Der Wohnungsmarkt in einer Mittelstadt

Leerstehende Wohnungen, Zwangsversteigerungen von Einfamilienhäusern, Eigentumswohnungen, die kaum mehr an den Mann gebracht werden können. All das gibt es natürlich auch in Lüdenscheid.

Veröffentlicht 1986

Von Lothar Kaiser

Aber was in so mancher Großstadt bereits zur Regel geworden ist – in der märkischen Kreisstadt ist das noch eher die Ausnahme. Der Immobilienmarkt als solcher macht hier noch keine Schlagzeilen. Allenfalls die Neue Heimat, die zwischen 1958 und 1964 in Lüdenscheid für siebzehn Millionen Mark 708 Sozialwohnungen baute, für die sie nun schon seit zwei Jahren über eine ihrer Tochtergesellschaften, die Nordwestdeutsche Siedlungsgesellschaft vergeblich einen Käufer sucht. Der Wohnungsmarkt in einer Mittelstadt am Beispiel Lüdenscheid.

Zahlen, die für so manche Veränderung des Stadtbildes sprechen: Zwar nahm die Bevölkerung von Lüdenscheid in den vergangenen fünfzehn Jahren um sieben Prozent ab. Die Zahl der Wohnungen stieg jedoch um 24 Prozent an. Von den 35.000 Wohnungen, die es heute in der märkischen Kreisstadt gibt, gehört jede zehnte einer der drei gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, die in Lüdenscheid ihren Sitz haben. An der Spitze die Lüdenscheider Wohnstätten AG mit 1600 Wohnungen. Zum einen handelt es sich um Altbauten aus den Jahren 1927 bis 1935, zum anderen um sozialen Wohnungsbau ab 1950. Jeder zehnte Mieter ist ein Ausländer, jeder zwanzigste bekommt Sozialhilfe. Und die Tendenz ist steigend.

Nicht zuletzt deshalb schreibt Otto Klein, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Lüdenscheider Wohnstätten AG., den drei Wohnungsgesellschaften eine Auffangfunktion zu, mit der sich hohe Mietpreise nicht in Einklang bringen ließen. Für die relativ teuren Sozialwohnungen neue Mieter zu finden, fällt den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften von Jahr zu Jahr schwerer.

Aber auch auf dem freien Wohnungsmarkt weht längst ein schärferer Wind. Einfamilienhäuser sind in Lüdenscheid ist bereits für acht Mark pro Quadratmeter Wohnfläche zu mieten, eine Neubauwohnung für 7.50 Mark, eine Altbauwohnung, auch in der Innenstadt, für 6 bis 7 Mark. Nicht im Mietwohnungsbau, sondern im Eigenheimbau sieht deshalb Klaus Fastenrath, Obermeister der Lüdenscheider Baugewerbeinnung, noch eine Verdienstchance für Baufirmen und Architekten. Die „rosa Zeiten“ sind für die Lüdenscheider Baufirmen allerdings vorbei. Die erlebten sie in den 70er Jahren, nach der Kommunalen Neuordnung von 1969. Insgesamt wurden in Lüdenscheid seit 1970 rund 9000 Wohnungen gebaut und mehr als 2000 alte Wohnungen endgültig aufgegeben. Seit 1980 ging die Neubautätigkeit kontinuierlich zurück. Von einem Nachholbedarf an Einfamilienhäusern kann keine Rede mehr sein.

Wer sich in Lüdenscheid für ein Eigenheim im Grünen oder eine Eigentumswohnung in der Innenstadt interessiert, kommt an der Firmengruppe nicht vorbei, die in diesem Markt führend und, was auch mancher Bauhandwerker beklagen mag, der für sie arbeitet, die in diesem Markt preisbestimmend ist, die Firmengruppe von Horst Hellerforth. In den vergangenen 23 Jahren baute er insgesamt 6.500 Wohnungen, davon allein 2.500 in Lüdenscheid. Als der Autodidakt Hellerforth – mit vierzehn war er Kohlenschipper, heute gehört ihm ein alter Landsitz in Cork in Irland – als dieser Mann, dessen Firmengruppe mit 38 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 70 Millionen Mark in 1985 zu den fünfzig größten Maklerunternehmen in der Bundesrepublik gehört, kürzlich in der Lüdenscheider Stadthalle seinen 50. Geburtstag feierte, war viel örtliche Prominenz dabei. Und Bürgermeister Jörgen Dietrich hielt die laudatio, ohne zu verschweigen, dass er nicht nur als Kommunalpolitiker oft mit dem Immobilienmakler zu tun hat, sondern auch als Rechtsanwalt und Notar. Politisch schaden könne ihm das nicht, meinte der CDU- Bürgermeister. Denn schließlich wisse ja jeder davon.

Dem Branchenführer Hellerforth kann es nur recht sein, dass der Rat der Stadt auch in Zukunft neue Wohngebiete erschließen will. Darauf könne, so die Einschätzung von Stadtdirektor Lothar Castner, angesichts der überdurchschnittlich guter Entwicklungschancen der Kreisstadt auch gar nicht verzichtet werden. Mit einem Ausufern der Stadt wie Anfang der 70er Jahre ist allerdings nicht zu rechnen. Ziel der Stadt Lüdenscheid ist es, den zukünftigen Wohnflächenbedarf von 36 Quadratmetern pro Einwohner in erster Linie in der Innenstadt zu decken. Die Schlagworte sind hier Altbaumodernisierung und Wohnumfeldverbesserung. Dass in Lüdenscheid zur Zeit etwa ein bis zwei Prozent von insgesamt 35.000 Wohnungen leer stehen, hält der Beigeordnete Schönemann für kein nennenswertes Problem.

Dass diese Wohnungen zum größten Teil in den Außengebieten zu finden sind, ist seiner Ansicht nach Anzeichen für eine Wanderungsbewegung zurück in die Stadt. Baulücken gibt es dort noch genügend. Zum Beispiel ein 33.000 Quadratmeter großes Gelände, das durch die Verlagerung einer Elektrofirma in ein neues Industriegebiet frei wurde. Ein Mannheimer Bauträger hatte mit diesem Gelände große Pläne. Die 80 Eigentumswohnungen, die er dort baute, sollten nur der Anfang sein. Doch diese Wohnungen ließen sich nur schwer zu verkaufen. Die weitere Bebauung des Geländes betreibt nun ein Lüdenscheider Architekt. Die örtlichen Bauträgergesellschaften hätten es leichter, sagt Horst Hellerforth. Ihnen nehme man eine Eigentumswohnung auch noch zum Quadratmeterpreis von 2850 Mark ab.

Warum aber tun sich auswärtige Firmen in Lüdenscheid so schwer? für Rolf Vahlefeld ,den Vorsitzenden des örtlichen Haus- und Grundbesitzervereins, ist das auch eine Frage der Mentalität. Ein österreichischer Bauunternehmer, der in Lüdenscheid im biotrend sechzig Einfamilien- und Doppelhäuser aus umweltfreundlichen Baustoffen errichten möchte, hat das erkannt und arbeitet deshalb mit einem Lüdenscheider Architekt zusammen. Ein kleines Objekt im Vergleich zu dem 30.000 Quadratmeter großen Gelände „Oeneking-West“, das Horst Hellerforth Anfang 1984 für 3,8 Millionen Mark gekauft hat in der Absicht, dort innerhalb von drei Jahren 150 Wohnungen zu bauen. Und in der Überzeugung, mit Eigentumswohnungen und Einfamilienhäusern lasse sich auch in Zukunft noch Geld machen, gerade in einer Mittelstadt wie Lüdenscheid.