Die Iserlohner Nadelindustrie

Sie begann, als Panzerkettenhemden keinen rechten Absatz mehr fanden. Sendematerial für „Guten Morgen aus Essen“ und „Echo West“ aus Mai 1986.

Basismaterial für einen Bericht in „Guten Morgen aus Essen“, WDR, am 18. Juni 1986

Von Lothar Kaiser

Wie sich die Zeiten ändern: Im vorigen Jahrhundert war die Nadelindustrie in Iserlohn ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Heute dagegen gibt es in Iserlohn nur noch einen einzigen Betrieb, der Nadel herstellt, genauer Handwerkernadeln. Im Jahre 1855 zum Beispiel existierten in Iserlohn 22 Nadelfabriken mit insgesamt 1500 Beschäftigten. Und das bedeutete damals den dritten Rang in dieser Branche in Deutschland nach Aachen mit 6000 Nadelarbeitern und Nürnberg/ Schwabach mit 2000. Heute, wie gesagt, gibt es in Iserlohn nur noch einen Nadelhersteller, die Firma Gerhard Weyland.

Die Geschichte der Nadelindustrie in Iserlohn fing eigentlich im 16. Jahrhundert an, als die Panzerkettenhemden, die die Iserlohner Panzermachergilde das ganze Mittelalter hindurch aus Draht gefertigt hatten, keinen rechten Absatz mehr fanden. Ein neues Produkt mußte her. Und da kamen den Gildemeistern die Nadeln gerade recht. Die waren bis dahin fast ausschließlich in Aachen produziert worden. Aus Draht, den die Aachener Nadelmacher aus Iserlohn und Altena bezogen. „Warum dieser Umweg?“, fragten sich die Iserlohner Panzermacher, und so wurden denn im Jahre 1690 aus dem Raum Köln etwa sechzig Nadelmeister und Nadelarbeiter nach Iserlohn abgeworben.

Lange blieben die katholischen Nadler im evangelischen Iserlohn jedoch nicht. Denn jedesmal, bevor sie sich am Sonntag zu Fuß zum Gottesdienst nach Hemer, Menden, Letmathe oder Sümmern aufmachten, da holten sie sich bei ihren Arbeitgebern einen Vorschuß ab. Und als sie merkten, dass sie den auf Dauer nicht würden zurückzahlen können, da suchten viele von ihnen lieber das Weite.

Die eigentliche Ansiedlung der Nadelindustrie in Iserlohn datiert auf das Jahr 1745. In diesem Jahr wurde in Iserlohn, das mit der Reformation evangelisch geworden war, erstmals wieder eine katholische Pfarrgemeinde errichtet. Mit Förderung der Stadtväter. Denn ohne katholische Kirche, das hatten sie erfahren, ließen sich am Ort keine katholischen Nadelarbeiter halten. Die Nadler, die man diesmal aus dem Raum Köln holte, blieben denn auch in Iserlohn. Und in den folgenden vier Jahrzehnten wurden auch im benachbarten Altena und Menden Nadelmachereien gegründet. Die produzierten noch immer Nadeln aus Eisen, da hatten die Nadelhersteller in Aachen längst auf härten Stahl umgestellt. Dafür aber waren die Iserlohner Nadeln billiger. Weil die Frauen und Kinder, die meist in Heimarbeit die Oehren in die Nadeln schlugen, nur wenig Lohn bekamen.

Im 19. Jahrhundert war es dann mit der billigen Heimarbeit vorbei. In England waren Spezialmaschinen erfunden worden, auf denen Nadeln viel genauer hergestellt werden konnten als in Handarbeit. Die englische Konkurrenz machte den Iselohner Nadelmachern schwer zu schaffen. Doch dann besorgte man sich in Birmingham und Sheffield – auf dunklen Wegen – einige der neuen Maschinen, und war wieder konkurrenzfähig.

Die nächste technische Erneuerung wurde dann zu Anfang unseres Jahrhunderts in Iserlohn erfunden. Ein Nadelautomat, der aus rohem Draht in einem Arbeitsgang Nadeln herstellen konnte, die dann nur noch gescheuert und gehärtet werden mußten.

Die so produzierten Nadeln gingen zum größten Teil nach Asien. Der erste Weltkrieg beendete diese Geschäftsverbindung jedoch ziemlich abrupt. Und weil englische Fabrikanten sich nun ihrerseits einige der neuen Iserlohner Stampf- und Lochmaschinen „besorgt“ und ein paar davon nach Japan verkauft hatten, beherrschten fortan die Japaner den asiatischen Nadelmarkt.

Und nach dem zweiten Weltkrieg? Da waren die Iserlohner Nadelfabriken veraltet, konnten sie mit den moderneren, rationeller arbeitenden „Rheinischen Nadelfabriken“ in Aachen nicht länger Schritt halten, die daraufhin mehrere Iserlohner Betriebe aufkauften.