Von den Schluchten des Verdon zum Mont Ventoux

1979:  Kraftstrotzende Sonnenblumen in flimmernder Mittagsglut. Feurige Sonnen über gelben Kornfeldern. So sah und malte Vincent van Gogh die Provence, jenen Süden Frankreichs, in dem Licht und Farben leuchten wie nirgendwo sonst. Und noch immer vertreibt der Mistral, der kühle Wind aus dem Norden, jegliche Dunstschleier und sorgt auf diese Weise für das vielgerühmte provencialische Licht.

Verdon_03Kraftstrotzende Sonnenblumen in flimmernder Mittagsglut. Feurige Sonnen über gelben Kornfeldern. So sah und malte Vincent van Gogh die Provence, jenen Süden Frankreichs, in dem Licht und Farben leuchten wie nirgendwo sonst. Die Sonne, das Licht hatten es van Gogh angetan, als er im Jahre 1888 von Paris nach Arles kam. Sein Bild von der Brücke von Arles, noch heute abseits der Straße nach Port St. Louis zu finden zeugt davon ebenso wie die Fischerboote, die er in St. Maries-de-la-Mer auf der Leinwand festhielt. Längst sind sie dem Strom der Touristen gewichen – rund 700.000 waren es im vergangenen Jahr – doch noch immer vertreibt der Mistral, der kühle Wind aus dem Norden, jegliche Dunstschleier und sorgt auf diese Weise für das vielgerühmte provencialische Licht, dem als erster Maler der 1839 in Aix-en-Provence geborene Paul Cezanne geradezu verfiel.

Cezanne, der Maler des Lichts. Ein Teil der Bilder, die ihm diesen Ruf einbrachten, sind in seinem alten Atelier in Aix-en-Provence in der Avenue zu sehen, die heute seinen Namen. Die Motive darauf muss man anderswo suchen: Grüne Wiesen, rot getupft mit unzähligen Mohnblumen etwa im Luberon-Gebirge bei Bonnieux, oder Ölbäume am Fuße des mittelalterlichen Ruinendorfes Les Baux, die in der grellen Sonne blaue Schatten werfen.

Viele Touristenstraßen führen in den Süden; die günstigste und dabei noch landschaftlich reizvollste Anreise in die Provence führt über Basel, Genf, Aix-les-Bains, Grenoble und Sisteron nach Chateau-Arnoux. Dort galt es eine Entscheidung zu treffen. „Nach rechts“ über La Brillane nach Apt, zum Luberon, zum Plateau de Vaucluse, oder „geradeaus“ über Digne und Barréme nach Castellane? Wir entschieden uns für die „Route Napoleon“ weiter gen Süden (so benannt, weil auf ihr Napoleon 1815 nach der Rückkehr von Elba die „Herrschaft der hundert Tage“ angetreten hatte). Denn von Castellane aus können Eilige in einem und weniger Eilige in zwei Tagen die grandiosen und in ihrer Urgewalt manchmal beängstigend wirkenden Georges du Verdon erleben.

Die Schluchten des Verdon sind der „Gran Canyon“ Europas: Dreißig Kilometer lang, an der engsten Stelle nur fünfzehn Meter breit, mit bis zu 900 Meter hoch aufragenden Felswänden zu beiden Seiten, ein Naturschauspiel, das von jedem neuen Felsvorsprung, hinter jeder Krümmung der in den Felsen gehauenen Straße eine neue atemberaubende Szene bietet. Der erste Wissenschaftler, der in die Schlucht hinabstieg, war der Höhlenforscher Martel. Er erkundete die Georges im Jahre 1905 in einer dreitägigen Expedition Und er erkannte auch ihre Bedeutung als touristische Attraktion für die Bewohner dieses ansonsten kärglichen Landstrichs. Doch es vergingen noch vier Jahrzehnte, bis 1947 durch die „Cornische Sublime“, die D71, die Südseite der Schluchten für den motorisierten Touristen erschlossen wurde. Die „Route des Crétes“ auf der Nordseite nur im Sommer befahrbar, folgte 1973.

Verdon_02Wer glaubt, nicht hundertprozentig schwindelfrei zu sein, sollte, wenn er nach Castellane Pont d Soleils erreicht hat, die nördliche Route wählen. Denn auf diese Weise hat er während der gesamten Rundreise den Gegenverkehr zwischen sich und dem Abgrund. Und wer unbedingt die erdrückende Wucht der roten Felsen spüren will, hat dazu ohne Angst um Leib und Leben vom Aussichtspunkt „Samson“ aus Gelegenheit (Abzweigung nach links nicht verpassen!). Denn von dort ist es nur ein kurzes Stück Weg bis zu der Stelle, wo sich der Verdon schäumend seinen Weg durch einen steinernen Engpass bahnt; so schmal, das für den hier vorbeiführenden Wanderweg ein Tunnel gebohrt werden musste (ohne Taschenlampe nicht begehbar).

Auf der weiteren Fahrt macht sich die in Castellane gekaufte Streckenbeschreibung bezahlt mit ihren Kilometerangaben zwischen den einzelnen Halteplätzen in der Nähe von „Bellevues“, schönen Aussichten. Point Sublime ist einer von ihnen: Blick auf den Samson-Engpaß, diesmal von oben. Wer nicht nur Eindrücke, sondern auch Informationen will, sollte in Valdenay am „Haus des Canyons“ Halt machen. Das Museum beherbergt neben Luftaufnahmen auch eine geologische Ausstellung und Fossilien. In Valdenay zweigt auch nach links die 23 Kilometer lange „Route des Crètes“ ab. Ausschließlich gebaut, um den Fremdenverkehr zu fördern, ermöglicht sie „Bellevues“ in Fülle. Dort, wo der Verdon sich aus der Umschlingung der Kalkfelsen befreit und in den weiten Stausee de Saint-Croix mündet, verbindet die Pont de Galetas Nord- und Südufer. Wer nach der Brücke nicht sofort die Rückfahrt antreten, sondern die auf dieser ersten Etappe gewonnenen Eindrücke erst einmal verdauen und deshalb Station machen will, erreicht auf der Straße nach Les Salles schon nach wenigen Kilometern einen passablen Campingplatz, nicht weit vom See entfernt. Wir jedenfalls waren am nächsten Tag, ausgeruht, wieder aufnahmebereit für neue, nicht weniger prächtige Landschaftsbilder, etwa den herrlichen Rundblick von Aiguines die Verdonschlucht aufwärts, auf den See die Hochebenen und die Berge.

Von Comps aus, wo wir an diesem Tag nach kurvenreicher, aber unvergesslicher Fahrt ( wegen der urtümlichen Landschaft und eines stets kurz vor Rot stehenden Temperaturanzeigers; der Wasserkühler war verstopft, wie sich später herausstellte) die Schluchten des Verdon endgültig hinter uns ließen , sind es nur 32 Kilometer nach Draguignan. Und von dort ist auf gebührenpflichtiger Autobahn auch schnell Aix-en-Provence erreicht. Genau wie die einsamen Georges du Verdon , wo es wie Donner hallt , wenn der böige Wind auf Feldwände tritt, verlangt die lebensfrohe, turbulente Universitätsstadt ( 1409 kamen die ersten Studiosi) vom Besucher Zeit und Muße.

Im Jahre 102 vor Christus hieß Aix-en-Provence noch Aquae Sextiae, war römische Provinzstadt – und erlebte den ersten „touristischen“ Ansturm der Germanen aus dem Norden. Wenig gastlich wurde er damals von den Bewohnern abgewehrt. Heute genießen auf dem „Cours Mirabeau“ Touristen aus aller Herren Länder den kühlen Schatten hoher Platanen und zahlen in einem der vielen Straßencafès mit Blick auf barocke Adelspaläste für einen Pastis, einen mit Wasser mehr oder weniger verdünnten Anisschnaps, fast doppelt so viel wie in einem Lokal in einer Nebenstraße. Aber: Sehen und gesehen werden hat nun einmal seinen Preis.

Auch auf dem „Cours Mirabeau“. Dort stehen auch drei der insgesamt 24 Thermalbrunnen der Stadt, deren Wasser Kreislauferkrankungen lindern soll. Einer davon ist der über und über dunkelgrün bemooste „Fontaine Chaud“ mit 34 Grad warmem Wasser. Aix-en-Provence hat mehr verdient als nur einen kurzen Halt. Nicht nur wegen der allgemeinen heiteren Atmosphäre, der sich niemand so recht entziehen kann, sondern auch wegen des Blumen-, Gemüse-, Antiquitäten-, Textilien- und Trödelmarktes, der jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag auf dem Platz vor dem Gerichtsgebäude abgehalten wird. (Vom ruhigen und schattigen Campingplatz Chantecler aus fahren regelmäßig Omnibusse in die Innenstadt, so dass sich die leidige Parkplatzsuche erübrigt.) Hier finden sich auch die Calissons, Mandeltörtchen, die die Spezialität der Gebäckindustrie von Aix-en-Provence sind. Der Handelsweg dieser Mandeln ist übrigens kurz: Die Mandelbäume stehen draußen vor der Stadt.

Verdon_01Nur wenige Fahrtstunden westlich von Aix-en-Provence beginnt die Camargue. Hierlebhaftes Treiben, dort Ruhe und Weite. Doch wer im riesigen Delta der Rhone neben Sümpfen und Reisfeldern auch große Herden wilderweißer Camargue-Pferde, schwarzer Stiere und rötlicher Flamingos erwartet, könnte enttäuscht werden. Möglicherweise sieht er nur ein knappes Dutzend schwarzer Rinder, von der Straße aus halb verborgen von einer hohen Hecke. Die weißen Pferde, die auf verschiedenen Koppeln in der Nähe von Les-Saint-Maries-de-la-Mer auf “ Laß-mich-auch-mal -versuchen-Mietreiter“ warten, wirken ebenfalls recht zahm. Und die drei Flamingos kurz vor dem Ortseingang – bezahlte Statisten? Wo ist das Naturschutzgebiet der Camarque? Es gibt es wirklich – allerdings (aus gutem Grund) behördlich abgeschirmt vom Strom der Touristen: 13.000 Hektar unfasst das Vogelparadies rund um den Vaccarès-See. Vorbei an dem kleinen Städtchen St. Gilles, dessen romanische Kathedrale, speziell die rund 800 Jahre alte dreibogige Fassade mit ihren Skulpturenreichtum, einen Abstecher lohnt, wird Arles erreicht, für Geschichtskenner und Freunde antiker Denkmäler nach Orange und Nimes ein weiterer provencialischer Höhepunkt.

Schon Hugo von Hofmannsthal rühmte die „feierliche römische Schönheit“ der einstigen römischen Hafenstadt mit ihrer Arena und den Resten eines Theaters. Jüngeren, aber doch noch romanischen Ursprungs ist die Kathedrale St. Throphime nebst Kloster und dem berühmtesten Kreuzgang der Provence. Zwischen Kathedrale und Rathaus führt eine schmale Gasse zur Ecke Rue D. Maistro/Rue du 4. Septembre und damit zum kleinen, äußerlich unscheinbaren Restaurant „Lou Gardian“. Es ist nicht das erste Mal, das dieses Lokal in einem Reisebericht erwähnt wird (auch wir kamen durch Lektüre zu dieser Adresse), und das hat seinen guten Grund: Wer preiswert und dabei schmackhaft essen will, von der reichlichen Portion gar nicht zu reden, sollte sich das „Gardian“ merken. Ziel des anschließend ratsamen Spaziergangs könnte die Avenue der Sarkophage („Les Alycamps“-Gefilde der Seeligen“ sein. Schon im römischen Arles wurden dort die Toten bestattet. Als im 15. Jahrhundert die Beerdigungen eingestellt worden waren, erhielten Fürsten und Städte die schönsten Sarkophage zum Ge-schenk. Aber auch die übrig gebliebenden Steinsärge an der baumbestandenen Allee des Tombeaux vermitteln einen guten Eindruck von den früheren Verhältnissen.

Hinter Arles lädt in Fontvielle ein neuerer, gepflegter Campingplatz zur Zwischenstation ein (auch als Ausgangspunkt für Tagesfahrten wegen seiner zentralen Lage gut geeignet). Auf der anderen Seite des Dorfes liegt die Mühle von Daudet, von wo aus sich dem Betrachter die weite Rhone-Ebene erschließt. Nur wenige Kilometer weiter in Richtung St. Rèmy reckt sich der 900 Meter lange und je 200 Meter breite und hohe Felsrücken von Les Baux in den blauen Himmel. Die Ruinenstadt beherrschte Jahrhunderte die Alpillen, die bis zu 386 Meter hohe Kalksteinkette zwischen Arles und Avignon. Mitte des 17. Jahrhunderts von ihren Bewohnern verlassen, zählt sie heute zu größten Touristenattraktionen der Provence. Nicht etwa, weil hier im Jahre 1821 Sainte-Claire Deville Bauxit entdeckte, das zur Herstellung von Aluminium erforderliche rote Grundelement. Auch nicht, weil in der Nähe von Les Baux statt des Bauxits heute ein weicher weißer Stein in großen Blocken abgebaut wird (die Steinbrüche ähneln so Kathedralen), den Bildhauer gerne verwenden, oder weil die Burg, Besitz der Grimaldis von Monaco, der „Liebeshof“ der französischen Troubadoure war, sondern einzig und allein wegen ihrer einmaligen Aussichtslage auf Weingärten, Felder und Ollvenhaine, die sich bis zum Horizont erstrecken. Von oben schimmern die Blätter der kugelförmigen Olivenbäume silbrig.

Dass die Bauern der Provence pro Jahr etwa 6000 Tonnen Oliven ernten können, haben sie den Griechen zu verdanken, die die ersten knorrigen Stämme vor 2500 Jahren ins Land brachten. Seitdem ist das Angebot beständig reichhaltiger geworden: Inzwischen werden 60 verschiedene Arten von Oliven produziert, die – nicht nur in Frankreich – roh zum Aperitiv oder als Beilage, in Essig oder Salz eingelegt, gegessen werden. Auf den Bergrücken über Les Baux findet sich, auch etwas für Feinschmecker, die „Garigue“, eine Pflanzengemeinschaft, die felsigen Kalkboden liebt und kaum höher als fünfzig Zentimeter wird. Disteln, Kermeseichen und Dornginster für Feinschmecker? Wohl kaum. Dafür aber der ebenfalls zur „Garigue“ gehörende Thymian und Salbei; Rosmarin, Basilikum, wilder Majoran und Bohnenkraut nicht zu vergessen. Als „Herbes de Provence“ sind sie in jedem Ort zu kaufen. Viel mehr Spaß macht es jedoch, die Gewürzkräuter selbst zu suchen, zu sammeln und zu trocknen, indem man sie im Wohnmobil oder Wohnwagen an einem Bindfaden ans Ausstellfenster hängt.

Eine fast schnurgerade Allee führt von St. Rèmy (Besichtigung römischer Ruinen, „Glanum“, gefällig?) nach Remoulins, wo sich die Römer ihr größtes Denkmal in der Provence gesetzt haben, die 49 Meter hohe und 275 Meter lange Pont du Gard. Das dreistufige Äquadukt versorgte einst von Uzès aus über eine Leitung mit einem Gefälle von 34 Zentimetern pro Kilometer das Römerlager Nimes mit dem frischen Quellwasser der Eure, täglich 20 000 Kubikmeter. Zeichen hoher Baukunst: Die bis zu sechs Tonnen schweren Steine der Brücke sind ohne Mörtel gefügt. Der nahe Campingplatz an der Gard, unter hohen Bäumen gelegen, verspricht erholsame Rasttage.

Avignon ist unsere nächste Station. Das hochgotische Schloss der Stadt, vom 58 Meter hohen Kalkfelsen „Rocher des Doms“ überragt, war von 1309 bis 1377 Residenz der Päpste und bis Ende des 18. Jahrhunderts in ihrem Besitz. Danach lange unbeachtet, wurde die Residenz inzwischen bestens renoviert und zeigt ihren vielen Besuchern Fresken und Prunkräume. Nicht weniger bekannt als der Papstpalast: die Brücke St. Bènèzet (wegen des Tanzliedes „Sur le Pont, d’Avignon … „). Vom „Rocher des Dorns“ aus ist sie gut zu sehen. Von den 22 Brückenbö-gen, Ende des 12. Jahrhunderts errichtet, reichen heute nur noch vier nicht allzu weit ins Bett der Rhone hinein; nach wiederholten Einsturz hatte der Magistrat von Avignon Mitte des 17. Jahrhunderts auf einen neuerlichen Wiederaufbau verzichtet. Als Angehöriger des päpstlichen Hofes von Avignon lebte Petrarca, Italiens bekanntester Dichter der Rennaissance, zeitweilig in Fontaine-de-Vaucluse, unserem nächsten Ziel. Sehenswert ist der kleine Kurort jedoch weit mehr wegen der Sorgue, die hier in unzähligen kleinen Quellen und einem riesigen Quelltopf entspringt. Fachleute schätzen, dass das Einzugsgebiet dieser Quelle (richtiger ein unterirdischer Fluss, der hier ans Tageslicht tritt) 170.000 Hektar umfasst und über das Plateau de Vaucluse hinaus bis zum Fuße des Mont Ventoux reicht. Im Frühjahr bei der Schneeschmelze und nach starken Regenfällen sprudeln pro Sekunde bis zu 150 Kubikmeter Wasser aus dem Quelltopf, an einem normalen Sommertage nur acht. Station machen wir an diesem Tag allerdings nicht an der klaren Sorgue (Forellen), sondern nach kurzer Fahrt die Durance aufwärts in dem kleinen Städtchen Lourmarin am Fuße des Luberon-Gebirges. Die Akademie von Aix-en-Provence unterhält hier ein Kulturzentrum. Auf dem Friedhof des Ortes liegt der Nobelpreisträger Albert Camus begraben, der hier 1960 starb. Uns aber steht am Ende eines heißen Tages nicht mehr der Sinn nach Besichtigungen: Schließlich gehört zum Campingplatz von Lourmarin auch ein Freibad mit Restaurationsbetrieb. Was will man mehr!

Wer nimmt schon ein Schwein mit auf die Urlaubsreise?! Liebhaber von Trüffeln könnten es im Lubèron-Gebirge allerdings gut gebrauchen. Einheimische jedenfalls spüren diese Köstlichkeit in den Steineichen-Hainen des Lubèron wie eh und je mit Hilfe von Schweinen und abgerichteten Hunden auf: Der an eine Kartoffelknolle erinnernde Röhrenpilz nistet gerne unterirdisch an den Wurzeln der Eichen. „Ernte“ ist zwischen November und April. Dann finden sich die Trüffeln auch auf den Märkten von Apt und Carpentras. Was das Lubèron sonst noch zu bieten hat? Blühenden Jasmin, Thymian und Oleander im April, Rosen im Mai, dunkelrote Herzkirschen im Juni/Juli und so romantische alte Dörfer wie Bonnieux, Mènerbes oder Oppede-le-Vieux, mit plätschernden Brunnen und kieselgepflasternen Gassen, an denen rotgestrichene Häuser so dichtgedrängt stehen, als wollten sie sich, altersschwach geworden, gegenseitig stützen. Abenteuerlich: Die Kletterpartie durch die Burgruine hoch über Oppede, wo sich Saumwege überraschend als Deckengewölbe entpuppen und ein steinernes „WC“ über einen wohl hundert Meter tiefen Abgrund hinausragt.

Nördlich des Lubèron beginnt das Plateau de Vaucluse. Sein Hauptort ist Apt, in dessen Umgebung Ockerfarbstoff gewonnen wird, der als Malerbedarf in die ganze Welt geht. (Schon unsere Vorfahren benutzten ihn für ihre Höhlenmalereien). In bis zu fünfzehn Meter dicken Schichten kommt das Malerpigment vor allem nahe dem kleinen Dörfchen Roussillon vor. „Feental“ und „Straße der Riesen“ heißen die bizarren Ocker-Brüche des Hügeldorfes, in denen das „ockrige Brauneisen“, ein Gemisch aus Tonsand und Eisenoxydhydrat, eindrucksvolle Klippen und Wände bildet, in die kleine Kiefern und Eichen ihre Wurzeln gegraben haben. Das abgebaute Sandgemisch wird in Klärbecken (zwanzig davon finden sich an der D 101 Richtung Gargas in der Nähe des Weilers Deverlons) so lange gewaschen, bis das tonige Eisenoxyd übrig bleibt. Sobald der Ocker sich auf dem Beckenboden abgesetzt hat und getrocknet ist, wird er in dicken Blöcken zur weiteren Trocknung aufgeschichtet, ehe er gemahlen und gegebenenfalls gebrannt werden kann, je nach Farbtönung von Hellgelb bis Braunrot. Jährliche Produktion: Etwa 2000 Tonnen. Stillgelegte Stollen finden sich in den Ockerbrüchen des „Colorado“ in der Nähe des Dorfes Rustrel, 9,5 Kilometer nordöstlich von Apt. Rote Klippen vor tiefblauem Himmel, eine grellgelbe Wand, von einer grünen Mauer aus Kiefern überragt – Wirklichkeit gewordene Landschaftsphantasien, leicht zu erleben bei Station auf dem Campingplatz „Colorado“. Und wer von hier aus das nahe KalIkplateau ersteigt, lernt auch die „Igel der Provence“ kennen; in Reih und Glied bevölkern sie dort große Felder: Kugelige Lavendel-Sträucher, deren blaue Blütenstände sich im Juni und Juli wie Igelstacheln nach außen recken.

Im Altertum war Lavendel als Heilpflanze bekannt. In Frankreich wird es seit Ende des 19. Jahrhunderts als Wäscheparfüm verwendet – getrockneter Lavendel in kleinen Leinensäckchen, als Souvenir überall in der Provence zu kaufen, ist ein idealer Duftspsender im Kleiderschrank. 80 bis 100 Tonnen reines Lavendeöl werden alljährlich in der Provence destilliert, wobei für fünf bis zehn Kilogramm des ätherischen Öls immerhin eine Tonne getrockneter Lavendel benötigt werden. Zu den Abnehmern gehören auch die Hirten der Camargue: Sie schützen sich mit der Essenz gegen die Myriaden von Schnaken aus den Rhöne-Sümpfen. Die Hütten der Hirten in der Camargue sind rund, schilfbedeckt und heißen „Cabanes“, die der Hirten der Vaucluse heißen „Bories“, sind ebenfalls rund, ihr Dach und die Seitenwände bestehen allerdings vollständig aus weißgrauen, flachen Steinen („Lauces“). Die fensterlosen, teilweise sehr alten Behausungen mit ihren kuppelartigen Dächern finden sich auch im Lubèron und speziell in der Nähe des Dorfes Gordes und ähneln verblüffend den italienischen Trulli. Nach Besuch des Vasarely-Museums von Gordes steuern wir den Mont Ventoux an.

Unsere Reise nähert sich dem Ende. Auf der mit 1909 Metern höchsten Erhebung der Provence wollen wir von dieser vielfach herben, aber vielleicht gerade deswegen so reizvollen Landschaft Abschied nehmen. Die Auffahrt ab Sault vorbei an Lavendelfeldern: Noch einmal ein Erlebnis „a la Provence“ mit viel Landschaft und Kräuterduft. Der Gipfel: Wetterstation, Rundfunksender, Radar, ein Restaurant – und ein eindrucksvoller Blick über die Hügel der Provence, über denen in der Mittagshitze die Luft bläulich flimmert. Am östlichen Horizont lassen sich die Spitzen der französischen Alpen erahnen, durch die die Heimfahrt führen soll.