40 Hektar Hollywood in Bottrop

1993:  „Euro Disney“, der große Vergnügungspark bei Paris, hat zum 30. Juni mit „Movie World“ mitten im Ruhrgebiet Konkurrenz bekommen.

Auf der „grünen Wiese“ am Rande von Bottrop, genauer im Ortsteil Kirchhellen-Feldhausen, hat der größte Film- und Freizeitpark Deutschlands, „Movie World“, seine Tore geöffnet – etliche Nummern kleiner zwar als „Euro Disney“, für Nordrhein-Westfalen aber ein Mammut-Projekt. Investor ist Time Warner. Der weltgrößte US-Medienkonzern vermarktet seine Spielfilme in mehr als fünfzig und seine Fernsehproduktionen in mehr als l50 Ländern. Für den deutschen TV Markt will er in Bottrop produzieren.

„Hollywood in Germany ist wunderbar“, sagt Jo Meck, der Chef des neuen Movie- und Entertainment-Parks. 40 Hektar, also rund achtzig Fußballfelder, groß ist das Freizeitareal, in das der US-Konzern Time Warner und eine Investorengruppe um die Familie Nixdorf rund 400 Millionen Mark investiert haben. Ein vergleichsweise geringer Betrag, wenn man bedenkt, dass „Euro Disney“ in Frankreich mehr als 13 Milliarden Mark gekostet hat. Für die Filmindustrie der Bundesrepublik ist „Movie World“ dennoch die bisher größte Einzelinvestition. Angepeilt sind langfristig 1,5 Millionen Besucher pro Jahr. Und wenn die Rechnung aufgeht, kann der Park vergrößert werden; angrenzende Flächen hat man sich bereits gesichert.

In Brisbane an Australiens „Goldküste“ steht das Vorbild für den Themenpark. Time Warner eröffnete die dortige „Movie World“ vor vier Jahren und hatte mit der touristischen Filmglamour-Mixture auf Anhieb Erfolg. Daran soll in Bottrop angeknüpft werden. Und deshalb verließ sich dewr US-Multi bei der Planung auch lieber auf eigene als auf deutsche Fachleute. Designer und Manager der Tochterfirma Warner Bros. Recreation Enterprises in Burbank, Kalifornien, entschieden darüber, mit welchen Attraktionen die deutsche Version von „Movie World“ ein Publikumsmagnet werden soll.

Aufgabe von Chefarchitekt und -designer Rolf Roth aus der Schweiz war es, dafür zu sorgen, dass „Movie World in Germany“ Rücksicht nimmt „auf die deutsche Mentalität“. Zielgruppe sind Tagesausflügler – vor allem aus dem Umkreis von 250 Kilometern, aus der Rhein-Ruhr-Region und dem benachbarten Belgien und Holland. in dieser Region leben mehr als 27 Millionen Menschen – allesamt potentielle „Movie World“-Besucher.

Der muntere Hase „Bugs Bunny“ soll gemeinsam mit anderen Zeichentrickfiguren wie „Speedy Gonzales“ und „Tweety Bird“ die Besucher von „Movie World“ schon am Eingang in fröhliche Stimmung versetzen. Wohin zuerst? In einem 3-D-Kino wird ein eigens in Bottrop hergestellter Trickfilm mit „Duffy Duck“ gezeigt. Hier eine Wildwest-Revue, dort Stuntmen-Show und Tierdressuren. Und auf die Filmenthusiasten unter den Besuchern wartet ein Museum für Filmgeschichte und eines für Trickfilm.

Zwanzig Millionen Mark hat allein eine Achterbahn gekostet. Technik spielt auch eine große Rolle bei der Wildwasser-Fahrt durch Kulissen, die an die Verfilmung der „Unendlichen Geschichte“ von Michael Ende erinnern. Und nicht zu vergessen Batman. In den Original-Batman-Kulissen wurden, als der Film abgedreht war, spezielle Filmsequenzen für „Movie World in Bottrop“ aufgezeichnet, die die Besucher in helle Aufregung versetzen solle. Wobei ein sogenanntes, „Motion Base Fahrzeug“; in dem das Publikum Platz nehmen muss, die Illusion perfekt machen soll.

Einige der Attraktionen von „Movie World“, so etwa der Raumkreuzer „Orion“ mit Laser- und Nebelmaschinen aus der gleichnamigen Science-Fiction-Fernsehserie, dürften manchen Besuchern des neuen Themenparks bekannt vorkommen. Sie sind das „Erbgut“, das Time Warner von der Münchner Filmgesellschaft „Bavaria“ übernommen hat. Das Unternehmen, an dem der WDR mit 40 und der Süddeutsche Rundfunk mit 20 Prozent beteiligt sind, hatte im Juni 1992 in Bottrop-Kirchheilen einen „Filmpark“ eröffnet und ihn am 31. Oktober des folgenden Jahres schon wieder geschlossen. Denn statt der erwarteten 700.000 Besucher hatte der teilweise provisorisch wirkende „Film-Park“ in diesen anderthalb Jahren gerade 300.000 verzeichnet. Gescheitert war damit der Versuch, im Ruhrgebiet den Erfolg zu wiederholen, den auf dem Filmgelände Geiselgasteig bei München seit Jahren die sogenannte „Bavaria Film Tour“ verzeichnet. Ein herber Verlust für die „Bavaria“ angesichts eigener Investitionen in Höhe von mehr als 55 Millionen Mark. Ein herber Verlust aber auch für die Landesregierung, die den Filmpark mit 6,7 Millionen Mark gefördert hatte.

Als sich das Filmpark-Fiasko abzeichnete, hatten sich „Bavaria“ wie Landesregierung sofort auf die Suche nach einem finanzstarken Interessenten begeben, der den Park schöner und größer aus dem unerwünschten Dornröschenschlaf erwecken könnte. Ins Gespräch kam schon bald Time Warner, in den USA Marktführer für innovative Kabeltechnologie und der zweitgrößte Betreiber von Kabelprogrammen.

Der amerikanische Medienmulti Time Warner entstand 1986 aus einer 14-Milliarden-Dollar-Fusion mit dem Time-Konzern und ist seitdem mit 15 Milliarden Dollar hoch verschuldet. In der Bundesrepublik ist Time Warner beteiligt an den Fernsehsendern „VIVA V‘ und „VIVA 2“, den regionalen Fernsehstationen „l A Brandenburg“ (21,6 Prozent )und „Hamburg 1 “ (24 Prozent) und am deutschen Nachrichtensender „n-tv“.

Als der Vertrag mit Time Warner über „Movie World“ in Bottrop nach langwierigen Verhandlungen schließlich perfekt war, atmeten nicht nur die um schwarze Zahlen bemühten WDR-Vertreter im Aufsichtsrat der „Bavaria“ spürbar auf, sondern auch SPD-Medienpolitiker. NRW-Wirtschafts- und Verkehrsminister Wolfgang Clement hatte noch in seiner Amtszeit als Chef der Staatskanzlei an der Entscheidung von Time Warner für Bottrop mitgewirkt. Cleent, auch weiterhin „Motor“ der nordrhein-westfälischen Medienpolitik, sieht in der „Movie World“ eine Bestätigung für den „beispielhaften Aufwärtstrend, den wir seit mehreren Jahren in der nordrhein-westfälischen Medienwirtschaft beobachten können“. Mittlerweile ist Nordrhein-Westfalen der wichtigste Standort für die Kommunikationswirtschaft in Mitteleuropa. Die Landesregierung verweist gerne und oft darauf, dass mehr als 600 Unternehmen der Telekommunikationsbranche ihren Sitz in NRW haben, außerdem alle Mobilfunkbetreiber sowie mehr als 1.300 Software-Häuser. Hinzu kommt eine Konzentration von öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveranstaltern wie in keinem anderen Bundesland; dies gilt auch für die Zeitungslandschaft. Längst erzielt die Kultur- und Medienwirtschaft im „Traumland NRW“, -so Clement, weit höhere Umsätze als ehemalige Schlüsselindustrien wie Hoch- und Tiefbau oder Bergbau.

Und diesen Aufwärtstrend beförderte Clement auch im Fall „Hollywood in Germany“ mit Geld aus der Landeskasse. So hat der neue Park eine eigene Zufahrt von der A 31 bekommen, eine eigene Eisenbahnhaltestelle, einen eigenen Abwassersammler – alles in allem 63 Millionen Mark aus dem Regionalen Wirtschaftsförderungsprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen.

Als am 13. Mai 1993 im Beisein von Ministerpräsident Johannes Rau der 300 Kilogramm schwere Grundstein für den neuen Themenpark gelegt wurde, war von 900 neuen Arbeitsplätzen die Rede. Es seien gerade mal 105 Dauerarbeitsplätze, die da in Bottrop entstünden, hatte der CDU-Fraktionsvorsitzende im NRW-Landtag, Helmut Linssen, Anfang 1994 vorgerechnet. Er sprach von einem exemplarischen Fall verfehlter Wirtschaftspolitik in Nordrhein-Westfalen. Cora Hollmann, Personalchefin von „Movie World“, nennt die genaue Zahl: „150 Vollzeitangestellte“. In der Saison zwischen dem 30. Juni und 1. September, wenn der Park täglich acht Stunden geöffnet ist, sollen es insgesamt 1000 Beschäftigte sein.

Bottrops Bürgermeister Diethard Kreul erhofft sich von dem Themenpark entgegen den Unkenrufen der CDU-Landtagsfraktion „einen weiteren Anschub zum wirtschaftlichen Strukturwandel “ und steigende Kaufkraft in der Region („Für uns ein einmaliger Glücksfall“). Aber der neue Themenpark soll nicht nur für neue Arbeitsplätze und touristische Attraktionen sorgen, sondern er soll auch dem Medienland Nordrhein-Westfalen weiteren Aufschwung verleihen, in der Bundesrepublik und in Europa, indem er nicht nur Filmtouristen anlockt (bei einem Eintrittspreis von 112 Mark für eine vierköpfige Familie), sondern auch Filmproduzenten. Für sie sind auf dem Gelände der „Movie World“ drei hochmoderne, ganzjährig betriebsbereite Produktionsstudios errichtet worden – insgesamt 4 500 Quadratmeter groß.

Die größte dieser drei Hallen ähnelt einem Hangar für Flugzeuge und kann – eine Voraussetzung für Spielfilmproduktionen – Kulissen mit einer Höhe von mehr als fünfzehn Metern aufnehmen. Ob die Bottroper Filmstudios dem Wunsch der Düsseldorfer Geldgeber nach großen Filmproduktionen in NRW aber jemals gerecht werden, ist zweifelhaft. Denn über freie Kapazitäten bei Spielfilmen klagen bereits die drei bestehenden großen Filmproduktionsstätten in der Bundesrepublik („Studio Hamburg“, „Bavaria“ in München und die „UFA“ in Berlin/Brandenburg). Deren tägliches Brot sind Fernsehproduktionen. Sie werden deshalb wohl auch in Bottrop den Ton angeben. Einen „Lockvogel“ haben Time Warner und die nordrhein-westfälische Landesregierung der Konkurrenz in Hamburg, München und Berlin allerdings voraus. Und er wurde bereits bei mehreren großen Kinofilmen mit Erfolg eingesetzt: Für die in Bottrop entstehenden Kinofilme können Fördermittel der nordrhein-westfälischen Filmstiftung beantragt werden. Getragen vom Land und vom WDR über Mittel der Landesanstalt für Rundfunk, hat die Stiftung seit 1991 mehr als 100 Millionen Mark an Fördermitteln für Filmprojekte bewilligt. 1996 ist bislang die Förderung von 23 Kinoproduktionen mit insgesamt zehn Millionen Mark beschlossene Sache. Allen Projekten liegt das Prinzip zugrunde: Der Produzent muss in NRW das Anderthalbfache dessen ausgeben, was er als Förderung erhalten hat. Zukunftsträume Schließlich soll der Umsatz im Wirtschaftssektor Film an Rhein und Ruhr steigen. Darauf hoffen alle, die ihr Geld direkt oder indirekt mit Medienprodukten aus NRW verdienen. „Wir stehen vor einer großen Zukunft“, meint der Dortmunder Filmemacher Dr. Uwe Boll. Und auch in Bochum herrscht unter Schauspielschülern Aufbruchsstimmung. Martin Ankermann, Leiter der westfälischen Schauspielschule: „Es gibt Schauspielschüler, die träumen von der Hollywoodkarriere. Wenn sie dann in NRW dieselbe Karriere machen können, ist das natürlich wunderbar.“