Die PR-Flut steigt

1981:  In den Redaktionen nimmt die Flut von PR-Informationen von Firmen, Verbänden und Institutionen kein Ende; sie steigt eher noch weiter an.

Inzwischen haben in den meisten Pressestellen ehemalige Tageszeitungsredakteure oder gelernte Werbefachleute den „Verwaltungsangestellten/Beamten mit schriftstellerischer Neigung“ abgelöst, die wissen, wie in Redaktionen gearbeitet wird und das, was sie dort „unterbringen“ wollen, entsprechend aufbereiten. Da wird der Text „auf Zeile“ geliefert, das Hochglanzfoto im Format 13 mal 18 Zentimeter, und selbst auf Überschriftenvorschläge wird nicht verzichtet. Einmal im Jahr gibt‘ s dann für die Redaktion einen Kegelabend oder eine“ Fressorgie“ und für den Lokalchef eine Kiste Wein frei Haus“ als Dank für das Verständnis, das Sie uns entgegengebracht haben“.

„Um Verständnis werben“ ist die Hauptaufgabe der PR-Leute. Verständlich: Denn wer sich in die Rolle des anderen versetzen kann, dessen Interessen verstehen lernt, wird möglicherweise auf dem Auge blind, mit dem er den anderen Teil seiner „Klienten“ sehen sollte. Und das kann einem „Interessenvertreter“ nur recht sein.

Dass es so und nicht anders ist, gab kürzlich auf einem Seminar für Lokalredakteure in „Haus Busch“ in Hagen Frank Levermann, Pressereferent des Kommunalverbandes Ruhrgebiet, offen zu: „Ich bin der Interessenvertreter meines Arbeitgebers!“ Und als solcher verschickt er in aller Regel nur positive Informationen, blattgerecht aufbereitet und mit seiner Verbandsleitung abgesprochen. Negative Nachrichten gibt es für Frank Levermann nur dann, wenn sie ohnehin nicht zu vermeiden wären. Und vor diesem Hintergrund ist auch die Vorliebe vieler PR-Leute für „Hintergrundinformation“ zu verstehen. Denn was unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt worden ist, kommt so schnell nicht an die Öffentlichkeit. Beides zusammen, PR-Information im Waschzettelformat und Hintergrundinformation, wirken so wie ein Filter: Nach draußen dringt nur, was auch nach draußen, an den Leser, kommen soll.

So sind denn PR-Artikel, oft ungekürzt und nur mit dem Häkchen für die Absätze versehen in Satz gegeben, in fast allen Lokalteilen bundesdeutscher Tageszeitungen Teil der gängigen Hofberichterstattung. Gängig deshalb, weil sie überall dort anzutreffen sind, wo es an Objektivität, Kompetenz und Eigeninitiative mangelt.

„Kompetenz“ mit anderen Worten: Wer mit Aufgaben betraut ist, denen er keineswegs gewachsen ist, weil ihm die notwendigen Kenntnisse fehlen, hört allzu gerne auf das Wort eines „Fachmannes“. Und als solcher bietet sich ein cleverer PR-Mann bereitwillig an. Ich fragte einmal einen Volontär bei der Durchsicht seines Berichtes über eine Ratssitzung, warum er sich so sehr an die Verwaltungsvorlage geklammert habe. Die Antwort war: „Weil ich das Thema nicht verstanden habe.“ Warum soll das Redakteuren, meist schlecht ausgebildet, nicht auch später noch gelegentlich so ergehen?

Die Frage ist jedoch, ob die Zeitungserlage überhaupt kompetente Lokalredakteure wollen angesichts einer zunehmenden Verquickung von Anzeigen und Texten und den guten Geschäften, die die Verleger mittlerweile mit den anfangs attackierten Anzeigenblättern machen. Mit Blättern, deren Personalkosten dank der ohnehin beschäftigten Redakteure niedrig sind. Zitat aus dem Redakteursvertrag, der einem Volontär zur Unterzeichnung vorgelegt wurde: Im Rahmen des Arbeitsgebietes können Aufgaben für andere Objekte des Verlegers übertragen werden. Diese sind mit dem Gehalt abgegolten.“

Der Volontär unterzeichnete. Schließlich wollte er Redakteur werden. Und seitdem schreibt er fleißig, meist nach Redaktionsschluss der Tageszeitung, für das Anzeigenblatt des Herrn Verlegers Texte von Geschäftseröffnungen, fünf- und zehnjährigen Firmenjubiläen, die gar keine sind, und berichtet davon, dass bei dem Autohändler X um die Ecke der neue Wagen Y eingetroffen ist, den der Motorsport-Kollege der Mantelredaktion längst ausführlich vorgestellt hat.

Wie aber kann er sich, wenn er tagtäglich Werbetexte verfasst, bei seiner eigentlichen Arbeit für den Lokalteil ein kritisches Gespür für PR-Texte bewahren? Gewiss, den reinen, unverfälschten, unabhängigen und objektiven Journalismus gibt es nicht. Denn der Widerspruch der Gesellschaft zwischen einem „Oben“ und einem „Unten“ spiegelt sich auch und gerade im Bereich des Journalismus wider. Je deutlicher einem Redakteur ist, welchem dieser beiden Pole er sich besonders verpflichtet fühlt, um so ehrlicher und durchschau-barer für den Leser kann er arbeiten.

Den Widerspruch in der Gesellschaft und seine eigene Parteilichkeit leugnen, hieße, sich und seine Leser zu täuschen. Es sind daher in der Regel jene Journalisten, die sich in ihrer Arbeit vornehmlich an die kleinen Leute und damit an die Mehrzahl der Leser wenden, die der steigenden Flut von PR-Texten ablehnend gegenüberstehen, weil sie dahinter ausschließlich wirtschaftliche und machtpolitische Interessen sehen. Doch auch sie werden häufig „schwach“. Weil es bequemer ist, einen „Waschzettel“ zu übernehmen anstatt nachzurecherchieren.