Mit der „lzmir“ an türkischen Gestaden

März 1976:  Istanbul, Izmir, Fethiye, Antalya, Mersin, Iskenderun, Alanya, Marmaris, Bodrum, Kusadasi – alle zwei Wochen legt in den Häfen dieser türkischen Städte an der West- und Südküste ein Linienschiff der Turkish-Maritim Lines an. „Expreßdienst“ nennt die Istanbuler Gesellschaft diese Route.

Doch wer vom Bosporus in möglichst kurzer Zeit die Touristengebiete im Izmir mit Blick auf die Ägäis oder die reizvolle Landschaft Thrakiens erreichen will, sollte sich von dieser Bezeichnung nicht täuschen lassen, sondern nimmt statt dessen für achtzig Mark ein Flugzeug (Istanbul – Izmir) oder zahlt für die nächtliche Busreise nach Antalya – eintausend Kilometer quer durch
Westanatolien – umgerechnet dreizehn Mark.
So lehnten denn an der Reling des kleinen Passagierschiffes „Izmir“, als es vom Sirhane-Kai in Istanbul ablegte, keine eiligen Geschäftsleute, sondern Touristen, türkische Hochschullehrer, würdig dreinblickende Witwen, „, höhere Beamte mit ihren heiratsfähigen Töchtern und Studenten mit betuchten Eltern als Financiers dieser mit 730 Mark in der ersten Klasse (Zimmer ohne Bad und WC) für türkische Verhältnisse recht kostspieligen Reise – wenn man bedenkt, dass ein türkischer Lehrer pro Monat mit umgerechnet 400 Mark auskommen muss. Doch trotz des für deutsche Verhältnisse recht günstigen Preises für die Hin- und Rückfahrt Istanbul – Isskenderun mit Vollpension sieht man in der Luxus- und ersten Klasse der „Izmir“ Deutsche verhältnismäßig selten. Zwar bieten gleich zwei kleinere deutsche Reiseveranstalter die Fahrt entlang der türkischen Küste an, die Zahl der d eeutschen Touristen,diedieTürkei als „Geheimtip“ betrachten, ist offenbar jedoch noch zu gering, um den gehobenen türkischen Mittelstand von dieser Schiffahrtslinie verdrängen zu können.
Studenten aus aller Herren Ländern dagegen, in den Semesterferien im Nahen Osten auf Abenteuer- und Historien-Trip, haben die „Izmir“ und ihre beiden größeren Schwesternschiffe „Iskenderun“ und „Akdeniz“ schon seit langem entdeckt. Sie reisen mit dem „Expreß-Dienst“ weitaus häufiger als „Normalverbraucher“ in Sachen Tourismus – nehmen dabei aber auch mit der dritten Klasse oder aber – am billigsten – mit einem Liegestuhl auf dem Vorderdeck vorlieb.
Hinweisschilder sollen sie vom Betreten des Oberdecks abhalten, wo sich der Aufgang zum Sonnendeck der Luxus- und ersten Klasse befindet, die nur mäßig bestückte Bar und die Verstärkeranlage der Tanzkapelle, die jeden Abend jung und alt aufs Kapitänsdeck lockt mit ihren typisch türkischen Klängen. Je nach der Windrichtung spielt sie mal an Back-, mal an Steuerbord.
Zwölf Tage dauert die Reise. Morgens legt die „Izmir“ an den Hafenkais an oder überlässt in seichtem Gewässer den mit zwei Mark pro Person verhältnismäßig teuren Motorbooten ehemaliger Fischer den Pendelverkehr zwischen Ankerplatz und Mole. Abgelegt wird unter den stets gleichen Klängen der Schiffskapelle nachmittags zwischen 16 und nachts 24 Uhr. Zeit genug also für Ausflüge.
Von Izmir aus lassen sich gleich zwei sehenswerte Stätten des Altertums erreichen: Pergamon im Norden und Ephesus im Süden. Beide Busreisen können auf der Hin- und Rückreise gebucht werden. Doch Türkeikenner schließen sich statt dessen lieber mit Gleichgesinnten zusammen und heuern auf eigene Faust einen Taxifahrer an. Das birgt zwar das Risiko in sich, bei einer Panne das Schiff zu verpassen, das nur die Rückkehr des offiziellen Ausflugsbusses abwartet, hilft dafür aber auch Geld sparen. So verlangt etwa ein Taxifahrer in Iskenderun für die Fahrt nach Antakya und zurück, die über den Belen-Paß des Taurus-Gebirges führt und einschließlich Besichtigung des berühmten Mosaik-Museums mit Funden aus Antiochia und Daphne sowie dem Besuch der ersten christlichen Höhlenkirche, in der Petrus gepredigt hat, etwa sechs Stunden dauert, bei vier Personen insgesamt nur etwa 25 Mark. Die Busfahrt kostet zwanzig Mark – pro Person. Und im Gegensatz zum Taxichauffeur läßt der Deckoffizier der „Izmir“ nicht mit sich handeln.
Doch ehe das Schiff in Iskenderun gelandet ist, jenem „Zipfel“ der Türkei, der zeitweilig zu Syrien gehörte und in dem auch heute noch die Bewohner das Arabische beherrschen, hat der wissenshungrige Tourist in seinem Reiseführer schon vieles abhaken können. Fethiye zum Beispiel mit seiner vorgelagerten Badeinsel (Kalendermotiv) und den lykischen Felsengräbern in der Steilwand über dem malerischen Ort. Ferner Antalya und seine romantischen Düden-Wasserfälle. Und nicht weit davon entfernt – durch einen Tagesausflug zu verbinden – die alten Städte von Perge, Aspendos und Side mit ihren zum Teil sehr gut erhaltenen Amphitheatern, Stadien und Tempeln. Auch lockt Termessos, jene Jahrtausende alte Stadt im Taurus, die Alexander der Große vergeblich mit seinen Heerscharen berannte.
Letzte Station vor Iskenderun schließlich Mersin, eine unansehliche Hafenstadt, die jedoch als Ausgangspunkt für Fahrten zu den ausgedehnten Ruinenfeldern an der Küste oder in die Paulus-Stadt Tarsos interessant sein kann.
Stationen der Rückfahrt sind das idyllische Alanya mit seiner drucksvollen Osmanen-Festung, zu deren Mauern Kleopatra im glasklaren Meerwasser gebadet haben soll, das äußerlich unversehrte, innerlich aber bereits vom Massentourismus der nahen Insel Rhodos angekratzte Mamaris und Bodrum am Südwestzipfel der Türkei, wo Basare, Kreuzritter-Kastell und warme Quellen das Tagesprogramm bestimmen.
Dort trafen wir Ismail, Kellner in einem der kleinen, billigen Fischrestaurants im Hafen, wo der Fisch teuer und das Kotelett billig ist. Er wollte von der Schönheit und dem geschichtlichen Reichtum seines Landes nichts wissen: „Hier nur alte Trümmer. Deutschland aber..“.
So scheiden sich die Geister