Moderne Wegelagerer an der Grenze

Oktober 1977: Gütersloher Polizeibeamte brachten in ihren Urlaub Luxus-Wohnmobile nach Saudi-Arabien – ein abeuteuerlicher Nebenjob.

Die Männer, die mitten im unwirtlichen türkischen Hochland einen Fotoapparat aus einem deutschen Lastwagen stehlen wollten, sich für eine Armbanduhr interessierten und sie so dann kurzerhand in die Tasche steckten, waren Polizeibeamte. Gegen Quittung kassierten sie doppelt so hohe Verwarnungsgelder wie ohne. Vorteil der Gebühr ohne Quittung: Der Kraftfahrer hatte die Hälfte gespart und die Türken ihr Gehalt aufgebessert.
Diese Praktiken lernten im vergangenen Monat sechs Beamte der Kreis-polizeibehörde Gütersloh kennen, als sie zusammen mit achtzehn anderen abenteuerlustigen Männern aus dem Kreisgebiet in ihren Ferien neunzehn Sattelschlepper und Lastwagen – alle als komfortable Wohnmobile ausgebaut – von Eichstätt in Bayern nach Riad in Saudi-Arabien überführten.
Vom „einnehmenden Wesen“ türkischer Zöllner erfuhren sie auf dieser Fahrt über mehr als 6000 Kilometer ebenso. Doch trotz teilweise recht strapaziöser Tagesetappen wären die meisten der 23 Fahrer heute, zwei Wochen nach ihrer Rückkehr per Flugzeug, gleich wieder dabei, wenn der Rheda-Wiedenbrücker Wohnwagenhändler Walter Hugo Grochtdreis wieder zu einer „Saudi-Tour“ starten würde, hätten sie noch Jahresurlaub übrig. Und tatsächlich: Wenn der Unternehmer Mitte November weitere sechzehn, zu fahrbaren Luxusheimen ausgebaute Sattelschlepper nach Saudi-Arabien bringen wird, gehört Polizeiobermeister Bernhard Heckenkemper wieder mit zur „Fahrer-Crew“.
Ihn reizt weniger die Aufwandsentschädigung, die er für diese Fahrt erhält, als vielmehr das Abenteuer, das Unbekannte, das hinter jeder Straßenbiegung in Bulgarien, der Türkei, Syrien, Jordanien oder Saudi-Arabien auftauchen kann.
Schon mehrere Male vor dieser Fahrt war Hugo Grochtdreis in Saudi-Arabien gewesen, nachdem sich die Geschäftsverbindung mit einem arabischen Prinzen gefestigt hatte. Doch während es dabei nur um einige „kleinere“ Wohnmobile ging – Einzelpreis immerhin mehr als 60 000 Mark -standen diesmal am 4. September in Süddeutschland vierzehn Sattelschlepper (Sitzgruppe, französische Betten, Bad und Toilette, Klimaanlage, Stromaggregat, Kühlschrank, Kochnische gehören zur Ausstattung) und fünf kleinere Wohnmobile abfahrbereit.
Eine Karawane modernen Stils. Und eine kostspielige dazu. Denn während die kleineren Fahrzeuge mit 60 000 Mark zu Buche schlagen, waren es bei den Trailern immerhin jeweils 120 000 Mark Ein Millionen-Auftrag. Dem Wert der Fahrzeuge entsprechend hatte Hugo Grochtdreis dem Prinzen die Überführung nur unter der Bedingung zugesagt, dass dieser für eventuelle Schäden an den Fahrzeugen, die während der Reise auftreten könnten, selbst eintrete. Und er hatte sich zusätzlich über deutliche Verträge mit seinen Fahrern abgesichert.
Dass der Kunde in Arabien das Fahrtrisiko über seinen Geldbeutel trug, hatte sein Gutes, wie sich spätestens im türkischen Taurus-Gebirge zeigte, als bei einem Unfall im Begegnungsverkehr die Seitenverkleidung eines Wohnmobils aufgerissen wurde. Und 280 Kilometer vor dem Ziel ereignete sich ein zweiter, noch folgenschwererer Unfall: Einer der Sattelschlepper fuhr in einen Pkw, der auf der Straße wenden wollte. Dabei wurde eine Pkw-Insassin so schwer verletzt, dass sie noch in Lebensgefahr schwebte, als die deutsche Gruppe drei Tage später die Rückreise per Flugzeug über London und Amsterdam antrat.
Für den Fahrer des in diesen Unfall verwickelten Lastzuges hatte sich zuvor der saudiarabische Prinz noch bei der Polizei einsetzen müssen. „Von diesen beiden Unfällen abgesehen war es eine ruhige Fahrt über durchweg gute Straßen, vor allem in Bulgarien“, erinnert sich Bernhard Heckenkemper. Der Polizeiobermeister: „Einen Tag Rast legten wir in Istanbul ein, nachdem wir zuvor an der türkisch-bulgarischen Grenze 26 Stunden auf die Einreiseerlaubnis hatten warten müssen. Gegenüber der Türkei sei Bulgarien geradezu eine Erholung gewesen. Heckenkemper: „Kinder aus den türkischen Dörfern kurz vor der syrischen Grenze benutzten unsere Wagen als Zielscheiben für ihre Steine und verlangten Zigaretten und Bonbons. In Syrien dann war die Bevölkerung viel freundlicher zu uns!“
Doch vor Syrien kam noch ein-mal eine Grenze. Mit türkischen Zöllnern, die die Hand stets offenhielten. Pro Pass verlangten sie zunächst zehn Mark. Und als ihnen diese Summe nicht gezahlt wurde, fehlte plötzlich in einem Pass ein wichtiger Stempel. Dafür mussten 100 Mark hingeblättert werden. Und weitere 300 Mark an Schmiergeldern waren erforderlich, um endlich doch noch passieren zu können. Wie sich später herausstellte, hatte der Zöllner aus dem Pass, in dem scheinbar ein Stempel fehlte, heimlich eine Seite herausgerissen, um doch noch zu seinem „Nebenverdienst“ zu kommen.
Wie viel Geld auf diese Weise Hugo Grochtdreis ausgeben musste, um möglichst wenige Tage an den Grenzen zu vertrödeln, verriet er den Fahrern nicht. Sie tippten jedoch auf eine fünfstellige Summe.
Trotz dieser zusätzlichen Unkosten war der „Prinz“ aus Rheda-Wiedenbrück, wie die Fahrer Grochtdreis schon bald nannten, ihnen gegenüber nicht kleinlich. Die in einer mitgeführten Kühltruhe gelagerten Getränke gingen während der ganzen Fahrt nicht .aus, der Koch schaffte es, seinen vorher aufgestellten Speiseplan mit Salat, Nachtisch, Eisbein, Fisch und Rouladen auch noch nach längeren Etappen einzuhalten, und zum Schluss dinierte die Gruppe noch im vornehmen Amsterdamer Flughafenrestaurant auf Kosten des Unternehmers. Der will auch den „Kameradschaftsabend“ mit Essen und Tanzkapelle finanzieren, auf dem demnächst vor Freunden und Ehefrauen die Fotos von dieser abenteuerlichen Fahrt gezeigt werden sollen. Bernhard Heckenkemper: „Wir waren eine astreine Truppe, gute Kameraden!“
Tagsüber allerdings löste sich die Gruppe zwangsläufig auf. Da auf die 24 Männer neunzehn Wagen kamen, mussten die meisten ohne Beifahrer fahren. Pro Tag saßen sie durchschnittlich etwa acht Stunden hinter dem Steuer. Ein Schnitt von achtzig Stundenkilometern wurde dabei nur einmal erreicht – in der Wüste. Auf diese Strecke – im Novem-ber – freut sich Bernhard Heckenkemper schon jetzt. Und den Poli-zeibeamten können selbst seine Erfahrungen mit den türkischen „Kollegen“ nicht davon abhalten, mit „Prinz“ Grochtdreis wieder auf „Saudi-Tour“ zu gehen Nun denn …

Gütersloh, 6.10.1976