75 Jahre Hagener Stadttheater

Am 5.Oktober 1986 wird das Hagener Stadttheater 75 Jahre alt. Die Stadt Hagen begeht dieses Jubiläum an diesem Tage mit einem Festakt.

Veröffentlicht 1986

Von Lothar Kaiser

Die Ansprachen halten der Kultusminister des Landes NRW, Hans Schwier, und Intendant Prof. Manfred Schnabel. Aufgeführt werden Ausschnitte aus Goethes „Faust I“, Brechts „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ sowie Mozarts „Zauberflöte“. Am Abend dieses Sonntags gibt es im Hagener Stadttheater um 19 Uhr eine Festvorstellung der Komödie für Musik „Der Rosenkavalier“ von Hugo von Hofmannsthal.

Am 5.Oktober 1911 war das Hagener Stadttheater mit einer Vorstellung von „Wallenstein“ eröffnet worden. Seine Geschichte ist zugleich ein bedeutender Teil der Hagener Stadtgeschichte. Als drei Jahre nach der Eröffnung des Theaters an der Elberfelder Straße der 1. Weltkrieg ausbrach, kam das aufblühende Theaterleben in Hagen fast wieder zum Erliegen. Und nach Kriegsende brachten die große Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Engpässe für das idealistisch eingestellte Ensemble neue Probleme, die nur mit Hilfe eines treuen Publikums gemeistert werden konnten. Im „3.Reich“ bekam auch das Hagener Theater die „Gleichschaltung“ der Nationalsozialisten zu spüren: Jüdische Schauspieler erhielten Berufsverbot; generell war Juden das Betreten des Hagener Stadttheaters verboten.

Der zweite Weltkrieg ging seinem Ende entgegen, da wurde das Hagener Stadttheater Opfer eines Bombenangriffs. Doch schon im Herbst 1945,nachdem Dr. Hermann Werner Intendant geworden war, wurde in Hagen wieder Theater gespielt, im Saal der alten Stadthalle, später dann in der Aula des Gymnasiums in Hagen-Haspe. Mit dem „Rosenkavalier“ wurde dann am 6.September 1949 das wieder aufgebaute Stadttheater eröffnet. Dieser schnelle Wiederaufbau wird heute in Hagen als „kulturelle Großtat“ gefeiert. Und in der Tat zählt die Stadt Hagen damit zu den wenigen Städten in Deutschland, die damals erkannt hatten, dass auch in einer Zeit des Hungers und der Wohnungsnot der Mensch „nicht allein vom Brot“ lebt. Die langen Schlangen vor den Theaterkassen gaben den Initiatoren des Theateraufbaus damals recht.

Nach der Währungsreform begann am Hagener Stadttheater eine Zeit des Sparens. Das bisherige Drei-Sparten-Theater wurde aufgegeben zugunsten eines reinen Musiktheaters. In dieser Form ist das Hagener Stadttheater auch heute noch das kleinste und auch jüngste Theater in der Bundesrepublik. Eine umfassende Chronik dieser 75 Jahre enthält eine 120 Seiten umfassende Festschrift des Hagener Theaters. Daneben bietet eine Ausstellung im Theaterfoyer einen Querschnitt von den frühen 20er Jahren bis zur Gegen wart, zeigt Zeittendenzen und Entwicklungen auf. Denn vom dem, was in diesen 75 Jahren in Hagen auf die Bühne an der Elberfelder Straße kam, blieben als stumme, aber eindringliche Zeugen nur diese Bühnenentwürfe, nachdem die Stücke abgespielt und die Bühnenbilder demontiert waren. Professor Franz Schnabel, der 59 Jahre alte Indendant des Hagener Stadttheaters seit 1973 und damit Chef von rund 350 Theaterleuten, hat die Spielzeit 1986/87 zu einer Jubiläums-Saison gemacht mit sieben Opern sowie vier Operetten- und Musicalinszenierungen. Ihre bundesdeutsche Erstaufführung wird zum Beispiel in Hagen die Oper „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“ des DDR- Komponisten Siegfried Matthus in Hagen erleben, die an der Dresdner Staatsoper und in Ost-Berlin schon mit großen Erfolg aufgeführt wurde.(1985 hatte bereits die Matthus-Oper „Der letzte Schuß“ in Hagen Premiere). Eine weitere deutsche Erstaufführung: Das Musical „Prinzessin Ida“ von Arthur Sullivan und W.S. Gilbert. An Opern kommen hinzu:“Lohengrin“ (Riuchard Wagner),“Der Rosenkavalier“ – wie das Stadttheater 75 Jahre alt -(Richard Strauß),“Zauberflöte“ (W.A. Mozart) und „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonney“ (Brecht/ Weill);an Operetten und Musicals: „Das Lächeln einer Sommernacht“ (Stephen Sondheim),“Der Graf von Luxemburg“ (Franz Lehar) und „Anatevka“ (Jerry Bock/Josef Stein).

Dass diese „Jubiläums-Spielzeit“ den städtischen Etat mit Mehrkosten von 405000 Mark belastet – über den Theater-Etat von rund fünfzehn Millionen Mark hinaus, stieß im Haupt- und Finanzausschuss der Stadt Hagen Ende Juni auf herbe Kritik. Intendant Prof.Manfred Schnabel mußte sich sagen lassen, bei Vertragsabschlüssen für Theater und Orchester allzu großzügig verfahren zu sein. Dem Intendanten brachte das eine Abmahnung ein. Und auf Antrag des zuständigen Ausschusses erteilte der Hagener Stadtrat den Juristen in der Verwaltung den Auftrag, Möglichkeiten zu prüfen, die beiden Theaterleute persönlich in Regress zu nehmen. Im übrigen hat der Stadtrat außerplanmäßigen Ausgaben für das Theater in Höhe von 405 000 Mark in der Zwischenzeit zugestimmt.

Gegen das Votum der „Grünen“, die dem Stadttheater zweitklassige Operettenkultur vorwarfen. Intendant Schnabel konterte darauf mit dem Hinweis auf jährlich 12.000 Theaterbesucher. Der Mann, der auf diesen Zuspruch stolz ist, Intendent Manfred Schnabel, verlässt das Hagener Stadttheater zum 1. August 1987, ein Jahr vor Ablauf seines Hagener Vertrages. Die Theater & Philharmonie GmbH Essen hatte ihm im Juli das Angebot gemacht, für zunächst fünf Jahre ihr künstlerischer Geschäftsführer, ihr Intendant zu werden mit dem besonderem Schwerpunkt „Musiktheater“. Der Essener Spielplan des Jahres 1989 wird der erste sein, der seine Handschrift trägt. Professor Schnabel denkt da an die großen französischen Opern des 19. Jahrhunderts. Der heute 59jährige betrachtet den Essener Vertrag, der eine Laufzeit bis zum 31.Juli 1992 hat, als „letzte Berufschance seines Lebens“. Seine Bitte um vorzeitige Vertragsauflösung verband er mit der Zusicherung, die Inszenierungen während des Hagener Theater- Jubiläums würden dadurch nicht beeinträchtigt.

Die Stadt Hagen lässt den Intendanten nur ungern gehen – immerhin gelang es ihm, mit heiteren Musiktheater des Ostens, der Vorklassik und Shakespeare- Inszenierungen die Platzausnutzung des Stadttheaters wesentlich zu verbessern. Sie liegt heute bei neunzig Prozent. Man wollte Schnabel allerdings auch keine Steine in den Weg legen. Motto: „Reisende soll man nicht aufhalten“. Ein geeigneter Nachfolger werde bis zum Spielzeit 1987/88 sicherlich gefunden werden, ist man im Hagener Rathaus zuversichtlich. Lediglich die Fraktion der Grünen im Hagener Stadtrat will den Weggang Schnabels zu einer kulturellen Generaldebatte nutzen mit dem Ziel einer breiter gestreuten Kulturförderung, die auch die alternative Kultur umfasst.