„Anglo Continental“ hat 10.000 Schüler im Jahr

Mai 1977:  Wo anders ließe sich die englische Sprache besser erlernen als in England selbst. Mit diesem Wahlspruch locken alljährlich Dutzende von Sprachschulen junge Deutsche und andere Ausländer an die englische Südküste. Die Zahl ihrer Schüler geht in die Zigtausende. Aber nicht alle kehren mit neuen Sprachkenntnissen nach Hause zurück. Denn so vielschichtig und unübersichtlich wie das Unterrichtsangebot, so unterschiedlich ist auch die Qualität der einzelnen Schulen. Hier werden fünfzehn Unterrichtsstunden pro Woche angeboten, dort mehr als dreißig einschließlich Sprachlabor und der Möglichkeit zu weiterem Selbststudium anhand von Tonbändern.

Die Vielfalt dieses vor allem von deutschen Schülern im Hinblick auf die Englisch-Note im Abitur aufgegriffenen Angebots dokumentiert sich vor allem in dem neben Brighton wohl bekanntesten englischen Seebad Bournmouth. Mehr als zwölf Sprachschulen haben sich dort etabliert – allen voran mit mehr als zehntausend Schülern im Jahr die wohl größte dieser Art, die 1950 gegründete „Continental School of English“ des Schweizers F. Schillig. Heute beschäftigt er ganzjährig hundert Englischlehrer – und in den Sommermonaten kommen weitere hinzu. In den letzten vier Jahren ist unter der Leitung von Schillig des Mitdirektors G. Oetiker, ebenfalls Schweizer, aus der Stamm-Schule aus steuerlichen Gründen, aber auch, um das Angebot transparenter zu machen, die „Anglo Continental Educational Group“ geworden, dem Schul-Prospekt zufolge „eine Vereinigung von Zwölf erstkIassigen englischen Sprachschulen mit insgesamt 25 verschiedenen Kursen“. Da gibt es die „Nova School of English“ mit 15 bis 17 Lektionen pro Woche, die „Academia School of English“ mit. 20 bis 22 Lektionen, die „Interlink School“ mit 25 bis 27 Lektionen, die „Ango Continental School“ mit 3o bis 34 Lektion in ihren Initensiv-Hauptursen, das „Private Study Centre“ mit 40 Lektionen. das „Inter-Continental Secreterial College“ mit 32 bis 34 Lektionen und die auf Geschäft und Handel ausgerichtete „Anglo-International for professional English“ mit 30bis :32 Lektionen.

In diesem Rahmen passen Kurse zur Vorbereitung auf das weltweit anerkannte Cambridge-Sprachexamen, Spezialkurse für Bankkaufleute, Ferienkurse in London. Poole, Wimborne, Blandford und natürlich in Bournemouth, wo die genannten Sprachschulen in drei verschiedenen Gebäudekomplexen zusammengefasst sind. Allein der Stammsitz der ACEG“ an der Wimborne Road, stadtnah gelegen, beherbergt fünf der insgesamt zwölf Schulformen.

Gemeinsam haben alle Schulen einen Eingangstest. Er entscheidet darüber, ob der Schüler in eine der Klassen für Anfänger oder für Fortgeschrittene kommt. Stundenplan einer Woche für Fortgeschrittene während eines Intensiv-Hauptkurses: Zwei Stunden im Sprachlabor zur Kontrolle von Aussprache und Wortschatz, Unterricht in englischem Schulwesen und englischer Gerichtsbarkeit, mit dem Ziel freier Diskussion, Vermittlung typischer Redewendungen, wie sie die Eröffnung von Gesprächen und den täglichen Umgang mit anderen erleichtern.

Im Anschluss an einen solchen Ferienkursus, wie ihn alljährlich über Ostern und im Sommer viele junge Deutsche besuchen, zu behaupten, man habe perfekt EngIisch sprechen gelernt, wäre übertrieben. Erfolgreich sind die Kurse jedoch schon dann, wenn der ausländische Schüler seine Scheu vor der fremden Sprache verliert. Und dabei hilft ihm vor allem die Gastfamilie, bei der er untergebracht ist. Keine einzige der vielen englischen Familien, mit denen „Anglo-Continental“ zusammenarbeitet, darf gleichzeitig mehr als zwei Studenten aufnehmen. Auf diese Weise will die Schule einen echten Familienanschluss sicherstellen. Und das gelingt ihr auch in vielen Fallen. Schwierig wird´s nur dort, wo englische Küche mit Pfefferminzsoße und ungewürzten Gemüsen in Reinkultur gepflegt wird. Gäste solcher Farmilien halten sich dann meist nach Schulschluss in einem der Cafés von Bournemouth auf, wo es Sandwich und Tee für zusammen nur 1,50 DM gibt oder in den durchweg gut und preiswerten Restaurants mit italienischer, chinesischer. Indischer, griechischer oder türkischer Küche, ein Labsal gegenüber der kargen englischen Kost.

Überhaupt: Die Freizeit der Sprachschüler in Bournemouth hat es in sich. Nicht nur die vielen Pubs reizen – bis 23 Uhr – zum Besuch, sondern auch die bis 2 Uhr geöffneten Diskotheken. Dort finden sich dann ab 22 Uhr viele Studenten wieder ein, um das in der Praxis anzuwenden, was ihnen tagsüber im Unterricht vermittelt worden ist. (Wie beginne ich ein Gespräch, wie führe ich es fort, was ist besonders höflich, wie, kann ich Fragen stellen?)

Besonders lernwillige Deutsche meiden bei diesen Gelegenheiten die Gesellschaft von Landsleuten. Und Auswahl haben sie genug. Groß ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler aus den arabischen, lateinamerikanischen und asiatischen Ländern. Unterhaltungen mit ihnen sind mangels anderer Sprachkenntnisse meist sowieso nur in Englisch möglich. (Und wer will sich als Deutscher schon mit einem Deutschen auf Englisch unterhalten, wenn er sich in der Muttersprache besser ausdrücken könnte.)

So ist es denn gerade diese Nationalitäten-Vielfalt, die die englischen Sprachschulen so interessant macht über das eigentliche Kursusprogramm hinaus. Das Blickfeld wird größer, Probleme, Mentalitäten, Umgangsformen anderer Rassen werden erkennbar im Gespräch mit Theresa aus Brasilien, Joan aus Mexiko, Achmet aus Bahrein im Persischen Golf, Mehmet aus der Türkei, Su aus Hongkong und Hans-Georg aus Mönchengladbach. Denn: Die Deutschen stellen noch immer die meisten Sprachschüler.