Haschisch ist längst keine Sensation mehr

1989:  Zunehmend jüngere Menschen werden körperlich und seelisch von Rauschmitteln abhängig. Jürgen Schildknecht, seit 1976 Leiter der Drogenberatungsstelle Gütersloh, im Dezember 1978: “ Fragen Sie mich nicht nach genauen Zahlen, aber die Anzahl der Fixer, die harte Drogen wie Heroin nehmen, liegt bei etwa 60 im Raum Gütersloh!“ Auf Kreisebene ist inzwischen von 120 heroinsüchtigen Jugendlichen die Rede. Aber nicht nur ihnen, sondern auch einer anderen, weitaus, größeren Gruppe von Jugendlichen gilt die Sorge der “ Drobs“ -Mitarbeiter. Schildknecht damals wie heute (Dezember 1980): “ Gerade in Gütersloh gibt es eine Menge junger Menschen, die Haschisch oder LSD regelmäßig konsumieren. Zwar führen diese Mittel nicht zur körperlichen Abhängigkeit, wirken sich allerdings oft (verheerend bei LSD) auf die Psyche des Betroffenen aus. Haschisch und LSD haben auch in Gütersloh einen festen Abnehmerkreis!“ ‚

Gerade im vergangenen Jahr (1979) hat sich Haschisch unter Jugendlichen äußerst stark verbreitet. Haschisch ist keine “ Sensation“ mehr, sondern in der “ Szene“ zur Alltagsdroge geworden, und wird auch von Jugendlichen geraucht, die sonst keine Droge anrühren würden. Aus dem Bericht der Drogenberatungsstelle Gütersloh: “ Das Wissen, dass durch Haschisch weder körperliche Schäden noch eine Abhängigkeit – zumindest keine körperliche – zu erwarten sind, scheint weitgehend eventuelle Bedenken auszuräumen.“

Der Gütersloher Kriminaloberkommissar Karl-Heinz Wallmeier meint dagegen, Haschisch führe zwar nicht zur Sucht, aber zu irreparablen Schäden an Gehirn, Herz und anderen Organen. In: einem sind sich der Kriminalist Wallmeier und der Sozialarbeiter Schildknecht – die auf getrennten Wegen ein Ziel ansteuern, ein weiteres Anwachsen der Drogensucht zu verhindern – jedoch einig: Die Droge Haschisch sollte nicht unterschätzt werden. Allzu gern werde von Jugendlichen die Gefahr der psychischen Gewöhnung und einer psychosozialen Einengung bei langfristigem, starkem Haschisch-Konsum ebenso beiseite geschoben wie die des Umsteigens auf härtere Drogen. Dr. Jost von der Bernhard-Salzmann-Klinik Gütersloh zum Haschisch: “ Darüber steigen etwa neunzig Prozent aller Medikamenten- und Drogenabhängigen in die Szene ein!“ (Sebastian S. ist ein Beispiel dafür.)

Weitaus gefährlicher als Haschisch ist jedoch LSD, das unter Jugendlichen ebenfalls stark verbreitet ist. Dabei ist LSD relativ leicht zu bekommen – ein “ Trip“ für etwa fünf bis zehn Mark. Die Zahl der LSD-Konsumenten, mit denen die Drogenberatungsstelle Gütersloh im vergangenen Jahr Kontakt hatte, entsprach der der Vorjahre. Allerdings mussten ca. zwölf Jugendliche wegen LSD-Schädigungen im Landeskrankenhaus langfristig stationär behandelt werden.

Der Kripomann Wall-eier meint, wie Haschisch werde auch LSD unterschätzt. Er vergleicht die Traumdroge sogar mit Heroin. “ Von der Heroinsucht kann man geheilt werden, wenn auch unter erheblichen Schwierigkeiten, nicht aber von LSD!“ Diese synthetische Droge werde nicht abgebaut, sondern lagere in der Großhirnrinde ab und könne oft erst nach längerer Zeit auf Licht- oder Tonimpulse hin abgerufen werden, auf die der Betreffende keinen Einfluss habe.

Lysergsäurediathylamid (LSD) ist ein Halluzinogen aus der Retorte. Auf dem schwarzen Markt wird es in unterschiedlicher Konzentration und vermischt mit anderen Stoffen angeboten: Als Lösung auf Zucker oder Löschpapier, als Tabletten oder Kapseln in Verbindung mit anderen Drogen. Schon mit kleinsten Dosen ist ein “ Trip“ , eine “ Reise“ , zu erzielen. LSD-Anhänger betonen dabei die “ offenbarende“ , psychedelische Wirkung der Droge, den Zustand gesteigerter nervlicher Erregbarkeit. Das Hochgefühl kann jedoch auch urplötzlich nackter Angst weichen, was nicht selten zu unerwarteten Reaktionen (Selbstmordversuch, Fenstersturz) geführt hat.

Auf Dauer ist das menschliche Gehirn dem LSD nicht gewachsen, durch das es wie ein Computer falsch programmiert wird – es dreht durch. Depressive Stimmungen sind dabei nur ein Anfangsstadium. Die Hauptgefahr von LSD liegt in bleibenden geistig-seelischen Störungen. Vom LSD zum Heroin ist kein weiter Weg. Das Durchschnittselter der Heroin-Konsumenten, mit denen die Drogenberatungsstelle Gütersloh im vergangenen Jahr zu tun hatte, lag bei 18 bis 22 Jahren, das der übrigen Drogenkonsumenten bei 16 Jahren; meist handelte es sich hierbei um Schüler. Sebastian S., seit seinem 14. Lebensjahr Fixer, gehörte also zum “ Durchschnitt“ , als er erstmals mit der Drogenberatungsstelle Kontakt aufnahm. Und sein “ Fall“ passt auch zu der These der Drogenberatungsstelle, dass die meisten Fixer schon längere Zeit vor dem Erstkontakt mit einem Sozialerbeiter der “ Drobs“ Heroin-Erfahrungen gemacht haben, so dass das Einstiegsalter bei den Fixem wesentlich niedriger anzusetzen ist als das Durchschnittsalter der „Drobs“-Klienten. Gerade den 14- bis 17jährigen Jugendlichen, die bereits hier und da Heroinerfahrungen gesammelt haben, aber noch in einem Anfangs- oder Probierstadium sind und überwiegend noch “ weichere“ Drogen konsumieren, fällt es nach den Erfahrungen der “ Drobs“ schwer, mit einer “ halbamtlichen Stelle“ Verbindung aufzunehmen, wenn sie am eigenen Verhalten etwas ändern wollen. Zitat aus dem Jahresbericht 11978 der “ Drobs“ : “ Erlebnisweisen und damit auch der Stellenwert, der dem Drogenkonsum beigemessen wird, sind bei diesen Jugendlichen noch weitgehend geprägt von der Suche nach Verstandenwerden, Freundschaften, Freiheit, von Protesthaltung und Andersseinwollen als die Erwachsenen, so dass nur durch Kontakte, die über Jahre gehen können, eine Bereitschaft zur Veränderung möglich werden kann!“ Einmal zu einer Gruppe gehörend, darf man sich natürlich nicht ausschließen. Denn nur wer mitmacht, wird auch anerkannt. Dieser Gruppendruck, aber auch der Wunsch nach gemeinsamem Erleben, nach Erfahrung und Selbsterkenntnis im Kreis von Freunden ist eine wichige Ursache für den ersten vielen Drogenkontakt, wobei vielen “ Probierern“ gar nicht klar ist, welche Wirkungen und Folgen die Droge hat, die sie einnehmen. Er ist der eigentliche “ Einstieg“ .

Kann die “ Drobs“ nicht bremsend wirken, weil es den notwendigen ersten Kontakt erst gar nicht gibt, wächst der “ Heroin-Probierer“ in jene Gruppe der Fixer hinein, die durchweg ab abhängig zu bezeichnen sind. Zwischen 17 und 22 Jahre alt, leben sie unauffällig, zurückgezogen, gehen sie zur Arbeit oder zur Schule, haben sich also von ihrem “ normalen“ sozialen Umfeld noch nicht abgewandt. Mancher dieser Drogenkonsumenten ist auch nicht permanent “ auf Heroin“, sondern schafft es ab und zu, für Wochen oder auch Monate, ohne den Stoff auszukommen. Meist ist damit aber ein Umsteigen auf Tabletten, Haschisch oder Alkohol verbunden.

Den harten Kern der Heroinabhängigen bilden jene Fixer zwischen 22 und 28 Jahren, die meist eine mehrjährige „Drogenkarriere“, teilweise auch schon Knast- und Therapieerfahrungen hinter sich haben. Der größte Teil von ihnen ist arbeitslos beziehungsweise “ jobbt“ gelegentlich. Nur die wenigsten gehen noch einer geregelten Arbeit oder Ausbildung nach.

Zu diesem Kreis finden die Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle Gütersloh besonders schwer Kontakt. Ebenso wie zu einigen etwas jüngeren (19 bis 23 Jahre), die zwar noch keine “ Drogenkarriere“ hinter sich haben, aber so stark auf ihre Abhängigkeit sowie ihre Kontakte in der “ Szene“ fixiert sind, dass sie ebenfalls jegliche Versuche von außen abblocken, ihre Lage zu verändern.

Sebastian S. kennt viele davon: „Für die zählt nur, ìn` zu sein. Für die zählt die Clique und die Droge.“ . Gemeint sind die Fixer mit sozialem Umfeld, wenn Sebastian S. von Heroinabhängigen spricht, “ die aufhören möchten, es aber nicht auf die Reihe bringen, endlich etwas zu unternehmen.“