Donner der Motoren über Berlin riss 322 Tage nicht ab

1978:  „Ihr Völker der Welt! Ihr Völker in Amerika, in England, Frankreich und Italien. Schaut auf diese Stadt! Und erkennt, dass Ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft!« Das sagte in einer Rede vor dem Reichstagsgebäude der Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter 78 Tage, nachdem russische Soldaten alle Straßen, Kanäle und Flüsse abgeriegelt hatten, um Berlin auszuhungern.

Luftbrücke begann am 24. Juni 1948

Stiefmütterchen, in Kübeln an den Übergängen von West- nach Ost-Berlin angepflanzt, täuschen nicht über das hinweg, was seit dem 13. August 1961 Deutsche von Deutschen trennt: Die Berliner Mauer, von den DDR-Machthabern errichtet gegen die »Republikflucht aus dem Arbeiter- und Bauernstaat«. Und die Baukolonnen, von Volkspolizisten bewacht, leisteten gründliche Arbeit. Metallgitter erstrecken sich über 55 Kilometer, vorgefertigte Betonplatten über 104 Kilometer, auf sechs Kilometern dient die Havel als »natürliche« Grenze. Dahinter der Todesstreifen, Zäune mit Alarm- und Selbstschussanlagen, Schäferhunde, die an Leinen patrouillieren, Panzersperren, 251 Wachttürme. Die Berliner haben gelernt, mit dieser Mauer der Willkür zu leben. Beharrlich ihre Zuversicht. Die gleiche Zuversicht, die ihnen half, in den dunkelsten Tagen des kalten Krieges eine Isolation zu überstehen, mit deren Hilfe die Sowjetunion versuchte, die Westmächte zur Aufgabe der Stadt zu zwingen: Die Berliner Blockade, die Unterbindung des Güterverkehrs auf den Land- und Wasserwegen nach West-Berlin. Sie begann am 24. Juni 1948. Heute (24. Juni 1978) vor dreißig Jahren.

„Ihr Völker der Welt! Ihr Völker in Amerika, in England, Frankreich und Italien. Schaut auf diese Stadt! Und erkennt, dass Ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft!« Das sagte in einer Rede vor dem Reichstagsgebäude der Berliner Oberbürgermeister Ernst Reuter 78 Tage, nachdem russische Soldaten alle Straßen, Kanäle und Flüsse abgeriegelt hatten, um Berlin auszuhungern. Es war die Zeit der zerbombten Häuser, der Trümmerberge, unzähliger Obdachloser, deren wenige Habe in einem Leiterwagen Platz hatte, die Zeit, in der der beliebte Tiergarten Brennholz liefern musste und zum Anbau von Kohl und Kartoffeln benutzt wurde, nur einen Steinwurf entfernt von den Ruinen der Italienischen und japanischen Botschaft, die auch heute noch an das bombastische Diplomatenviertel des »Tausendjährigen Reiches« erinnern.

Olaf Sund, Berliner Senator für Arbeit und Soziales, in einem 1977 erschienenen Beitrag über diese Zeit: »Pro Tag gab es je Person300 Gramm Brot, sieben Gramm Fett (für Kinder fünfzehn Gramm) 30 Gramm Nährmittel, fünfzehn Gramm Fleisch, 400 Gramm Kartoffeln und fünfzehn Gramm Zucker. Es war die Zeit, in der der vier Jahre alte Arndt den Vormittag in der Wohnung verbringen musste, weil er keine Schuhe hatte. Die gab ihm mittags sein älterer Bruder, wenn er aus der Schule kam. Es war die Zeit, in der die Menschen ihr Tafelsilber gegen Kartoffeln tauschten: die Jahre vom Ende des Zweiten Weltkriegs im Mai 1945 bis zum Ende der Berlin-Blockade im Mai 1949!«

»Bilanz« hat die Berlinerin Irmgard Haehnel, Jahrgang 1894. ihre Erinnerungen an diese Tage überschrieben: »Wir stolperten über die Steine, wir suchten nach einem Sinn, und sah‘ n über lodernde Dächer und rauchende Trümmer dahin. Unser Lächeln – das war gestorben. Unsere Züge blieben erstarrt, und unser Herz, das warme, erfror und wurde hart. Dann kamen die Männer nach Hause, verhungert, ob Herr oder Knecht. Sie flickten die Dächer und Türen mit Wellblech und Pappe zurecht!«

Selbst heute, dreißig Jahre später, spiegelt eine knappe Zeittafel die Dramatik der Ereignisse wider, die zur Berlin-Blockade am 24. Juni 1948 führten. Nach der Kapitulation der deutschen Truppen in Berlin am 2. Mai 1945 rücken im Juli und August amerikanische, britische und französische Truppen in die ihnen zugewiesenen Sektoren im Süden, Westen und Norden Berlins ein. Schon im November erhalten alle Berliner Schulkinder ein warmes Essen pro Tag; eine schwierige organisatorische Aufgabe, zumal Berlins Kühe in jenen Tagen nur noch vier bis fünf Liter Milch pro Tag geben. Achtzig Prozent der Haushalte werden wieder mit Gas versorgt, Polizei geht gegen Schwarzhändler vor, und die Berliner schöpfen wieder Hoffnung.

Da erzwingen die Sowjets am 21. / 22. April für das Gebiet der Sowjetzone die Verschmelzung von SPD und KPD zur SED (Sozialistische Einheitspartei). Die Konfrontation, unterschwellig längst vorhanden, tritt damit offen zutage. Denn die „auslösende Wirkung«, die sich die Sowjets davon für die drei Westsektoren versprochen hatten, bleibt aus: 82 Prozent der Westberliner Sozialdemokraten lehnen eine Verschmelzung mit der SED ab.

Der »Trümmerberg« in der Neuköllner Hasenheide ist aufgeschüttet, und gegen Bezugsscheine gibt es wieder Reifen für Autos und Fahrräder, da finden am 20. Oktober 1947 unter Aufsicht der Besatzungsmächte in ganz Berlin freie Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin statt. Die SPD erhält 48,7 Prozent, die CDU 22,2 Prozent, die kommunistische SED 19,8 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Steinkohlenvorräte reichen nur noch für 18 Tage, in Bremen liegen wegen fehlender Transportmittel 28.000 Care-Pakete für Berlin fest, Rapseiweiß wird als Brotaufstrich verwendet, wegen Strommangel müssen Straßenbahnlinien eingestellt werden, 390 Berliner erfrieren in den harten Wintermonaten.

Am 12. August folgt auf Louise Schröder als neuer amtierender Oberbürgermeister von Groß-Berlin Professor Ernst Reuter (SPD). Wegen eines sowjetischen Vetos kann er jedoch von der Alliierten-Kommandantur nicht bestätigt werden. Doch nicht nur politisch bleibt der Durchhaltewille der Berliner ungebrochen; auch wirtschaftlich geht es weiter bergauf, wenn auch in kleinen Schritten. Im September 1947 gibt es in Berlin wieder 229 Kinos, und die Bäcker dürfen gegen Marken wieder Zuckerkuchen und Kuchenbrötchen abgeben, für Nachkriegsgeneration bis dahin fast unbekannt.

Die Arbeit des Kontrollrates wird blockiert, nachdem am 20. März der sowjetische Vertreter nach einer Kontroverse mit den Sprechern der Westmächte die Sitzung verlässt. Und am 16. Juni wird stellt auch die Alliierten-Kommandantur ihre gemeinsamen Sitzungen ein; der sowjetische Vertreter hat die weitere Teilnahme abgelehnt.

Die Lage spitzt sich zu: Am 20. Juni wird für die drei Westzonen Deutschlands die Währungsreform ausgerufen, nach dem sie für ganz Deutschland am Widerstand der Sowjetunion gescheitert war. Zwei Tage später müssen auch die Viermächte-Besprechungen über eine einheitliche Währungsreform in ganz Berlin aus dem gleichen Grunde abgebrochen werden. Schon am nächsten Tag – es ist der 23. Juni – ordnet Marschall Sokolowski von sich aus eine Währungsreform für die Sowjetzone und ganz Berlin an, muss jedoch mit an sehen, dass die westlichen Stadtkommandanten diesen Befehl für ihre Sektoren wieder außer Kraft setzen.

Nun fahren die Sowjets schwerere Geschütze auf, um ihr Ziel, die Macht über ganz Berlin, zu erreichen: Am 24 . Juni 1948 sperren die sowjetischen Truppen die Westsektoren völlig ab, nachdem es bereits vorher zu zahlreichen Verkehrsbehinderungen gekommen war. Der so dringend nötige Warenfluss nach Berlin, das sich selbst nicht ernähren kann, ist damit völlig unterbunden.

Doch die »Kapitulation« bleibt aus. Vielmehr führen die Alliierten bereits am 25. Juni für ihre Sektoren die westdeutsche Währung ein. Und schon am zweiten Tag nach Beginn der Blockade wird der amerikanische General Lucius D. Clay (gestorben am 17. März 1978) damit beauftragt, die Versorgung der Stadt durch Flugzeuge zu organisieren. Er wird später Ehrenbürger Berlins.

Die Alliierten glauben zunächst an eine vorübergehende Maßnahme der Sowjets. Doch die Blockade hält an und zwingt zu immer neuen, immer weiterreichenden Gegenmaßnahmen. Alte, bereits abgewrackte Militärflugzeuge müssen wieder dienstbereit gemacht, Flugzeugstaffeln aus den verschiedensten Teilen der Welt nach Westdeutschland beordert werden, um von dort die »Luftbrücke« aufrechtzuerhalten.

Mit Erfindergeist, Mut, Ausdauer und einer gehörigen Portion Trotz nehmen Militär- und Zivilbehörden, nimmt jeder einzelne Pilot und Mechaniker den Kampf um das »Politikum Berlin« auf. Die Intervalle, in denen die Frachtmaschinen auf dem Flughafen Tempelhof landen, werden immer kürzer, die Tonnage, die auf diese Weise in die vom Hunger geplagte Stadt kommt, von Monat zu Monat größer.

Um zu verhindern, dass die Kette der jede Minute landenden Flugzeuge abreißt und es zum Chaos im Luftraum über Berlin kommt, muss jede Maschine, die nicht auf Anhieb die Landung schafft, durchstarten und zurück nach Westdeutschland fliegen. Nur so wird erreicht, dass wenigstens die notdürftige Versorgung West-Berlins sichergestellt ist.

berlin1Aber auch politisch geht der Kampf um die geteilte Stadt in dieser Zeit weiter. Als am 6. September Kommunisten das Stadthaus in Ost-Berlin stürmen, zieht die Stadtverordnetenversammlung in den Westsektor um. Die SED macht daraufhin am 30. November durch Proklamation eines eigenen »Magistrats« die Spaltung deutlich, so dass am 1. Dezember auch der legale Magistrat unter dem amtierenden Oberbürgermeister Dr. Ferdinand Friedensburg (CDU) seinen Dienstsitz nach West-Berlin verlegen muss Ergebnis: Die fünf Tage später durchgeführten Wahlen zu Stadt- und Bezirksverordnetenversammlungen dürfen im Ostsektor nicht stattfinden; im Westen stellt sich die SED erst gar nicht mehr zur Wahl.

Am 14. Januar wird Ernst Reuter zum Oberbürgermeister gewählt, am 20. März die Ostmark in West-Berlin als gesetzliches Zahlungsmittel endgültig abgeschafft. Und am 12. Mai schließlich müssen die Sowjets einsehen, dass die Blockade ihr Ziel nicht erreicht hat: Durch Viermächtevereinbarung wird sie aufgehoben; die »Luftbrücke« hat ihren Dienst erfüllt.

Schon innerhalb der ersten 36 Stunden nach Beendigung der Blockade kommen auf dem Schienenwege 25 000 Tonnen Versorgungsgüter in die Stadt, und die Alliierten ziehen stolze Bilanz: »Während der Luftbrücke wurden zwei Millionen Tonnen Güter nach Berlin eingeflogen!«

Elf Tage später, am 23. Mai, wird das Grundgesetz verkündet; die Bundesrepublik Deutschland ist konstituiert. Der Osten bleibt die Antwort nicht schuldig: Am 7. Oktober wird in Ost-Berlin die Deutsche Demokratische Republik proklamiert. Die Teilung ist vollzogen.

Doch West-Berlin lebt. Und als am 14. März 1950 die Bundesregierung den wirtschaftlichen Notstand für West-Berlin erklärt, ist die Voraussetzung für wirtschaftliche Hilfe für den Wiederaufbau der Stadt geschaffen.

Berlin heute: 2,12 Millionen Einwohner im Westen, 1,08 Millionen im Osten. Noch immer Probleme. Hüben wie drüben. Im Westen zum Beispiel der Ausländeranteil von 22,5 Prozent. Kreuzberg heißt im Volksmund bereits »Klein-Ankara« wegen seiner türkischen Kneipen, Läden, Gerüche und Moscheen. Doch West-Berlin lebt. Auch mit der Mauer.

24. Juni 1978