Vorhaller Steinbruch in Hagen

Wenn irgendwo im Lande eine Mülldeponie oder eine Müllverbrennungsanlage gebaut werden soll – und der Nachholbedarf ist gerade auf diesem Sektor sehr groß -, dann steigen Anwohner auf die Barrikaden. Der Müll, auch ihr eigener, soll zwar beseitigt werden. Aber, bitte schön, nicht gerade vor ihrer eigenen Haustüre. Das „St. Florians-Prinzip“ nennt man das wohl. Im Falle des Vorhaller Steinbruchs in Hagen jedoch, der mit Müll noch unbestimmter Zusammensetzung – mit Bauschutt, vielleicht aber auch mit Sondermüll – verfüllt werden soll, wenn es nach den Vorstellungen des Steinbruchbetreibers geht, im Falle des Vorhaller Steinbruchs spielt nicht allein dieses Prinzip eine Rolle.

Veröffentlicht 1986, Basismaterial für diverse Hörfunkberichte

Von Lothar Kaiser

Wenn irgendwo im Lande eine Mülldeponie oder eine Müllverbrennungsanlage gebaut werden soll – und der Nachholbedarf ist gerade auf diesem Sektor sehr groß -, dann steigen Anwohner auf die Barrikaden. Der Müll, auch ihr eigener, soll zwar beseitigt werden. Aber, bitte schön, nicht gerade vor ihrer eigenen Haustüre. Das „St. Florians-Prinzip“ nennt man das wohl. Im Falle des Vorhaller Steinbruchs in Hagen jedoch, der mit Müll noch unbestimmter Zusammensetzung – mit Bauschutt, vielleicht aber auch mit Sondermüll – verfüllt werden soll, wenn es nach den Vorstellungen des Steinbruchbetreibers geht, im Falle des Vorhaller Steinbruchs spielt nicht allein dieses Prinzip eine Rolle. Sondern es geht auch um den Naturschutz, um selten gewordene Pflanzen und Tiere, die in stillgelegten Teilen dieses Steinbruchs heimisch geworden sind. Daraus nun hat sich ein Interessenkonflikt entwickelt. Beteiligt daran: Die Stadt Hagen, eine Bürgerinitiative, eine Müllentsorger-Firma, der Arnsberger Regierungspräsident und das nordrhein-westfälische Umweltministerium.

Seit knapp drei Jahren gibt es in Hagen einen Verein, der sich über Mitgliederschwund nicht beklagen kann. Gemeint ist die „Bürgerinitiative Vorhaller Steinbruch“. Mehr als 1200 Hagener Bürger gehören ihr an, die meisten davon Bewohner eines Stadtteils, durch den in einigen Jahren täglich Lastwagen voller Müll fahren werden. Vorausgesetzt, ein Plan wird Wirklichkeit , über den der Regierungspräsident in Arnsberg entscheiden muss. Der Plan nämlich, im dem Teil des „Vorhaller Steinbruchs“, in dem kein Tonschiefer mehr abgebaut wird, Müll abzukippen, Problemmüll wie zum Beispiel die Schlacken der Hagener Müllverbrennungsanlage. Und genau das möchten die Mitglieder der Bürgerinitiative verhindern.

Ein Interessenkonflikt, der sich inzwischen zugespitzt hat und der so oder ähnlich auch in anderen Städten und Kreisen unseres Landes ausgetragen wird. Wer möchte schon gerne eine Müllhalde vor der eigenen Haustüre haben? „Heiliger Sankt Florian.Schütz unser Haus, zünd andre an!“ Dieses „St.Florians-Prinzip“ spielt bei manchen Mitgliedern der „Bürgerinitiative Vorhaller Steinbruch“ sicher eine Rolle. Vorrangig geht es jedoch um den Erhalt eines Stücks Natur. Für Kurt Siedler, Sprecher der Bürgerinitiative, ist der Vorhaller Steinbruch eine unersetzbare „Biogrube“, in der zwölf Amphibienarten und 45 Vogelarten nachgewiesen worden seien, darunter auch Vögel, die auf der „roten Liste“ stehen, so etwa der Steinschmetz und der Gartenrotschwanz.

Kontrahent der Bürgerinitiative: Die Vorhaller Klinkerwerke. Sie haben sich nicht den Schutz und die Pflege zarten Grüns zur Aufgabe gemacht, sondern die Ausbeutung nackten Gesteins, seine Verarbeitung zu Baustoffen. Als die Firma im Jahre 1974 die Genehmigung zur Abgrabung von Schieferton bekamen, war damit die Auflage verbunden, nach erfolgter Ausbeute den Steinbruch wieder zu verfüllen. Eine Auflage, die den wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens durchaus entspricht. Konkret: Die Klinkerwerke wollen nicht nur mit dem ein Geschäft machen, was sich aus dem Steinbruch herausholen lässt, sondern auch mit dem, was dort abgelagert werden kann. So ist aus der einstigen Auflage längst ein Verfüllungsanspruch geworden.

Und noch ein Unternehmen hat ein wirtschaftliches Interesse an der Umwandlung des Steinbruchs in eine Deponie: Die Firma K.W. Schütz, spezialisiert auf die Beseitigung von Industrieabfälle. Manfred Kühn, Betriebsleiter der Firma Schütz, muss die Abfälle, die sein Unternehmen heute in Hagen und Umgebung entsorgt, an den Niederrhein nach Hünxe oder nach Ochtrup im Münsterland verfrachten, weil der Regierungsbezirk Arnsberg über keine eigene Sonderdeponie verfügt. Eine solche Anlage vor Ort würde aber nicht nur der Firma und ihren Kunden in der Industrie Kosten ersparen, sondern auch der Stadt Hagen. Weil auch die Abfälle aus der städtischen Müllverbrennungsanlage auf eine abgedichtete Deponie gehören.

Nachdem die Firma Schütz mit den Klinkerwerken handelseinig geworden war – Motto: Ein Loch, in dem man Müll loswerden kann, ist heutzutage Gold wert – da stellten beide Unternehmen im Juli 1983 beim Regierungspräsidenten in Arnsberg den Antrag, den Steinbruch verfüllen zu dürfen. Nicht nur mit Erdaushub, sondern auch mit Bauschutt. Mit Müll also. Und das geht in jedem Fall nicht ohne ein sogenanntes Planfest stellungsverfahren, an dem Behörden und Kommunen beteiligt werden müssen, in diesem Fall die Stadt Hagen, die als kreisfreie Stadt nach dem Abfallbeseitigungsgesetz für die Müllentsorgung in erster Linie zuständig ist.

Im Dezember 1983 berichtete der Hagener Stadtkämmerer Dr.Rudolf Pesch vor Kommunalpolitikern, der Untergrund des Vorhaller Steinbruchs sei so dicht, dass dort auch Gießereisande, eisenhaltige Schlämme aus Stahlwerken, Straßenkehricht und die Schlacken der städtischen Müllverbrennungsanlage abgekippt werden könnten. Als der Arnsberger Regierungspräsident Mitte 1985 den neuen Flächennutzungsplan der Stadt Hagen genehmigte, tat er dies mit dem Hinweis, dass die Stadt Hagen bis zum 1. Oktober dieses Jahres (1986) in diesen Plan den geeigneten Standort für eine Deponie nachtragen müsse. Sechs Standorte für eine solche Deponie hat die Stadt Hagen inzwischen ins Auge gefasst. Einer davon ist der Vorhaller Steinbruch. Vor der letzten Kommunalwahl hatten sich Vertreter aller Parteien in Hagen gegen eine Deponie im Vorhaller Steinbruch aus.

Dass das Gelände nun doch als möglicher Deponiestandort untersucht wird, betrachtet die Vorhaller Bürgerinitiative als Wortbruch. Schon im März 1984 hatten die Vorhaller Klinker-Werke, ein Werk mit 35 Beschäftigten und einer Tageskapazität von 60 000 Steinen, die in den vergangenen Jahren allerdings nicht mehr ausgeschöpft wurde, und die Abfallbeseitigungsfirma Schütz ihren Antrag auf Einleitung eines Planfeststellungsverfahrens beim Regierungspräsidenten in Arnsberg um eben den Problemmüll erweitert, für den auch die Stadt Hagen eine endgültige Bleibe sucht. Zwar hat der Steinbruch Mitte dieses Jahres den Besitzer gewechselt. Doch der Antrag blieb bestehen. Neuer Besitzer und Hauptgesellschafter der „Vorhaller Klinkerwerke“ ist die Abfallbeseitigungsfirma Schütz, nachdem sie von den bisherigen 13 Gesellschaftern, darunter der Schokoladenfabrik Monheim, den größten Teil der Gesellschaftsanteile erworben hat.

Nahezu zeitgleich bildete das Unternehmen zusammen mit vier Tiefbauunternehmen und einer Baustoff-Firma die „Hagener Baustoff-Recycling GmbH“ mit dem Ziel, in Hagen eine Wiederaufbereitungsanlage für Baustoffe zu errichten und zu betreiben. Die Vermutung liegt nahe, dass Standort dieser Industrieanlage der Steinbruch in Hagen-Vorhalle werden soll. Tatsache ist jedenfalls, dass auch der neue Besitzer auf einer Teilverfüllung jener Flächen besteht, die als Steinbruch nicht mehr benötigt werden. Zwanzig Jahre lang, so schätzt auch der neue Steinbruchbetreiber, könnte der Steinbruch als Deponie für 750 000 Kubikmeter Problemmüll dienen.

Die Bürgerinitiative, die dies verhindern will, beziffert die Aufnahmekapazität des Steinbruchs dagegen nur mit einem Drittel davon. Und ob sich der Steinbruch gegen ein 300 Meter unterhalb gelegenes Wassergewinnungsgebiet tatsächlich abschotten lässt, das bezweifelt Kurt Siedler von der Bürgerinitiative nicht nur wegen der vier Quellen auf dem Gelände der Klinkerwerke. Durch die Sprengungen im Steinbruch sei das Tonschiefergestein auch bis in die Grundwasser schichten eingerissen. Der nordrhein-westfälische Umweltminister Klaus Matthiesen, von der Bürgerinitiative auf den Vorhaller Steinbruch aufmerksam gemacht, gab im vorigen Jahr bei der LÖLF, der Landesanstalt für Ökologie ein Gutachten in Auftrag mit dem Ziel, die Frage des Schutzwürdigkeit des Geländes zu klären. Dr. Hermann-Josef Bauer von der LÖLF nannte als Kernaussage dieses Gutachtens, dass eine besondere Schutzwürdigkeit dieses Steinbruchs aus botanischer Sicht nicht vorliegt, eventuell jedoch um ein Naturdenkmal. Das festzulegen, sei Sache der zuständigen Landschaftsschutzbehörde. Auf der Grundlage dieses Gutachtens forderte die Bürgerinitiative, den Vorhaller Steinbruch einstweilig sicherstellen, um ein Verfüllen, womit auch immer, zu verhindern.

Gerichtet wurde dieser Antrag an den Regierungspräsidenten in Arnsberg als Höhere Landschaftsschutzbehörde. Und der hatte damit den „schwarzen Peter“. Ist der Steinbruch nun ein erhaltenswerter Lebensraum für seltene Pflanzen und Tiere oder eine dringend benötigte Müllgrube? Nach Ansicht der Behörde ließ das Gutachten eine einstweilige Sicherstellung des Steinbruchs nicht zu. Ganz abgesehen von der bestandskräftigen Genehmigung im Rahmen des Abgrabeverfahrens, den Steinbruch wieder zu verfüllen. Die Voraussetzungen für einen Widerruf dieser Genehmigung lägen nicht vor. So ein Zwischenbescheid des „RP“ gegenüber dem Steinbruchbetreiber. Und im Mai dieses Jahres deutete der Arnsberger Regierungspräsidenten Richard Grünschläger in einem Brief an Hagener Kommunalpolitiker einen Kompromiss an: Hier Abfallbeseitigung in einer Deponie, dort geschützte Teilflächen, die für Pflanzen und Tiere reserviert bleiben.

Die „Bürgerinitiative Vorhaller Steinbruch“, die seit diesem Brief kein Vertrauen mehr in die Arnsberger Bezirksregierung hat, forderte Anfang August Umweltminister Klaus Matthiesen auf, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie beurteilt das Gutachten der Landesanstalt für Ökologie, Landwirtschaft und Forsten ganz anders als der „RP“. Der Steinbruch sei darin durchaus als schützenswert bezeichnet worden, und zwar hinsichtlich seiner Geologie, Fauna und Paläontologie, der versteinerten Tiere also, die dort entdeckt worden sind. Indem der Regierungspräsident dies in Schreiben an die Hagener SPD unerwähnt gelassen beziehungsweise, was die schützenswerte Fauna angehe, bestritten habe, habe er die Kommunalpolitiker in unverantwortlicher, unzulässiger Weise beeinflusst. So steht es in dem Brief, den SPD-Bezirksvertreter Hans-Peter Jaraczewski im Auftrag der Bürgerinitiative an den Minister geschrieben hat. Auch wundert sich Jaraczewski darüber, dass er keinen Einblick in das Gutachten habe nehmen dürfen, während die Firma Schütz daraus in aller Öffentlichkeit zitiere.

Einige Wochen nach diesem Brief hatte die Bürgerinitiative Gelegenheit, Vertreter der Arnsberger Bezirksregierung vor Ort ihren Standpunkt darzulegen und für den Erhalt dieses Lebensraumes von Libellen, Molchen, Salamandern und anderen selten gewordenen Tieren einzutreten. Wenige Tage nach diesem Gespräch ließ der neue Besitzer der Vorhaller Klinkerwerke, die Firma Schütz, Tümpel und kleine Teiche zuschütten mit der Begründung, sie benötige eine neue Abbaurampe. Als seltsam empfindet dies der Hagener Landschaftsbeirat. In einem Brief an Minister Matthiesen kritisierte er die Beseitigung schutzwürdiger Flora und Fauna durch den Steinbruchbetreiber auf einem Teil des Steinbruchgeländes, der für den Betrieb gar nicht mehr benötigt werde. In einem Erlass an den Regierungspräsidenten hat das Ministerium daraufhin untersagt, dass auf dem Steinmbruch-Gelände befindliche Tümpel zugeschüttet werden. Als Ersatz für die bereits verschwundenen Tümpel soll die Bürgerinitiative neue Laichgewässer für Amphibien anlegen dürfen.