Oberbürgermeister diskutierten Altlasten

Zu einer Arbeitssitzung, an der auch der nordrhein-westfälische Umweltminister Klaus Matthiesen teilnahm, trafen sich in Hagen die SPD-Oberbürgermeister von elf Ruhrgebietsstädten. Von Hamm, Dortmund, Bochum, Essen, Duisburg, Oberhausen, Mühlheim, Bottrop, Gelsenkirchen, Herne und Hagen. Hauptthema dieser Sitzung: Altlasten.

Veröffentlicht 16.04.1986, Basismaterial für diverse Hörfunkberichte

Von Lothar Kaiser

Matthiesen betonte dabei die Notwendigkeit einer sicheren und geordneten Entsorgung unvermeidbarer Abfälle. Bei derzeit 3,8 Millionen Tonnen Sonderabfällen im Jahr werde es in Zukunft nicht bleiben, sagte der Minister. Um nach 1990 Engpässe zu vermeiden, müssten in Nordrhein-Westfalen neue Sondermüll-Standorte gefunden werden.

Im Gegensatz zu manchen anderen Bundesländern betreibt Nordrhein-Westfalen heute so wenig „Müll-Tourismus“ über die Landesgrenzen hinaus wie möglich.96 Prozent des anfallenden Mülls wird im Lande selbst entsorgt. Und das soll, wie Umweltminister Klaus Matthiesen in Hagen versicherte, auch nach Möglichkeit so bleiben. Die Müllmengen werden in den kommenden Jahren allerdings zunehmen. Zum Beispiel durch die Rauchgasentschwefelungsanlagen der Kohlekraftwerke, die dann zwar für eine sauberere Luft sorgen, aber dafür Gips produzieren. Oder dadurch, dass verseuchter Boden ehemaliger Industrieflächen, Altlasten, abgetragen und gesondert gelagert werden muss.

Ein besonderes Problem, da biologisch nicht abbaubar, sind Pcb-haltige Altöle und chlorierte Kohlenwasserstoffe. Wohin mit all diesem Sondermüll? Der Minister ließ keinen Zweifel daran, dass in Nordrhein-Westfalen weitere Sondermüll-Standorte gefunden werden müssten, für Deponien oder für hochmoderne Verbrennungsanlagen. Und dabei nannte er vorrangig die Regierungsbezirke Arnsberg und Köln, die noch über keine einzige Sondermülldeponie verfügen.

Altlasten machen den Städten schwer zu schaffen. Denn bei der Neuansiedlung von Gewerbe- und Industriebetrieben – woran man im Ruhrgebiet natürlich ein zwingendes Interesse hat – ist man mangels anderer Freiflächen auf die Industriebrachen von Kokereien, Zechen und Stahlwerken angewiesen, eben auf die Grundstücke mit hohen Schadstoffanteil im Boden. Von solchen verseuchten, giftigen Böden sind im Ruhrgebiet schon eine ganze Menge entdeckt worden.

Altlasten: Das sind jene alten Mülldeponien und ehemaligen Industriestandorte, von denen heute eine Gefährdung ausgeht, z.B. durch Verunreinigung des Grundwassers, durch Gase oder durch Nahrungsmittel, die auf diesen verseuchten Böden produziert worden sind und die aus diesen Böden gesundheitsschädliche Stoffe aufgenommen haben. Seit 1979/80 werden diese Altlasten in Nordrhein-Westfalen systematisch erfasst. Bisher sind das 8000. Davon sanierungsbedürftig sind wahrscheinlich zehn Prozent, also 800. In den Dringlichkeitslisten der fünf Regierungspräsidenten sind davon zur Zeit 288 aufgeführt. Ein nur langfristig und mit hohem Kostenaufwand zu lösendes Problem. Tief enttäuscht zeigte sich der Minister deshalb über die Bundesregierung , die eine bundeseinheitliche, gesetzliche Finanzierungsregelung ablehnt. Für den Fall, dass auch eine erneute Initiative der SPD-Bundestagsfraktion an diesem „unsolidarischen Verhalten“ nichts ändern könne, müsse die Landesregierung als Gesetzgeber aktiv werden. Sie werde die Städte und Gemeinden in Sachen Altlasten jedenfalls nicht im Stich lassen.

Vorstellbar wäre, so Matthiesen, wäre ein Modell, das Wirtschaft und öffentliche Hände beteiligt und die Aufgaben Altlasten-Sanierung, Sonderabfall-Vermeidung und Abfallrecycling, also Abfallwiederverwertung, sinnvoll kombiniert. Unabhängig von diesem nicht näher erläuterten Modell wird die Landesregierung in diesem Jahr aber auch schon in Einzelfällen, in denen Leben und Gesundheit von Menschen in Gefahr ist oder die öffentliche Trinkwasserversortung gefährdet ist, den Kommunen finanziell unter die Arme greifen. Das gilt für Altlasten, für die die Kommunen selbst zuständig sind oder wo sich kein anderer Verursacher mehr finden lässt. Im übrigen aber dürfe am Verursacher-Prinzip nicht gerüttelt werden. Konkret: Wo ein Unternehmen für den Mist, den es hinterlassen hat, noch zur Verantwortung gezogen werden kann, da soll das auch geschehen.

Zur Verfügung stehen in diesem Jahr insgesamt 80 Millionen Mark. Gedacht ist in Einzelfall an einen Landeszuschuss von 40 bis 50 Prozent. Und auf die Frage, wohin dieses Geld fließen solle, sagte Matthiesen, jede der elf in Hagen vertretenen Ruhrgebietsstädte habe ein solches, dringend zu lösendes Altlasten-Problem.

Dortmund-Dorstfeld:216 Häuser stehen auf einem durch Benzypren verseuchten Boden. Benzypren, ein giftiges, krebserregendes Abfallprodukt von Kokereien. Im Boden auch Benzol und Phenol. Der wohl größte Altlasten-Fund im Ruhrgebiet.

Herne: Ebenfalls durch Benzypren verseucht ist das Gelände einer ehemaligen Kokerei und Benzolfabrik in einem Vorort von Herne. Dort wurden seit 1982 30 Wohnhäuser errichtet.1984 trat in einer Baugrube dann übelreichender Schlamm zutage. Seitdem werden die Bewohner des neuen Wohnviertels vom städtischen Gesundheitsamt angehalten, einen Hautkontakt mit dem verseuchten Boden zu vermeiden. Mindestens drei Kokereiflächen müssen in Herne nach Angaben der Stadtverwaltung vor einer weiteren Nutzung erst grundlegend saniert werden.

Gelsenkirchen: Wohnhäuser stehen auf dem Gelände der früheren Zeche „Hibernia“. Bodenverunreinigungen auch dort. Und aus dem gleichen Grunde konnte bisher das Zechengelände „Dahlbusch“ nicht als Gewerbegebiet genutzt werden. Das Grundwasser ist dort so verseucht, dass Privatbrunnen nicht mehr genutzt werden dürfen.

Oberhausen: Das gilt auch für Oberhausen, wo im Ortsteil Osterfeld größere Mengen Benzol ins Grundwasser gelangt sind, von einem Grundstück der ehemaligen Zeche und Kokerei Jacobi.

Duisburg: In mehreren Stadtteilen darf das Grundwasser nicht mehr genutzt werden. Es gibt eine Vielzahl verdächtiger Flächen.

Hagen: Eine hohe Konzentration von Schwermetallen im Boden verhinderte in Hagen bisher die Neuansiedlung von Gewerbe- und Industriebetrieben auf dem Gelände der früheren „Hasper Hütte“ der Klöckner-Werke. Für die Beseitigung dieser Altlasten will die Stadt Hagen den Verursacher haftbar machen.

Allein für die Städte Bochum, Herne und Dortmund geht der Regierungspräsident in Arnsberg von mindestens zehn Altlasten aus, die trotz Bodenverseuchung mit Wohnhäusern oder Gewerbebetrieben bebaut worden sind. Und die Kommunen sind mit dem Problem der Altlasten überfordert. Nach welchen Stoffen muss überhaupt vordringlich gefahndet werden bei Bodenuntersuchungen? Und wo liegen die Grenzwerte. Was kann als unbedenklich gelten, was nicht?