerichtet ist. Highlight ist die hervorragende Empfangsqualität, der Überallempfang.“

Für die Ultrakurzwelle (UKW) gilt: eine Frequenz, ein Programm. Nicht so bei DAB. DAB-Sender übertragen den Ton nicht nur digital verschlüsselt und in „Blöcken“ von durchschnittlich sechs Programmen in CD-Qualität (in Mono weit mehr), sondern auch zeitlich versetzt und verteilt auf insgesamt 1536 Trägerfrequenzen (1,5 Mhz/Gleichwellenbetrieb). Der neuartige Radioempfänger synchronisiert sodann auch verspätet eingehende Signale und aktiviert bei nicht einwandfrei empfangenen Daten ein digitales Fehlerschutzverfahren. Praktisch für den Autoradiohörer: Ein einmal eingestelltes Programm begleitet ihn auch auf längerer Fahrt, ohne daß er die Frequenz wechseln muß. Achim von Michel vom DAB-Pilotprojekt in Bayern: „Bei DAB arbeiten alle Sender in einem Empfangsgebiet auf der gleichen Frequenz und werden so aufeinander abgestimmt, daß sie sich gegenseitig nicht stören, sondern verstärken. Ein einziges Signal enthält bereits alle Hörfunkprogramme, die von einem Sender abgestrahlt werden. Die DAB-Technik würde somit die Anzahl der notwendigen Sender um den Faktor 5 bis 7 reduzieren. Dies und die wesentlich verringerte Sendeleistung von nur 1 Kilowatt hätte erheblich geringere Betriebskosten zur Folge.“ Geringere Sendeleistung hat aber auch einen anderen positiven Effekt: Die Umwelt wird weit weniger als bei UKW mit elektromagnetischer Strahlung belastet.

Wie kommt es, daß DAB die technischen Grenzen von UKW überspringen und auch noch Zusatzdienste ermöglichen kann? Bei der Umwandlung analoger Tonsignale in digitale fallen große Datenmengen an. DAB verarbeitet maximal 2,3 Millionen Bits pro Sekunde (zum Vergleich: Eine Audio-CD bringt es auf 1,4 Millionen). Bei der (möglichen) Ausstrahlung eines VHS-Films via DAB fließen 1,7 Millionen Bits.

Aber bleiben wir beim Radio. DAB arbeitet mit einem neuartigen Kompressionsverfahren (MUSICAM). Dabei werden alle Toninformationen herausgefiltert, die das menschliche Ohr ohnehin nicht erreichen würden (z.B. das Hüsteln hinter dem Paukenschlag). MUSICAM reduziert so die Datenrate ohne hörbaren Qualitätsunterschied auf etwa ein Siebtel. Bei Stereoprogrammen macht das dann 192 Kilobits pro Sekunde aus, was einer Datenmenge von 124000 Buchstaben entspricht. Sendungen in Mono (z.B. Nachrichten) kommen sogar mit 96 Kilobits pro Sekunde aus. Das schafft auf einem Frequenzblock Platz für sechs Audioprogramme und zusätzliche neue Datendienste.

In unterschiedlicher Form erschienen in „journalist“ und „journal“